RobsMetalMoments – Der Fluch der guten Tat
… und eine Verteidigung des Power Metals
Meine liebste Zeit des Jahres steht wieder vor der Tür – die Zeit der Jahresrückblicke, Bestenlisten und Bilanzen. Den Anfang macht wie jedes Jahr das Decibel Magazine mit ihren Top 40 Alben, und wie jedes Jahr ist der Redaktion eine hervorragende Auswahl gelungen. Es gibt aktuell kein Medium, das einen besseren Überblick über die (Underground-)Metal-Community liefert. Viele der Alben, die von Decibel ausgezeichnet wurden, finden sich auch auf meiner eigenen Liste (obwohl es ganz vorne doch einige Unterschiede gibt, es soll schließlich spannend bleiben). Wer für mich die besten Metalalben des Jahres gemacht hat, erfahrt ihr ab dem 1. Dezember. Ich werde jeden Adventssonntag einen Teil meiner Top 24 veröffentlichen – Jahresbestenliste und Adventskalender in einem!
Bevor es so weit ist, möchte ich diesen letzten regulären Newsletter des Jahres dafür nutzen, eine Handvoll Alben vorzustellen, die es nicht ganz in meine Top 24 geschafft, die ihr aber trotzdem auf keinen Fall verpassen solltet.
Bewitcher – Spell Shock (27. September, Century Media)
In diesem Newsletter gibt es ein gemeinsames Thema der Alben, die ich empfehlen: Sie sind gut, haben aber das Problem, dass sie Nachfolger von wirklich herausragenden Platten sind. Wenn mir eine Band gezeigt hat, was für grandiose Musik sie machen kann, ist auch ein minimaler Rückschritt bittersüß.
Das beste Beispiel dafür sind Bewitcher. Die Amis gehören inzwischen zu meinen Lieblingsbands. Ihre Mischung aus Speed Metal, Heavy Metal und der First Wave of Black Metal zählt zum unterhaltsamsten und energiegeladendsten, was die Szene zu bieten hat. Den Höhepunkt ihres Schaffens lieferten sie 2021 mit „Cursed Be Thy Kingdom“ ab. Ein Album, auf dem jeder Song, bis hin zu Akustik-Gitarren-Intermezzo, ein Hit ist. „Spell Shock“ kommt nicht ganz an diese Qualität ran. Es folgt zwar einem ähnlichen Aufbau wie sein Vorgänger, ihm fehlt aber die Treffsicherheit bei der Hitdichte. Mit „Out Against The Law” und „The Harem Conspiracy” gibt es nur zwei Songs, die auch auf „Cursed Be Thy Kingdom” hätten bestehen können. Bitte nicht falsch verstehen, der Rest des Albums macht enorm Spaß, und wer einen Soundtrack für den nächsten Kneipenabend mit Freund*innen braucht, ist hier genau richtig. „Spell Shock“ kommt nur leider in keinem Bereich an seinen Vorgänger ran – verdammt sei der Fluch der guten Tat.
Fellowship – The Skies Above Eternity (22. November, Scarlet Records)
Power Metal ist ein faszinierendes Genre. 90 Prozent der Bands machen schreckliche Musik zum Davonlaufen, aber die anderen 10 Prozent – die treffen bei mir einen Nerv, dass ich nicht genug von ihrer Musik bekomme. Echten Metal-Puristen sind aber selbst diese 10 Prozent ein Dorn im Auge: Power Metal ist die Schande des gesamten Genres. Deswegen gibt es hier zwei Beispiele, wie viel Spaß man haben kann, wenn man die eigene „Trvness“ einfach mal zu Hause lässt. Getreu dem Motto:
Vorhang auf für Fellowship. 2022 haben die Briten mit ihrem Debüt „The Saberlight Chronicles“ ein absolutes Highlight des Genres veröffentlicht und zwar nicht nur des Jahres, sondern aller Zeiten. Das Album hatte alles, was ich mir von einer Power-Metal-Band wünsche. Melodien, die im Ohr bleiben, einen Sänger mit einer herausragenden Stimme, das gewisse Maß an Selbstironie und Hits, Hits und nochmal Hits. Es ist ein Liebesbrief an den Power Metal der frühen 2000er Jahre als Hammerfall, Sonata Arctica und Edguy die Welt erobert haben.
