RobsMetalMoments – Nostalgia is a hell of a drug
Wieso die beste Musik veröffentlicht wird, wenn wir Teenager sind.
Es ist bereits Tradition, dass mein erster Newsletter im neuen Jahr etwas auf sich warten lässt. Januar ist sowieso ein eher ruhiger Monat, was neue Veröffentlichungen angeht, und nach den Jahresbestenlisten im Dezember brauche ich ein bisschen Zeit, bevor ich mich wieder in neue Musik stürze. Jetzt bin ich voller Enthusiasmus zurück und habe direkt zwei Ausgaben für euch im Gepäck. In diesem Newsletter beschäftige ich mich mit musikalischer Nostalgie, nehme dafür eine Lieblingsband aus meiner Teenie-Zeit unter die Lupe und gehe der Frage nach: Werde ich alt – oder klingt moderne Popmusik langweiliger als in meiner Jugend? Nächstes Wochenende bekommt ihr dann einen Newsletter mit den ersten musikalischen Highlights des Frühjahrs 2025.
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The Power Of Nostalgia
Kennt ihr das: Wenn ihr zufällig irgendwo aktuelle Popmusik hört, dann klingt alles … gleich. Früher lief im Radio doch anständigere Musik, oder etwa nicht? Die Chancen stehen extrem hoch, dass ihr diese Fragen tendenziell mit „ja“ beantwortet, zumindest wenn ihr älter als 16, 17 Jahre alt seid. (Diese These wird durch den Pop Girl Summer 2024, der ganz unterschiedliche interessante Popsongs hervorgebracht hat, zugegeben etwas konterkariert.) Für diese Tendenz, modernem Pop kritisch gegenüberzustehen, gibt es einen wissenschaftlichen Grund. Der eigene Musikgeschmack festigt sich zwischen 14 und 20 Jahren. Sprich: Die Lieder, die in unserer Adoleszenz eine große Rolle spielen, bestimmen maßgeblich, was wir als „gute“ Musik empfinden. Die folgende Grafik, die auf der Studie „The Power Of Nostalgia“ von Callum Davies et al. von der University of South Australia aus dem Jahr 2022 beruht, veranschaulicht, dass Menschen dazu neigen, mit Musik, die vor ihrer Geburt erschienen ist, oder solcher, die veröffentlicht wird, nachdem sie Mitte 30 sind, nicht viel anfangen können. Das Meckern über zeitgenössischen Pop ist uns Menschen also eingeschrieben.
So spannend die Ergebnisse dieser Studie sind, haben sie einige Einschränkungen. Menschen, die in ihrer Kindheit viel Musik ausgesetzt waren, weisen dieses Muster nicht auf. Wer früh lernt, mit Musik umzugehen, kann später eine größere Vielfalt wertschätzen. Die andere Grenze bezieht sich auf die Songs, die dem repräsentativen Sample an Proband*innen vorgespielt wurden und die sie anschließend auf einer Skala von 0 bis 11 beurteilen sollten. Für jedes Jahr wurde dabei ein repräsentativer Hit ausgewählt. 1978 war das beispielsweise „Stayin‘ Alive“ von den Bee Gees, 1994 „All That She Wants“ von Ace of Base und 2004 „Hey Ya“ von OutKast. Die Schlussfolgerungen der Autor*innen gelten also nur für Popmusik, der Menschen unfreiwillig ausgesetzt sind. Die großen Radiohits, denen man unausweichlich als Hintergrundmusik im Supermarkt begegnet eben.
