Die aktuell erfolgreichste Rockband des Planeten hat ein neues Album – natürlich bekommt ihr dazu meine Meinung. Außerdem habe ich vier absolute Highlights im Gepäck, die aus den unterschiedlichsten Ecken der Metalwelt kommen. Weil aber leider selten alles eitel Sonnenschein ist, müssen wir uns auch von einer der außergewöhnlichsten Bands des Undergrounds verabschieden.
Ich liebe die Arbeit an meinem Newsletter und er wird auch immer gratis bleiben. Dennoch freue ich mich über eine kleine Anerkennung, weil die Recherche und das Schreibend er Texte extrem zeitintensiv sind. Ihr könnt mich hier unterstützen.
Geisterstunde
Man kann gar nicht genug betonen, wie bliebt Ghost derzeit ist. Sie war die erste Band aus einem nicht-englischsprachigen Land, die einen Grammy für die beste Metalperformance gewonnen hat, hatten mehrere Alben an der Spitze der schwedischen, deutschen oder US-amerikanischen Charts, gigantische ausverkaufte Touren und alleine auf Spotify weit über 1,5 Milliarden Streams – das Projekt des Schweden Tobias Forge ist der erfolgreichste Rock-/Metal-Act unserer Zeit. Insbesondere die verschiedenen Anti-Papst-Kunstfiguren, die Forge für jeden Albumzyklus neu verkörpert, haben längst Kultstatus. (Eine kurze Geschichte dieser Kunstfiguren gibt es hier.) Dass das neue Album „Skeletá“ mit Papa V Perpetua am Mikro ausgerechnet in der Woche erscheint, in der der echte Papst stirbt, ist ein so abgefahrenes Timing, dass man es sich gar nicht ausdenken könnte.
Aber mit dem Erfolg kommt natürlich auch die Kritik, gerade aus der Metalszene: Ghost seien keine „richtige“ Metalband (stimmt, na und?) und sowieso käme die Popularität vor allem durch die opulente Inszenierung und ausgefallene Geschichte, die die Band mit lustigen YouTube-Videos erzählt (stimmt auch, na und?). In der Tat ist der Black-Sabbath-eske Doom Metal und Occult Rock der ersten beiden Alben längst einem theatralischen und bombastischen Retro Rock gewichen, der auf die größten Arenen der Welt schielt. Again – na und? Ich kann kein Ghost-Album hören, ohne ein breites Grinsen im Gesicht zu haben und laut mitzusingen; und genau dafür liebe ich Musik. Wie also schlägt sich „Skeletá“ beim Unterfangen, mich dazu zu bringen, alle in meiner Umgebung mit meinen Sangeskünsten zu nerven?
Ich habe eine gute und eine schlechte Nachricht. Die schlechte zuerst: Für mich persönlich ist „Skeletá“ Ghosts schwächstes Album. Aber keine Panik, denn die Gute lautet: Selbst ein mäßiges Ghost-Album ist immer noch verdammt gut! Es gibt aktuell keine*n Komponist*in in der Rock- oder Metalwelt, der so eingängige Hooks und Melodien schreibt wie Forge. Auch „Skeletá“ ist voller catchy Mitsing-Momenten. Die ersten beiden Singles „Lachryma“ und „Satanized“ sind typische Ghost-Hymnen, und „Marks of the Evil One“ muss sich vor keinem Hit der Band verstecken. Insgesamt hat Forge einen Sound erschaffen, der so durch und durch nach Ghost klingt, dass man ihn unter Tausenden erkennt. Was dem Album allerdings ein wenig abgeht, ist der besondere Wow-Effekt. „Imperia“ (2022) ist eine bombastische Over-the-Top-Rockoper und „Prequelle“ (2018) wirkt im Rückblick wie ein schaurig-schöner Vorbote der Pandemie. „Skeletá“ ist Forges Liebeserklärung an den kitschigen Rock der Eighties. Black Sabbath und Blüe Oyster Cult haben Platz gemacht für Journey und Rush. Und das macht immer noch viel Spaß, es haut mich aber nicht so um wie der Rest der Band-Diskografie. Dennoch habe ich keine Zweifel, dass Ghost-Fans und generell alle, die Spaß an tolle Melodien und 80er-Jahre-Rock haben, das Album lieben werden.
