Ein kleiner Spoiler für den Rest meines Countdowns. Das Jahr war so vollgestopft mit herausragender Musik, dass es einige der größten Metalbands dieses Planeten nicht auf diese Liste geschafft haben (nicht, dass es sie interessier würde, aber naja). Kein Iron Maiden, kein At The Gates, kein Jinjer, kein Cradle of Filth und auch kein Dream Theater. Nicht, dass alle der 2021 erschienen Alben dieser Bands schlecht gewesen wären, aber gerade im Metal Underground sind so viele spannende Sachen passiert, dass die Großen teilweise einfach nicht ganz mithalten konnte. Und wenn es um Bands aus dem Underground des Metals geht, kenne ich keine Person, die sich besser auskennt als die Kandierin Sarah Kitteringham (was für eine Überleitung, oder?!). Ich habe jetzt hier nämlich meinen kleinen Fanboy Moment, denn Sarah ist nicht nur eine überragende Journalistin und fantastische Musikerin, sondern sie hat sich auch bereiterklärt, ihre Lieblingsalben 2021 mit uns zu teilen (und wer Sarah kennt, weiß, dass sie sich nicht mit einer Empfehlung begnügt.) Macht es wie ich und vertraut Sarah, hört euch ihre Tipps an, denn sie hat mehr Ahnung von Metal als wir alle zusammen.
Sarahs Picks:
„Hey all, I’m Sarah and I’m the vocalist of epic heavy metal band Smoulder and a music journalist whose byline appears on Banger TV, Decibel Magazine, and more. My favourite metal releases of 2021 are the full length albums by Australian true doom outfit Lucifer’s Fall (Vol III: From the Deep), American melodic black metal band Stormkeep (Tales of Othertime), American adventure metal project Morgul Blade (Fell Sorcery Abounds), Russian epic thrashers Mystic Storm (From the Ancient Chaos), and Canadian vicious black metal band Spectral Wound (A Diabolic Thirst). Although 2021 sucked courtesy of Covid, it’s amazing to see the metal underground continue to be a wellspring of brilliance.“
Und weil ich mich nicht entscheiden konnte, welche Band ich euch hier verlinke, verlinke ich euch einfach Sarahs grandiose Review des Stormkeep Albums. Zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen, yeah! (Und wer mehr Sarah Content will, auf Social Media (vor allem Instagram) findet ihr sie unter @lastvinylbeforedoomsday.)
#30 Lantlos – Wildhund (VÖ: 30.07)
Seit dem letzten Album, das auch schon wieder sieben Jahr zurückliegt, haben Lantlos nicht nur das ô aus ihrem Namen gegen ein o getauscht, sondern sie haben sich auch musikalisch neu erfunden. War die deutsche Band um Sänger und Gitarrist Markus „Herbst“ Siegenhort in den 2000er und frühen 2010ern eine der besten, aufregendsten und unterschätztesten Blackgaze und Post-Black Metal Bands, so haben sie den Black Metal 2021 vollständig aus ihrem Sound gestrichen. Und das war eine fantastische Entscheidung. Auf Wildhund gibt sich Lantlos ganz dem Post-Rock und Metal hin. Es stehen große Sound- und Melodiewände im Vordergrund der Musik, die eine warme Atmosphäre verbreiten. Gerade die Stimme von Herbst klingt so emotional, wie noch nie in seiner Karriere. Unter dieser oberflächlichen Friedlichkeit, lauert aber eine Spannung, ein unruhiges Surren, dass dafür sorgt, dass sich die Hörenden nie zu sichern fühlen können. Ich weiß nicht wie Lantlos diese spezielle Stimmung geschaffen haben, aber ich weiß, dass mich Wildhund deswegen nie so richtig losgelassen hat. Eines der emotional intensivsten Alben des Jahres.
#29 Whitechapel – Kin (VÖ: 29.10.)