Und „The Skies Above Eternity” schlägt sich als Nachfolger dieses kleinen Meisterwerks tapfer. Die Band hat nicht viel an ihrem musikalischen Erfolgsrezept geändert und liefert immer noch Uptempo-Power-Metal-Songs, die auch in einem Disney-Metal-Musical nicht fehl am Platz wären. Das liegt in erster Linie an Matthew Corrys Gesang, der perfekt ist für die episch-kitschigen Banger. Fellowship vereinen alles, was dieses Genre großartig macht und embracen dabei auch den Schunkel-Faktor der eigenen Musik. Mit Songs wie „Victim“, „Eternity“ und „King Of Nothing“ zeigt das Quintett, dass sie das beste Power-Metal-Album des Jahres geschrieben hat.
Ein starker zweiter Platz geht aber nach Wien an Dragony. Die Österreicher sind eher auf der Sabaton/Powerwolf-Schiene unterwegs (wobei der Titeltrack des neuen Albums, so extrem nach Meat Loaf klingt, dass mich eine Plagiats-Klage nicht wundern würde). Mit „Hic Svnt Dragones“ setzen sie ihre Reihe von Alben mit absolut wilden Konzepten fort. War es auf „Viribus Unitis“ (2021) noch die Geschichte Sissis als Zombie und ihres Mannes Kaiser Franz Joseph als Cyborg, geht es nun um die Kolonialisierung Nordamerikas im 16. Jahrhundert, die aus irgendeinem Grund Dinosaurier und Wikinger beinhaltet, und damit endet, dass die Kolonialisten gemeinsam mit den Wikingern gegen Ragnarök, also den Weltuntergang, kämpfen. (Ja, das ist wirklich die Story – hier nochmal zum detaillierten Nachlesen).
Was Dragony aber wie Fellowship auszeichnet, ist ihr Humor und ihr catchy Songwriting. Ja, das ist poppig und absolut nach Schema F und wird Metal-Puristen vor Cringe eine Gänsehaut verpassen, aber so what?! Hier ist gute Laune garantiert, und davon können wir doch alle gerade genug gebrauchen. Also hoch die Tassen und viel Spaß beim Mitschunkeln.
Vokonis – Transitions (25. Oktober, Majestic Mountain Record)
Einige Alben werden durch die Lebensphase der Musiker*innen, in der sie entstanden, von einem guten zu einem herausragenden Album. Und auf keine Platte trifft das dieses Jahr mehr zu als auf „Transitions“ von Vokonis. Ihr letztes Album „Odyssey“ (2021) war nicht nur eines meiner Lieblingsalben in diesem Jahr, sondern wirkt im Rückblick auch wie ein Vorbote für das, was kommen sollte.
Zwischen diesen beiden Alben hat sich Sängerin und Gitarristin Simona Ohlsson als trans Frau geoutet. Die Geschichte ihrer Transition findet sich nicht nur im Namen des Albums, sondern auch in den Songtiteln („Deadname“, „Arrival“) und dem Albumcover (das einen Seedrachen vor einem Himmel zeigt, der in den Farben der Trans-Pride-Flagge erstrahlt). Ich interpretiere hoffentlich nicht zu viel in die Lyrics, wenn ich sage, dass Ohlssons „Odyssey“ inzwischen ein Ende hat und sie ganz bei sich angekommen ist.