Stillstand ist Rückschritt
Ein kleiner Disclaimer vorweg: Die Italiener*innen von Messa gehören zu meinen absoluten Lieblingsbands, ich kann mir kaum vorstellen, dass sie jemals etwas veröffentlichen werden, das ich nicht mag. Im Metal-Underground haben sie sich mit ihrer Mischung aus Doom Metal und Progressive Rock früh eine treue Fangemeinde erspielt. Ihr Album „Close“ (2022) war es dann, das ihnen größere Bekanntheit eingebracht hat – ein Album, das für viele schon jetzt als eines der besten der 2020er-Jahre gilt. Was das Quartett auszeichnet, ist seine Neugier. Der Sound ist ständig in Bewegung, und nie klingt ein Album wie sein Vorgänger. Das bleibt auch auf ihrem vierten Album „The Spin“ so. Die klassischen Doom-Metal-Einflüsse treten etwas in den Hintergrund und machen Platz für atmosphärische Momente. Das verleiht der Platte einen introspektiveren Charakter, den man so von der Band noch nicht kannte. Die grandiose Pianoballade „Immolation“ feiert die Stimme von Sängerin Sara Bianchin, die über jeden Zweifel erhaben über den Songs schwebt. In „The Dress“ gibt sich die Band voll ihrer Jazz-Leidenschaft hin. „At Races“ überrascht mit seinem subtilen Gothic-Vibe und die beiden Schlussnummern „Reveal“ und „Thicker Blood“ zeigen, dass die Band ihre Metalseite nicht vergessen hat. Die Vergleiche, die ich zu „The Spin“ gelesen habe, reichen von Joy Division über Tears For Fears und Sonic Youth bis hin zu Deep Purple und Black Sabbath. Und genau darin besteht der Zauber von Messa. Sie lassen sich in keine Schublade stecken, nehmen, was ihnen gefällt, und verwandeln es in etwas ganz Eigenes. „The Spin“ braucht mit seiner samtenen Dunkelheit vielleicht etwas länger, bis es sich einem völlig erschließt – aber für mich ist es die perfekte Ergänzung einer besonderen Diskografie.
Trans Girls Needs Guns
Normalerweise bin ich kein Fan davon, die Identität von Bandmitgliedern in den Fokus einer Besprechung zu rücken. Diesen ganzen Diskurs um das „Genre“ Female Fronted Metal finde ich unglaublich ermüdend. „Female Fronted“ ist kein eigenes Genre, und Frauen auf diese Weise hervorzuheben, ist dem Ansinnen, Metal diverser zu machen in meinen Augen eher schädlich (da respektlos gegenüber den musikalischen Fähigkeiten der Musikerinnen, die auf ihr Geschlecht reduziert werden).
Aber ab und an gibt es Bands, bei denen sich die Identität der Bandmitglieder nicht von der Musik trennen lässt. Das US-Quintett Flummox ist so ein Fall. Ich habe die Band 2020 kennen gelernt, als sie ihre Single „Trans Girls Need Guns“ veröffentlicht haben. Das Lied ist eine empowerende Hymne gegen die massive Gewalt, der trans Frauen ausgesetzt sind, und hat die Band an die Spitze der queeren Metalszene katapultiert. Nun, im Jahr 2025, sieht es so düster für die Rechte von trans Personen aus wie lange nicht. Man kann sich gut vorstellen, wie beängstigenden die Situation für Sängerin Alyson Dellinger und Gitarrist*in Max Mobarry sein muss. In diesem politischen Klima erscheint also das fünfte Album der Band.
Eines vorweg: „Southern Progress“ wäre auch ohne die politische Dimension ein großartiges, vielschichtiges und (im besten Sinne) absolut bizarres Album. Mir fällt aktuell nur die französische Band Igorrr ein, die musikalisch irgendwie vergleichbar wäre. Flummox sind mal barock, mal progressiv, mal dissonant, aber immer theatralisch. Es gehört extrem viel Talent dazu, sich bei so vielen unterschiedlichen Stilen nicht zu verlieren und trotzdem ein kohärentes Album abzuliefern. Dennoch ist es unzweifelhaft das Politische, das das Album von einem sehr guten zu einem sensationellen erhebt. Die Lyrics beschäftigen sich mit der Sexualität von trans Frauen („Southern Progress“), der Gewalt, der sie ausgesetzt sind („Femto’s Theme“), Depressionen („Locus Eater“), den Erfahrungen mit Transitionen („What We’re In For…“) und dem generellen Faschismus der US-Regierung („Always Something Going Down“). Dazu kommt, dass der Genregrenzen und Konventionen ignorierende Sound der Band die perfekte Allegorie für Gender-Fluidität darstellt. Als wäre das alles nicht genug, hat die Band auch noch ein super süßes Opossum als Maskottchen. Flummox haben allen Erfolg der Welt verdient und mit „Southern Progress“ eines der relevantesten Metalalben des Jahres veröffentlicht.