Musik, mit der sich Menschen aktiv beschäftigen, fällt nicht in dieses Raster. Gute Nachricht für jemanden, der in seinem Newsletter neue Bands und Alben empfiehlt! Der Weg, um musiktechnisch nicht in der eigenen Jugend stecken zu bleiben, ist also recht einfach – neugierig bleiben und sich aktiv mit (neuer) Musik beschäftigen. Genau so habe ich in den letzten Monaten gemerkt, wie sehr ich aktuelle Künstler*innen wie Chappell Roan, The Last Dinner Party oder Tyler, The Creator mag, die absolut nichts mit Metal am Hut haben. Es ist also keineswegs so, dass moderne Popmusik schlechter ist als früher. Vielmehr sind wir häufig Opfer unserer eigenen Nostalgie. Höchste Zeit einen kritischen Blick auf die eigene Nostalgie zu werfen.
Der seltsame Fall des Tobias Sammet, oder die Grenzen meiner Nostalgie.
Ich war 17, als bei mir ein Knorpelschaden im Sprunggelenk diagnostiziert wurde. Die Folge war das Ende meiner Fußballkarriere, ein ziemlich großes Ding für einen Teenie, der bis dato fünf-, sechsmal die Woche auf dem Platz stand. Kurz bevor ich ins Krankenhaus musste, veröffentlichte Avantasia ihr drittes Album „The Scarecrow“ (2008), und diese CD wurde zu meinem konstanten Begleiter während der Wochen im Krankenbett. Spätestens dadurch hat Tobias Sammet einen speziellen Platz in meinem Herz gewonnen. Sowohl Avantasia, das Soloprojekt von Sammet, als auch Edguy, die Power-Metal-Band, mit der er berühmt wurde, haben mich seit meinen Anfangstagen als Metalfan begleitet. Neben Nu Metal und Metalcore (insbesondere Linkin Park und Bullet For My Valentine) und dem Göteborger Melodeath (In Flames) war europäischer Power Metal fester Teil meines Metalfan-Starterpackets.
Tobias Sammet hat mich damals nicht nur wegen seiner Fähigkeit begeistert, epischen Geschichten zu erzählen und monumentale Songs zu schreiben, sondern mit seiner leicht arroganten, aber immer authentische Attitüde. Viele ahnen gar nicht, wie erfolgreich er damit geworden ist: Mit mehr als drei Millionen verkauften Tonträger weltweit, einer Top-10-Single in Deutschland und sechs Top-3-Alben gehört er zu den erfolgreichsten deutschen Rock- und Metalmusikern des 21. Jahrhunderts.
Am 28. Februar nun erschien Avantasias neues Album „Here Be Dragons“ – und was soll ich sagen …
… es ist absolut mittelmäßig. Auch wenn sich mein Geschmack in den letzten fünf, sechs Jahren weiterentwickelt hat, liebe ich kitschigen Over-The-Top-Power-Metal noch immer. Mein Problem mit der neuen Avantasia-Platte (und schon den beiden davor) ist nicht, dass mich die Musik generell nicht mehr anspricht. Es ist vielmehr die Entwicklung, die Sammet als Musiker gemacht hat. Mein größtes Problem ist die Beliebigkeit, die neue Musik von Avantasia inzwischen begleitet. Erzählten die frühen Alben („Metal Opera Pt. 1 & 2“ oder eben „The Scarecrow“) noch epische Geschichten, bei denen die Gastmusiker*innen die Rolle fester Charaktere eingenommen haben, wirkt Sammets Ensemble inzwischen nur noch wie ein billiges Gimmick.
Das Problem an Avantasias Entwicklung beschränkt sich aber nicht auf ein fehlendes Konzept, sondern ist auch Sammets inzwischen durchschnittlichem Songwriting geschuldet. Was ihn zu einem solchen herausragenden Musiker gemacht hat, war sein Talent dafür, Songs zu schreiben, die genau auf seine Gastsänger*innen zugeschnitten sind. Davon ist auf „Here Be Dragons“ nichts mehr zu merken. „Avalon“, das Duett mit der grandiosen Adrienne Cowan (sonst bei Seven Spires am Mikro), ist eine 08/15-Power-Metal-Nummer mit ein paar folky Vibes. Nicht schrecklich, aber wer weiß, was für ein Stimmumfang Cowan hat, muss sich fragen, was sie in dem Song zu suchen hat. Gleiches gilt für die Ballade „Everybody’s Here Until The End“ mit Roy Khan (früher Kamelot), die ich in dem Moment vergessen hatte, als der Song endete. Ausgerechnet Khan war es, der auf „The Scarcrow“ den Opener singt („Twisted Mind“) und mich vor 17 Jahren sofort gepackt hat – von dieser Magie ist nichts mehr übriggeblieben.