Auf ihrem letzten Album, dem grandiosen The Valley (2019), haben Whitechapel einen radikalen Bruch in ihrer Musik vollzogen. Die Band aus den USA blieb im Grund ihres Sounds zwar im Deathcore verankert, öffnete aber sich für melodischere Einflüsse und integrierten erstmals klaren Gesang in ihre Lieder. Dazu kam das Konzept des Albums, dass den Untertitel „based on true events“ trägt: In diesem verarbeitet Sänger Phil Bozeman die Misshandlungen in seiner Kindheit und beschreibt, wie ihn diese bis heute begleitet. The Valley war ein spektakuläres Album. Mit Kin hat das Sextett nun einen direkten Nachfolger vorgelegt und geht den eingeschlagenen Weg konsequent weiter. Im Sound wird der Kontrast zwischen dem brutalen Death Metal Riffing, den harten Breakdowns und den emotionalen, ruhigen Passagen noch mal extremer und auch in den Lyrics gießt Bozeman weiter sein Herz vor den Hörenden aus. Für mich persönlich hat das Album nicht ganz den Effekt, den The Valley hatte, einfach weil ich viele „Tricks“ der Band inzwischen kenne. Dennoch liefert Kin so viel Emotionalität und grandioses Songwriting, dass es für mich die beste Deathcore Platte des Jahres ist (und mit Orphan die wahrscheinlich schönste Ballade, die das Genre seit langer Zeit gehört hat).
#28 Boss Keloid – Family the Smiling Thrush (VÖ: 04.06.)
Es wird seltsam! Eigentlich habe die Briten Boss Keloid ihre Wurzeln im Sludge Metal, einer dreckigen, harten Spielart des Dooms, auf ihrem fünften Studioalbum Family the Smiling Thrush (ich habe keine Ahnung was der Titel bedeuten soll, falls jemand weiterhelfen kann, meldet euch gerne!) verschieben das Quartett seinen Sound nun aber ein Stückweit in den Psychedelic und Progressive Rock. Das fühlt sich phasenweise wie ein angenehmer Drogentrip an, bei dem uns Gitarrenriffs und Drum-Patterns in den unterschiedlichsten Farben entgegenfliegen. Dennoch schaffen es Boss Keloid dem Album eine Kohärenz zu verleihen, die dafür sorgt, dass ich mich als Hörer nicht gänzlich in den psychedelischen Irrungen verliere, mit denen ich konfrontiert werde. Die kratzige, aber angenehm melodiöse Stimme von Sänger Alex Hurst hilft ungemein dabei, sich in den verwirrenden Welten von Family the Smiling Thrush zurechtzufinden. Ich möchte das nicht als Aufforderung zum Drogenkonsum verstanden wissen - aber sollte es ein Album aus diesem Jahr geben, das perfekt passt, um die bevorstehende Legalisierung von Cannabis zu feiern, dann liegen Boss Keloid sicher ganz weit vorne!
#27 TOWER – Shock to the System (VÖ: 12.11.)
Falls ihr es noch nicht gemerkt habt: Ich liebe die New Wave of Traditional Heavy Metal! Es gibt für mich wirklich keine bessere Gute-Laune-Garantie als all‘ diese Bands, die sich ganz dem klassischen Heavy Metal Sound der 1970er und 80er verschrieben haben. Das beste Album des Trad Metals stammt in diesem Jahr, zumindest meiner Meinung nach, von den New Yorker*innen TOWER. Auf Shock to the System stimmt einfach alles. Vom grandiosen Songwriting, der unglaublichen Hitdichte (Hired Gun, Running out of Time und Out of Line dürfen künftig auf keiner Heavy Metal Party mehr fehlen), der supercoolen Punk-Attitüde, bis zum tollen Pacing des Albums (also wie sich langsamere und schnellere Lieder die Waage halten) wird alles was das Quintett anpackt zu Gold. Ganz im Zentrum steht für mich dabei Sängerin Sarabeth Linden, deren gewaltige Stimme einfach jeden Song für sich einnimmt und so TOWER von dem Meer an klassischen Heavy Metal Bands da draußen abhebt. Das funktioniert vor allem bei den Mid-Tempo Nummern Prince of Darkness und Lay Down the Law hervorragend. Sie hat einfach so eine Stimme, die man aus tausenden auf Anhieb wieder erkennen würde. Sobald es pandemisch wieder vertretbar ist, werde ich meine Freund*innen bei jeder sich bietenden Möglichkeit dazu drängen, dieses Album beim gemeinsamen Biertrinken oder Kochen anzumachen. Bis dahin genieße ich Lindens unglaubliche Stimme und Shock to the System aber ganz für mich.
#26 Bala – Maleza (VÖ: 14.05.)
