Die Sommerpause ist vorbei. Gut, ich hatte keine angekündigt, aber es ist eine super gute Begründung dafür, dass ich ein paar Monate nichts geschrieben habe. Leider komme ich jetzt auch nicht mit lustigen, leichten Themen daher, sondern gehe direkt in die Vollen mit einer Frage, die mich schon lange umtreibt: Wie problematisch ist die Metalszene? Der Grund für meinen Text ist aber ein aktueller. In den vergangenen Wochen gab es einige Vorfälle innerhalb der Szene, die nicht mit dem Selbstbild als Hort der Glückseligkeit übereinstimmen. Sexismus, Rassismus, Misogynie und Transfeindlichkeit, sprich alle Probleme, die es in unserer Gesellschaft gibt, gibt es selbstverständlich auch innerhalb der Metalszene. Ich möchte heute an drei konkreten Fällen diskutieren, wie wir besser damit umgehen können.
Wer hat Angst vorm Dunklen Parabelritter? [CN Sexualisierte Gewalt]
Ich glaube, die meisten Metalfans in Deutschland kennen den Dunklen Parabelritter. Alexander Prinz hat auf seinem YouTube-Kanal über eine halbe Millionen Follower*innen und kann getrost als Deutschlands größter Metal-Influencer bezeichnet werden (ja ja, er macht inzwischen weniger Metal-Content, aber damit ist er bekannt geworden). Vor fünf, sechs Jahren habe ich einige seiner Videos selbst gerne geguckt. Irgendwann habe ich sogar auf Wacken mal ein Foto mit ihm gemacht. Na ja, man lernt immer dazu.
Der Anlass, wieso ich jetzt über ihn schreibe, ist eine Dokumentation des Reportageformats STRG_F von Funk (ein Onlinenetzwerk von ARD und ZDF, das sich vor allem an junge Menschen richtet). In der Reportage „Dark Side of Metal“ haben die Journalistinnen Isabell Beer und Kim Eckert in diesem Sommer Metal-Festivals besucht (unter anderem Wacken und Summerbreeze) und sich dort mit sexualisierter Gewalt und rechten Einflüssen befasst. Konkret ging es darum, ob die Selbstwahrnehmung der Szene, dass Metal-Festivals friedlicher sind als andere, mit der Realität übereinstimmt. Das Ergebnis ist so ernüchternd wie selbstverständlich: Metal-Festivals sind kein Mekka der Glücksseligkeit. Es gibt sexualisierte Gewalt und Übergriffe. Es wird Merchandise von rechtsradikalen, antisemitischen und offen nationalsozialistischen Bands verkauft, einige Fans tragen Patches dieser Bands. Auf diese Missstände aufmerksam zu machen, sollte jedem Metalfan ein Anliegen sein, der es ernst damit meint, die Szene zu einem sichereren Ort für marginalisierte Menschen zu machen.
Es gibt einige legitime Kritikpunkte an dem Beitrag von STRG_F: In Interviews wird Victim Blaming nicht als solches markiert, die beiden Themen (Sexismus und sexualisierte Gewalt und Rechtsextremismus in der Szene) sind zu vielfältig, um sie in einem Video zu verhandeln, Menschen und Organisationen, die sich gegen diese Entwicklungen einsetzen, kommen nicht zu Wort. Vorhang auf, der Parabelritter. Denn Alexander Prinz hat sich berufen gesehen, auf seinem Kanal auf diese Reportage zu reagieren und was er seiner Followerschaft vorgesetzt hat, spiegelt das wider, für das er in den vergangenen Jahren steht. Er relativiert die Probleme der sexualisierten Gewalt auf Festivals und dem inkonsequenten Umgang mit rechtem Gedankengut, entwertet implizit die Erfahrungen der Betroffenen und geht die beiden Journalistinnen auf eine misogyne und herablassende Art an. (Man kann sich die Kommentarspalten der jeweiligen Social-Media-Auftritte der beiden Journalistinnen ja vorstellen. Volle Solidarität mit ihnen!) Sein Grundtenor lautet stets: Klar, es gibt „Einzelfälle“, die problematisch sind, aber wir als Szene sind doch total super.