RIP The Lion’s Daughter
Die Nachricht, dass sich die US-Band The Lion’s Daughter auflöst, hat mich wirklich traurig gemacht. Metal ist als Musikgenre inzwischen so vielfältig geworden, dass es fast unmöglich ist, etwas zu tun, was noch niemand vorher getan hat. Und doch ist genau das dem Quartett aus St. Louis gelungen. Was als relativ generische Sludge-Metal-Band begann, hat sich spätestens mit dem Synth Metal ihren letzten beiden Alben „Skin Show“ (2021) und „Bath House“ (2023) zu etwas Außergewöhnlichem entwickelt. Beide Alben haben es in meine jeweiligen Jahres-Bestenlisten geschafft (hier 2021 und hier 2023) und ich finde, dass meine Beschreibung des Lion’s-Daughter-Sounds von damals noch immer die beste ist:
„Stellt euch vor, ihr seid in den 1970er-Jahren auf dem Times Square in New York. Es ist eine neblige Nacht, die Straßen sind erleuchtet von den Lichtern der Neoreklamen, in den Schatten halten sich zwielichtige Personen auf. Während ihr auf dem Heimweg seid, merkt ihr, dass ihr von jemandem (oder etwas?) verfolgt werdet. Für dieses Setting haben die Amis von The Lion’s Daughter den perfekten Soundtrack.“
Immerhin gibt es keinen tragischen Grund für die Auflösung. „Bands are not supposed to last forever,“ verkünden sie in einem Statement. „We’ve done every single thing we ever set out to do. Each of us will continue to play music (and more than likely with each other), but this thing called The Lion’s Daughter…well, we did that already.“ Und die Truppe um Gitarrist und Sänger Rick Giordano hat sich zum Abschied natürlich etwas ganz Besonderes einfallen lassen: „We’d rather go out with a bang and play one last show with our friends! And we’re going to donate every dime from that show to Stray Rescue. Hating people and loving dogs has always kinda been our thing.“
Damit RIP The Lion’s Daughter und danke für alles!
Ein Massaker in Stockholm
Endlich! Nachdem ich die letzten Jahre mit Dutzenden herausragenden Death-Metal-Alben verwöhnt wurde, war es dieses Jahr in meinem liebsten Metal-Subgenre erstaunlich ruhig. Das schwedische Quartett Lik hat das Gott sei Dank verändert. Die Stockholmer huldigen seit ihrem ersten Album „Mass Funeral Evocation“ (2015) den Größen der schwedischen Death-Metalszene der 1990er-Jahre. Entombed und Dismember lauern in jedem Schatten. Diesem Erfolgsrezept bleibt die Band grundsätzlich auch auf ihrem vierten Album „Necro“ treu – und doch entwickelt sie sich so weiter, dass es für mich ihr mit Abstand bestes ist. Die Produktion bleibt zwar angenehm Lo-Fi, trotzdem klingt der Sound dynamischer als zuvor. Das liegt insbesondere daran, dass Lik ihre Inspiration auf zwei andere schwedische Klassiker ausgeweitet haben. Immer wieder blitzt der Göteborg-Sound durch, den In Flames und At The Gates berühmt machten. Für jemanden, der mit den frühen Alben dieser beiden Bands groß geworden ist, sind Songs wie „War Praise“, „In Ruins“ und „They“ ein Throwback in eine goldene Zeit. Lik gelingt es, die Balance zu halten, die Melodeath-Momente sind sparsam gesät. Im Herz ist „Necro“ immer noch ein verdammt drückendes Stück Old School Death Metal. Es gibt aktuell keine Bands, die den schwedischen Sound vergangener Tage so beeindruckend zu neuem Leben erweckt.