Da sag nochmal eine*r Grunge wäre tot! Okay, so richtig Grunge ist es nicht, was das spanische Duo Bala uns auf ihrem dritten Album Maleza da ungeschliffen um die Ohren haut, aber es verkörpert viel von diesem Grunge-Spirit. Anx (Gitarre, Gesang) und V (Drums, Gesang) verbinden Grunge mit Stoner Rock und Hardcore Punk Elementen, um einen wirklich drückenden Sound zu schaffen. Auf gerade einmal 25 Minuten (Maleza ist damit das kürzeste Album auf dieser Liste) entfesseln die Beiden eine Energie, die gerade im Sommer genau das Richtige für mich war. Das alles hat Ecken und Kanten, aber ist genau deswegen so grandios. Wenn man dann noch berücksichtigt, dass Bala für ihre Lyrics teilweise Gedichte spanischer Lyrikerinnen vertont haben, ist das Gesamtpaket perfekt. Maleza ist ein perfektes Sommeralbum und bringt mir auch in der dunklen Jahreszeit immer wieder ein bisschen Sonne, positive Stimmung und gute Laune ins Wohnzimmer.
#25 Vildhjarta – måsstaden under vatten (VÖ: 15.10.)
Härter könnte der Bruch jetzt wohl nicht sein – vom energiegeladenen Sound Balas, begeben wir in die unwirtlichen Unterwasserwelten Vildhjartas (aber das ist ja das Schöne am Metal, diese unglaubliche Vielfalt). Genauer gesagt begeben wir uns in die Stadt måsstaden, die die Schweden schon auf ihrem Debüt (2011) besangen, und die wir auf ihrem heiß ersehnten zweiten Album nun nach einer Flutkatastrophe wieder betreten. Ich habe in meinem Oktober Newsletter ja schon ausführlich über die Bedeutung von Vildhjarta für den Progressive Metal der 2010er geschrieben und beschränke mich hier darauf, noch einmal auf diese besondere Stimmung hinzuweisen, die måsstaden under vatten verbreitet. Das Album entwickelt eine Atmosphäre, die beengend und beängstigend, bedrückend und kalt ist. Und dennoch schafft es die Platte mich als Hörer an sich zu fesseln und immer wieder zu sich zurückzurufen. Immer wieder scheint Hoffnung durch den dichten Soundnebel, mal in Form eines kurzen Klargesangparts, mal durch einen melodiösen Gitarrenriff. Ich hoffe sehr, dass ich nicht weitere zehn Jahre auf ein neues Vildhjarta Album warten muss, aber falls das doch der Fall sein sollte und ihr drittes Werk nur halb so gut ist wie dieses, dann wäre es auch diese Warterei wert.
#24 The Lion’s Daughter – Skin Show (VÖ: 09.04.)
Apropos seltsame und irgendwie beängstigende Musik – Vorhang auf für The Lion’s Daughter. Der Sound dieses US-amerikanischen Trios ist so einmalig, dass es selbst in den Weiten des Metalkosmos keine Gruppe gibt, die mir als passender Vergleich einfällt. The Lion’s Daughter klingen als hätte eine Synth-Wave Band, mit einer absurden Vorliebe für klassische Horror-Filme, sich entschlossen E-Gitarre zu kaufen und die Verstärker auf maximale Verzerrung zu drehen. Skin Show zu hören, ist das musikalische Äquivalent eines Spaziergangs im New York der 1980er Jahre, vorbei an Neonreklamen mit dem Gefühl im Nacken, dass man von jemandem verfolgt wird. Es ist nervenaufreibend, unbequem und irgendwie bedrohlich. Musikalisch nehmen die Synthesizer Melodien einen prominenten Part ein und stehen gleichberechtigt neben den sludgy Gitarrenriffs und der kratzigen Stimme von Rick Giordano. Hier und da verweben The Lion’s Daughter auch bekannte Horror Film Elemente (in Neon Teeth hat die Melodie aus Der Exorizist einen kurzen Gastauftritt) und tragen so zusätzlich zu dieser unheimlichen Atmosphäre bei. Ein Album, das im besten Sinne zum Gruseln ist.
#23 Fractal Universe – The Impassable Horizon (VÖ: 25.06.)