Damit verhindert er aktiv, dass es Prozesse der Aufarbeitung gibt. Zudem bedient Prinz die gängige Verteidigungsstrategien gegen sexualisierte Gewalt. Als in der Reportage eine Musikerin sagt, dass sie sexuelle Übergriffe auf Konzerten erlebt hat, und eine Kollegin einwendet, sie habe das nicht erlebt, macht Prinz daraus: Naja, woher sollen wir denn wissen, was stimmt? Ganz nach dem Motto, wenn nicht alle Frauen sexuell belästigt werden und das auch sagen, können wir nicht wissen, ob es wirklich passiert ist. Das ist Rape Culture. Diese Logik wird häufig zur Verteidigung von Tätern genutzt. Nur weil ein Vergewaltiger nicht jede Frau vergewaltigt, die er kennt, und es dementsprechend Frauen gibt, die ihn als super Typen beschreiben, macht das die Erfahrung der Opfer nicht unglaubwürdig. Genauso muss nicht jede Frau auf einer Veranstaltung sexuell belästigt werden, damit wir sagen können, diese Situation war kein Safe Space für Frauen.
Die ganze Motivation von Prinz‘ Reaktion ist die Relativierung des Problems. Anstatt die STRG_F-Reportage zum Anlass zu nehmen über diese Probleme in der Szene zu sprechen, Opfern zuzuhören und aktiv dafür zu sorgen, die Szene zu einem besseren Ort zu machen, arbeitet Prinz mit Auslassungen und nutzt seine Reichweite, um vom eigentlichen Problem abzulenken und auf (aus seiner Sicht) handwerklichen Mängeln rumzureiten. Für mich ist das eine katastrophale Verschiebung des Fokus.
Ich verstehe, wie schwierig es sein kann, sich damit auseinanderzusetzen, dass es rechte und sexistische Strukturen in der Szene gibt, die man liebt, dass es weh tut, wenn eine Band, die einem unfassbar viel bedeutet, sich als problematisch, übergriffig, rassistisch, sexistisch, gewalttätig, you name it, herausstellt. Aber die eigenen Empfindungen sollten niemals über dem Leid und den Erfahrungen der Opfer stehen. Ich musste diesen Lernprozess selbst durchmachen – wie jede Person aus der Szene, die ich kenne. Als ich angefangen habe, Metal zu hören, war As I Lay Dying meine absolute Lieblingsband. Ich hatte jedes Album auf CD, hatte Shirts und war auf einigen Konzerten. Als der Sänger Tim Lambesis 2014 dann zu sechs Jahren Haft verurteilt wurde, weil er versucht hat, einen Auftragsmörder auf seine Frau anzusetzen (der sich Gott sei Dank als Undercover-FBI-Agent herausstellte), hat mich das hart getroffen. Ich hatte damit zu kämpfen, diese Band gehen zu lassen, und habe länger dafür gebraucht, als mir heute lieb ist. Gleiches gilt für die Metalszene als Ganzes. Sie wird nur zu dem Ort, den ich mir wünsche, wenn ich mich aktiv dafür einsetze und nicht die Augen vor den Problemen verschließe. Dieser Prozess ist schmerzhaft, aber notwendig. Der Dunkle Parabelritter verhindert diese Auseinandersetzung und richtet damit ungemeinen Schaden an.
Inzwischen gibt es eine Reaktion des STRG_F-Teams auf das Video von Alexander Prinz, dass ich euch nur wärmstens ans Herz legen kann. Darin kommen jetzt auch Expert*innen aus der Szene zu Wort, unter anderem die Journalistin Christina Wenig (Metal Hammer) und der Musiker Ricardo Baum (The Night Eternal), die ebenfalls sehr hörenswerte Dinge zu sagen haben.