Das Ende des langen Schattens
Ich neige ja zu Superlativen – aber wenn ich sage, dass die Amis von Deafheaven eines der einflussreichsten und kontroversesten Alben der Metalgeschichte veröffentlicht haben, wird mir niemand widersprechen. Als „Sunbather“ 2013 erschien, schlug es in der Black-Metal-Szene ein wie ein Asteroid. Die Band hat Blackgaze, das Genre, bei dem sich Black-Metal-Puristen die Nägel biegen, mit einem Schlag berühmt gemacht. Zwar waren Deafheaven nicht die ersten, die Black Metal mit Shoegaze, dem extrem sphärischen und melodiösen Rockgenre, verbunden haben – aber niemand hat es so erfolgreich getan wie sie. Was das Fass aus Sicht der Gatekeeper zum Überlaufen gebracht hat, war die Ästhetik der Band, angefangen vom grellen orange-pinken Albumcover bis zu den Outfits der Bandmitglieder, die eher an kalifornische Hipster denn norwegische Black Metaller erinnern. Ich weiß nicht, ob es jemals ein Metalalbum gab, das die Fanlager so gespalten hat. Für die einen ist es ein Meisterwerk, das Black Metal aus stinkenden Kellern in das strahlende Licht der großen Festivalbühnen erhoben hat, für die anderen ist es purer Verrat am berüchtigtsten Metalsubgenre. Wie man zu dem Album auch stehen mag, Deafheaven hat es nie geschafft, sich von ihrem größten Erfolg zu emanzipieren. Sie war immer die „Sunbather“-Band. Als das Quintett aus San Francisco 2021 mit „Infinite Granite“ ihre Black-Metal-Wurzeln dann fast komplett zugunsten des Shoegazes aufgab, hatte ich mit der Band eigentlich schon abgeschlossen. Oh Boy, lag ich falsch.
„Lonely People With Power“ (was ein gigantisch guter Titel) ist eine spektakuläre Rückkehr zum Black Metal. Mit „Doberman“ und „Magnolia“ eröffnen das Album zwei garstige Black-Metal-Brecher, die wie eine Ansage an alle Puristen wirkt: Ihr wollt echten Black Metal, wir geben euch echten Black Metal. Die atmosphärischen Shoegaze-Momente im Hintergrund verstärken die Blast Beats und George Clarkes Screams auf beeindruckende Art. Durch diesen Shift hin zu mehr Härte wirken die reinen Shoegaze-Momente umso kathartischer („Heathen“). Die drei „Incidental“-Teile, die das Album strukturieren, verstärken die klaustrophobische und verzweifelte Stimmung der Platte. Insbesondere der Übergang von „Incidental II“, in dem die Band sich ganz dem Drone Metal hingibt, zu „Revelator“ verpasst mir Gänsehaut. Abgerundet wird das Album mit „The Marvelous Orange Tree“, der die Platte auf einer hoffnungsvollen Note ausklingen lässt. „Lonely People With Power“ ist nicht nur eines der besten Alben des Jahres, sondern für mich auch das beste, was Deafheaven je veröffentlicht hat. Der Schatten der „Sunbather“-Zeiten liegt endgültig hinten ihnen.
Danke, mal wieder sehr lesenswert. Vor Messa und Deafheaven verneige ich mich kontinuierlich, Ghost geht mir immer noch am Arsch vorbei. Egal. Weniger egal ist mir, wenn Ghost auf ihrer laufenden, Smartphonefreien Tour Antisemitismus verbreiten. Auf Insta (kann nicht verlinken, bin da nicht. Aber Du doch, glaube ich?) gab es eine Aussage von einem Fan aus FFM, der extrem geschockt war von der optischen Umsetzung bei einem Song, die er/sie ja nicht filmen konnte. In den mir bekannten Metalforen hat das sonst niemand thematisiert, was leider wenig überraschend ist. Wenn ich dazu noch mal mehr finde schreibe ich Dir das, eventuell bist Du da aber schneller. LG
In Lik und Flummox werde ich definitiv reinhören, das liest sich vielversprechend. Von der neuen Ghost bin ich hingegen schwer enttäuscht. Das kippt mir zu sehr in den Plüsch Hard Rock der 80er, und die Rush-Anleihen sind mir zu plump umgesetzt. Schade. Dafür bin ich umso begeisterter von Deafheaven. Grundgütige*r, was für ein fantastisches Album!
So oder so Danke für einen wie immer tollen Newsletter! ☺️