Das Saxofon ist nun seit einigen Jahren schon keine völlige Neuheit mehr im Metal. Gerade Rivers of Nihil 2018er Album Where Owls Know My Name hat dahingehend Maßstäbe gesetzt. Viele Bands versuche seitdem an den Erfolg anzuknüpfen und wenn wir ehrlich sind - viele davon scheitern grandios. Anders liegt die Sache mit den Franzosen von Fractal Universe und ihrem dritten Album The Impassable Horizon. Die Vorbilder des Quartetts sind omnipräsent: neben den bereits genannten Rivers of Nihil, sind auch die Progressive Metal Titanen Opeth und die deutschen Tech-Deather Obscura an vielen Stellen herauszuhören. Nur gelingt es Fractal Universe (im Gegensatz zu vielen anderen Bands), aus diesen Zitaten trotzdem etwas eigenständiges und genuin Neues zu kreieren. Das Ergebnis ist ein progressiver und technisch anspruchsvoller Death Metal, der dennoch zahlreiche eingängige und schöne Parts besitzt. Seien es ruhige instrumentale Passagen, der klare Gesang von Vince Wilquin oder eben die Saxofon-Soli, die nie kitschig werden, sondern einen (auch wenn das seltsam klingt) zum Death Metal passenden Sound haben. Vor allem in A Clockwork Expectation gelingt der Band alles was ich hier beschrieben habe in Perfektion. Ich bin gespannt, was uns das Quartett in den nächsten Jahren noch präsentieren wird. Ich habe so im Gefühl, dass die Jungs ein Where Owls Know My Name-würdiges Meisterwerk im Köcher haben.
#22 Carcass – Torn Ateries (VÖ: 17.09.)
Es ist die erste richtige große Band in meiner Liste und ich bin ehrlich, hätte mir vor dem Jahr jemand gesagt, dass ich das neue Album von den Death Metal und Grindcore Pionieren Carcass so abfeiern würde, hätte ich wahrscheinlich nur müde gelächelt und abgewunken. Okay, ihr 1995er Album Heartwort gehört zu den einflussreichsten Metalalben aller Zeiten, aber seitdem hat die Band um Jeff Walker und Bill Steer nicht gerade durch regelmäßige Outputs geglänzt. Und ihr 2013er Comeback Album Surgical Steel (in dessen Jubelstürme ich nicht ganz miteinfallen konnte) ist nun auch schon acht Jahre her. Aber was die Band auf ihrem siebten Album abliefert ist so unglaublich unterhaltsam, dass ich begeistert bin. Man merkt Steer und Walker an, dass sie einfach nur noch Spaß haben wollen an dem was sie tun. Egal ob das der echt sympathische britische, Boomer Humor von Songs wie Eleanor Rigor Mortis ist, oder eben die ansteckende Spielfreude auf Songs wie Dance of Ixtab und Kelly’s Meat Emporium. Mit Flesh Ripping Sonic Torment Limited wagen Carcass sogar einen fast zehn Minuten langen Ausflug in progressive Gefilde. Torn Ateries ist der Beweise, dass auch Metalbands gut altern können. Das ist vielleicht nicht Carcass innovativste Werk, aber ein Vierteljahr nach Erscheinen kann ich guten Gewissens sagen, dass es (gleichauf mit Heartwork) meine liebste Platte der Liverpooler ist.
#21 Leprous – Aphelion (VÖ: 27.08.)
Dass das neue Album von Leprous „nur“ auf Platz 21 meines Countdowns landet, zeigt wie unfassbar viele gute Alben dieses Jahr rausgekommen sind. Denn ich liebe sowohl die Norweger um Frontman Einar Solberg als auch ihr siebtes Album Aphelion. Das wichtigste Merkmal der neuen Platte direkt vorweg: die Opeth-isierung von Leprous schreitet nahtlos weiter voran (und das ist definitiv als Kompliment gemeint). Seit einigen Jahre verabschiedet sich das Quintett vom Death Metal inspirierten Progressive Metal ihrer Anfangsjahre und begibt sich weiter in den Progressive Rock. Ein Sound, der der Band unglaublich gutsteht. Denn machen wir uns nichts vor, Leprous lebt von der markanten, hohen (und mich teilweise an A-ha erinnernden) Stimme Solbergs, die auch bei Aphelion wieder im Mittelpunkt steht. Um diese arrangiert die Band ihre Musik sorgfältig und zeigt sich vielfältiger als je zuvor. Dass die Norweger das Album ohne klares Konzept in drei verschiedenen Studios während der Lockdowns aufgenommen haben, hat zu einer Freiheit geführt, die förmlich hörbar ist. Streicher (Running Low), atmosphärische Ambient-Einlagen (Have You Ever?), Piano getriebene Lieder (Castaway Angel) und wenn es dem Song dienlich ist, auch aggressive Gitarreriffs (die freilich seltener sind als früher, The Silent Revelation): Aphelion ist wie eine große Spielwiese für Leprous, und wir dürfen der Band beim herumtollen zugucken. Wie bei den eingangs erwähnten Opeth wird es auch hier wieder einige geben, die dem harten Sound vergangener Tage nachhängen, aber solange Leprous solche Alben schreibt, dürfen sie sich von meiner Seite aus so viel im Progressive Rock tummeln, wie sie mögen.