„Here Be Dragons“ ist kein schlechtes Album. „Creepshow“ eröffnet die Platte mit einer kurzen und unterhaltsamen Up-Tempo-Nummer, die auch von einem alten Edguy-Album hätte sein können. „The Witch“ (mit Tommy Karevik, aktueller Kamelot-Sänger) und „Phantasmagoria“ (mit Ronnie Atkins) sind starke Songs, bei denen das Beste aus Sammets Songwriting hervorscheint. Dennoch wirken selbst die Highlights des Albums wie Kopien alter Avantasia-Sachen, und dass mit „Creepshow“ und „Unleash The Kraken“ (der teilweise ziemlich interessante Thrash-Metal-Anleihen hat), die beiden besten Lieder des Albums ohne Gaststars auskommen, spricht Bände.
Wer Sammet und Avantasia liebt, wird ohne Zweifel auch Album Nummer 9 mögen. Allerdings darf man keine Überraschungen erwarten. Tobi Sammet hat seine Erfolgsformel gefunden und weicht davon keinen Zentimeter ab – im Gegenteil, er bietet die vorhersehbarste Darbietung seiner Karriere und verzichtet dabei sogar auf den sonstigen Avantasia-Bombast. Ganz der Nostalgiker, die wir alle sind, werde ich also lieber die alten Avantasia-Platten hören.
Nostalgie 2.0
Neben Avantasia haben in diesem Jahr noch zwei andere Bands meine Teenie-Nostalgie bedient – mit unterschiedlichem Erfolg.
The Halo Effect besteht komplett aus ehemaligen In-Flames-Mitgliedern, inklusive Gitarrist und In-Flames-Gründer Jesper Strömblad und Sänger Mikael Stanne (jetzt Dark Tranquillity). Die fünf Musiker stammen alle aus Göteborg, sind seit Jahrzehnten befreundet und haben auf Initiative von Gitarrist Niclas Engelin die Band als Spaßprojekt gegründet, um ihren 1990er-Jahren-Melo-Death-Wurzeln zu huldigen. Das war auf ihrem Debüt „Days Of The Lost“ (2022) schon super und macht auf „March Of The Unheard“ nochmal mehr Spaß. „Our Channel To The Darkness“ (inklusive Göteborg-Style-Akustik-Intro), „March Of The Unheard” oder „Detonate” wären auch auf späten 1990er-In-Flames-Alben absolute Highlights gewesen. Das ist alles andere als innovativ – aber genau das ist ja der Punkt. Man merkt dem Quintett an, mit wie viel Begeisterung jeder bei den Aufnahmen dabei war, und dass sie niemanden etwas beweisen müssen.
Wie man es nicht macht, zeigen die Amis von Killswitch Engage, die seit ihrer Gründung 1999 zu den wichtigsten und einflussreichsten Bands der New Wave of American Heavy Metal zählen. Ihr melodischer Metalcore war fester Bestandteil meiner Teenie-Jahre, und nachdem ich sie in den 2010ern etwas aus den Augen verloren hatte, haben sie mich mit ihrem letzten Album „Atonement“ (2019) wieder gecatcht. Die neue Platte „This Consequence“ wirkt hingegen wie eine Diät-Version ihrer Vorgängerin. Selbst die wenigen Highlights können das Album nicht retten. Der Opener „Abandon Us“, der Closer „Requiem“, das groovy „Where It Dies” und „I Believe“ sind zwar catchy as hell, und insbesondere Jesse Leachs Stimme verpasst mir regelmäßig Throwbacks in meine Teenagertage, das Problem ist nur, dass der Rest des Albums nicht ansatzweise mithalten kann. Zu vorhersehbar ist das Songwriting, zu uninspiriert die Umsetzung. Und vier von zehn anständigen Songs sind kein besonders gutes Zeugnis.