Willkommen in der Cancel-Culture-Welt
Mich fasziniert, was Menschen für relevante Probleme in der Welt halten. Neulich habe ich den Fehler gemacht, in das neue Album von Primal Fear reinzuhören, einer recht erfolgreichen deutschen Heavy-Metal-Band, die mit ihren letzten drei Alben jeweils die Top 10 der deutschen Charts erreicht hat. Und natürlich haben es sich die Männer um Sänger Ralf Scheepers, der zu den einflussreichsten deutschen Metal-Frontmännern überhaupt gehört (unter anderem war er ein Teil von Gamma Ray und Avantasia), nicht nehmen lassen, einen Song über Cancel Culture zu schreiben. Der Text dieses Liedes ist so unglaublich platt, dass ich wirklich kurz dachte, es müsste sich um Satire handeln:
„It’s the curse of the Cancel Culture// It’s the fall of democracy // When the witch-hunt has begun // And we gather around the funeral pyre”
Aber nein, dieser Song, der direkt von einer Donald-Trump-Playlist stammen könnte, ist eine Auseinandersetzung der Herren von Primal Fear mit unserer Gegenwart. Eine Diagnose haben die ach so hartgesottenen Metaler natürlich auch direkt im Gepäck: „Jealousy is truning to hatred/And hatred is turning to frust“. Natürlich ist es Eifersucht, die hinter dieser bösen Cancel Culture steckt – Jesus Christ. Für eine Band, die sich selbst als so tough inszeniert wie Primal Fear, sind die Jungs ziemlich weinerlich unterwegs. Na ja, dem Dunklen Parabelritter wird’s gefallen. Und weil es mich unfassbar frustriert, dass dieser generische Müll so erfolgreich ist, hier drei Alben, die ihr statt Primal Fear hören könnt:
Burning Witches – The Dark Tower (VÖ: 05.05.): Feinster Heavy Metal aus der Schweiz, der angenehm retro klingt, ohne dabei gängige Klischees zu wiederholen.
Spirit Adrift – Ghost at the Gallows (VÖ: 18.08.): Die vielleicht technisch anspruchsvollste Band der New Wave of Traditional Heavy Metal, die dabei aber niemals die Spaßfaktor vergisst.
The Night Eternal – Fatale (20.07.): Heavy Metal meets Goth und absolut etwas für alle Fans von Unto Others. Außerdem ist der oben bereits erwähnte Ricardo Baum am Mikro und seine Stimme gehört wirklich zu den spektakulärsten, die es aktuell in der deutschen Metallandschaft zu hören gibt.
Thy Art is Konsequenzen
Um das nochmal zu verdeutlichen: Cancel Culture wird als Strohmannargument von Menschen benutzt, die für ihre Handlungen Konsequenzen erfahren. Das neueste Beispiel ist CJ McMahon, Ex-Frontman der australischen Deathcore-Crew Thy Art is Murder. Diese hat am 22. September ihr neues Album „Godlike“ veröffentlicht – der eine, zumindest in meiner Erinnerung, beispiellose Konsequenz der Band vorausging. Denn ursprünglich sollte das Album eine Woche früher erscheinen. Was war vorgefallen?
Im August hat McMahon sich auf seinem Social-Media-Kanal extrem widerlich und transfeindlich geäußert. Seine Aussagen gingen soweit, dass er einer Mutter, die ihrem Kind sagte, sie akzeptiere es, egal ob es Junge oder Mädchen sei, den Tod wünschte (mehr Infos dazu hier). Daraufhin hat die restliche Band einen neuen Frontmann gesucht, um das komplette Album neu einzusingen. Dieser Prozess hat dazu geführt, dass „Godlike“ erst eine Woche später veröffentlich wurde. Am Tag der tatsächlichen Veröffentlichung hat Thy Art is Murder in einem Statement mitgeteilt, dass McMahon nicht mehr Teil der Band ist.
Wie viel Arbeit noch vor uns liegt, zeigen die Reaktionen auf den Social-Media-Kanälen der Band. Neben Zuspruch gab es viel Hass für die restlichen Bandmitglieder und der Vorwurf vermeintlicher Cancel Culture ging um. Dass es für Musiker*innen unzumutbar ist, mit einem transfeindlichen und scheinbar auch sonst unglaublich problematischen Typ in einer Band zu spielen und es das gute Recht einer Band ist zu entscheiden, wer Mitglied ist und wer nicht, das kam der Cancel-Culture-Fraktion nicht in den Sinn. Besonders bizarr wurde es, als vermehrt Stimmen laut wurden, auch von anderen rechten und queerfeindlichen Musikern aus der Szene, die Band und das Album zu boykottieren. Wer versucht hier, wen zu canceln?
Und McMahon? Der hat in den vergangenen Tagen gezeigt, dass die Band das einzig Richtige getan hat. Ein Entschuldigungsvideo, das er nach seinen unfassbaren Aussagen gepostet hatte, hat er inzwischen mit dem Verweis gelöscht, er wäre von der Band dazu gezwungen worden und stünde zu seinen Aussagen.
Dieser Fall und die Unterstützung, die McMahon erhält, zeigen, wie salonfähig Trans- und Queer-Feindlichkeit in Teilen der Metalszene noch ist. Das Vorgehen der Band, die damit auch juristisch und finanziell einige Risiken eingeht, finde ich konsequent und wünsche ihnen für die Zukunft viel Erfolg. Zwar kann man auch hier diskutieren, wieso sie überhaupt so lange mit ihrem alten Sänger zusammengearbeitet haben, aber wenn man über ein Jahrzehnt so eng miteinander ist, ist es auch schwer wahrhaben zu wollen, dass ein Kollege und Freund sich in so eine Richtung verändert hat.
Es ist nicht alles schlecht!
Puh. Es macht mir nicht wirklich Spaß, über diese Dinge zu schreiben, aber es ist wichtig. Es ist wichtig, weil ich möchte, dass die Szene, die ich so sehr schätze, ein Ort ist, an dem sich alle Menschen wohlfühlen können (außer solche mit menschenfeindlichen Ansichten, die sollen bitte Angst haben!).
Damit wir etwas Schönes zum Abschluss haben, hier noch zwei Alben, die ich euch sehr ans Herz lege.
Crypta – Shades of Sorrow (VÖ: 13.08.)
Die Entwicklung der brasilianischen Death-Metal-Band Crypta ist faszinierend. Seit der Trennung von Nervosa (ich habe hier im Newsletter schon einmal ausführlich über den Zusammenhang der beiden Bands geschrieben) zeigt das Quartett, dass es mit jeder Faser ihrer Körper Death Metal lebt und zum Besten zählt, was das Genre zu bieten hat. „Shades of Sorrow“ ist eine Liebeserklärung an den Death Metal der 1990er-Jahre. Vom aggressiven Sound der Florida-Szene bis zu den Melodiebögen der skandinavischen Vertreter*innen, auf dem zweiten Album der Band, wird jeder Death-Metal-Fan glücklich. Und insbesondere einer meiner Lieblingsbands aller Zeiten, Death, stand scheinbar mehr als einmal Pate, wenn es darum geht, Songs zu schreiben, die über das übliche Death-Metal-Schema hinausgehen. Eine der besten Extreme-Metal-Platten des Jahres!
An Autumn for Crippled Children – Closure (VÖ: 04.08.)
Girls, Guys and non-binary Pals – darf ich euch die Metalband mit dem grässlichsten Namen der gesamten Szene vorstellen? Ich würde zu gerne wissen, was sich das Trio aus den Niederlanden bei ihrer Gründung vor 15 Jahren gedacht hat. Aber wie dem auch sei, die Musik der Band ist so schön, wie ihr Name abstoßend. Blackgaze lautet das Zauberwort. Bei dem Subgenre handelt es sich um eine Mischung aus Black Metal und Shoegaze/Post Metal. Shoegaze kommt aus der britischen Alternative-Rock-Szene der 1980er- und 1990er-Jahre und zeichnet sich durch seine gewaltigen, aber melodischen und träumerischen Soundwände aus. (Der Begriff stammt daher, dass die Gitarrist*innen wegen der vielen Soundeffekte ständig auf ihre Schuhe gucken, um mit ihren Füßen die Effektgeräte zu bedienen). Und An Autumn for Crippled Children verstehen es wie kaum eine andere Band, die Aggressivität des Black Metals mit der Schönheit des Shoegaze in Einklang zu bringen. Nur selten sind sich Licht und Schatten im Metal so nahe – da kann man auch mal über diesen schrecklichen Bandnamen hinwegsehen!