Heavy Metal is Back, Baby! (Part 1)
Es ist interessant, die Wellen zu beobachten, in denen sich Metal-Subgenres bewegen. Hätte ich im letzten Jahr meine Top 20 problemlos mit Death-Metal-Alben füllen können, habe ich mich schwer damit getan, auch nur drei anständige Heavy-Metal-Platten zu finden. Dieses Jahr hat sich der Trend bis jetzt genau umgedreht.
Christian Mistress hatten sich 2016 eigentlich schon aufgelöst – was für Bands, die keine Millionen Alben verkaufen, eigentlich ein ziemlich endgültiges Urteil bedeutet. Boy, bin ich froh, dass das für die Amis nicht gilt! Ihr Comeback-Album „Children Of The Earth“ ist eine Sensation. Angeführt von Christine Davis‘ Stimme liefert das Quartett einen Hit nach dem anderen. Heavy Metal kann schnell eintönig werden, aber Christian Mistress gelingt es, überraschend und aufregend zu bleiben. Hier ein paar kleine spacige Prog-Elemente, da ein bisschen Grunge-Vibe aus ihrer Heimat Washington und fertig ist ein außergewöhnliches Comeback! Davis‘ A-Cappella-Einstieg in „Shadows“ verpasst mir auch beim zehnten Durchlauf noch Gänsehaut.
Stellt euch vor, Lemmy Kilmister wäre eine Frau und hätte ein Band gefunden, deren einziges Ziel es ist, möglichst viele Gitarrensoli in möglichst wenig Zeit unterzubringen – dann wisst ihr ungefähr, wie Mean Mistreater klingen. Ihr Album „Do Or Die“ macht unendlich viel Spaß. Janiece Gonzalez‘ dreckige Stimme verpasst dem ganzen einen authentischen Bar-Charakter und Quinten Lawson und Alex Wein fackeln an den Gitarren ein absolutes Feuerwerk ab. Der Titeltrack des Albums ist ein so hartnäckiger Ohrwurm (und mein Lieblingssong des bisherigen Jahres), dass gilt: Anhören auf eigene Gefahr.
Ich gebe es zu, der Name ist etwas albern – Blackslash, aber wer so ein Album raushaut, dem verzeihe ich auch das. Die Schwarzwälder stehen ganz im Zeichen der frühen New Wave of British Heavy Metal und bezeichnen ihren Sound passenderweise als New Wave of Teutonic Heavy Metal. Judas Priest und Iron Maiden sind an jeder Ecke zu hören (und auch mehr als deutlich auf dem Cover zu sehen – es wundert mich, dass Iron Maidens Eddie noch nicht auf Plagiat geklagt hat). Aber wo sich andere Worship-Bands in billigen Kopien der Originale verlieren, schaffen es Blackslash, ihrem Sound einen eigenen Stempel aufzudrücken. Mehr als in jedem anderen Metalgenre hängt der Erfolg und Misserfolg eines Heavy-Metal-Albums am Gesang – und Frontman Clemens Haas hat eine charismatische, etwas eigentümliche Stimme, die der Band den dringend benötigten Wiedererkennungswert verschafft. „Heroes, Saints & Fools“ quillt über vor Mitsing-Refrains und Headbang-Passagen. „Tokyo“ ist eine Liebeserklärung an Japans Hauptstadt, „Black Widow“ hat extreme 1980er-Rock-Vibes und „Where Are We Heading To?“ wäre auch auf einem Dio-Album nicht fehl am Platz gewesen. So zollt man seinen musikalischen Helden angemessen Tribut.