Musikalisch ist es völlig unmöglich, dieses allumfassende Konzept losgelöst vom Rest zu betrachten. Ohlssons Stimme ist höher als auf vergangenen Veröffentlichungen, was nichts an ihrer Rauheit und Ausdrucksstärke geändert hat. Vokonis liefern weiterhin psychedelischen und progressiven Sludge Metal, der extrem an die frühen Mastodon erinnert. Was vor allem neu auf „Transitions“ ist, ist der Hang zur großen Emotion, den die Band sich traut. Vor allem in den kürzeren Song („Pink Fang“ und „Chrysalis“) funktioniert das Rezept hervorragend. Wo sie mich (gerade im Vergleich zum brillanten „Odyssey“) etwas verlieren, sind die langen Songs. Weder „Arrival“ noch „Transitions“ haben die nötige Kreativität um ihre mehr als zehnminütige Spielzeit zu rechtfertigen.
Grand Magus – Sunraven (18. Oktober, Nuclear Blast)
Eigentlich gibt es zu einer Band wie Grand Magus gar nicht viel zu sagen. Seit mehr als zwei Jahrzehnten bringen die Schweden alle zwei, drei Jahre ein neues Album heraus und musikalisch weiß man, was man bekommt – epischer Heavy Metal mit Ohrwurm-Garantie, JB Kristoffersens super charismatische Stimme und Geschichten von Wikingern und nordischen Sagen. Bis ins Jahr 2019 war auf diese Formel verlass. Als das Trio aber ihr neuntes Album „Wolf God“ veröffentlichte, ließ es mich ratlos zurück. Langweilig, repetitiv, ein einziges Klischee. Deswegen hatte ich schon meinen Frieden damit gemacht, eine weitere Band, die mich zu Teenie-Zeiten an den Metal herangeführt haben, zu beerdigen (liebe Grüße an dieser Stelle an Hammerfall und As I Lay Dying).
Umso erfreuter bin ich, euch mitteilen zu können: Grand Magus sind zurück und haben Bock! „Sunraven“ liefert alles, was ich mir von so einer Band wünsche. Der Titeltrack „Hour Of The Wolf“, und „To Heorot“ sind absolute Ohrwürmer. Und mit „The Black Lake“ gelingt der Band sogar eine Midtempo-Nummer, die sich nicht im Kitsch verliert, sondern episch im Zentrum des Albums steht. Über all dem schwebt Kristoffersens Ausnahmestimme, die so präsent, kratzig und kraftvoll wie lange nicht klingt. Die fünf Jahren, die seit dem letzten Album vergangen sind, sind die längste Pause zwischen zwei Grand Magus‘ Platten, und die Band hat die Zeit extrem gut genutzt, um zu sich zurückzufinden. Nach fast 30 Jahren im Business ist das nicht selbstverständlich und macht ein tolles Album nur noch beeindruckender.
Yoth Iria – Blazing Inferno (8. November, Edged Circle Productions)
Auch zum Abschluss bleiben wir unserem gemeinsamen Tenor treu. Als Yoth Iria 2021 ihr Debütalbum „As The Flame Withers” veröffentlichten, war ich hin und weg. Epischer, melodischer Black Metal, der den Spirit der frühen 1990er-Jahre atmet. Guckt man sich an, wer hinter der Band steht, ist das auch kein Wunder – Jim Multilator (Bass, Songwriting) gehört zu Griechenlands einflussreichsten Metal-Musikern und war in ebenjenen 1990ern als Teil von Rotting Christ und Varathorn maßgeblich dafür mitverantwortlich, die griechische zu einer der aufregendsten Metalszenen Europas zu machen.
Drei Jahre, nachdem er sein neustes Projekt gestartet hat, gibt es mit „Blazing Inferno“ nun also Album Nummer zwei. Und soviel sei direkt verraten: Es hat sich einiges verändert im Haus Yoth Iria. Das Augenscheinlichste zuerst; mit „He“ gibt es einen neuen Sänger am Mikro. Zwar passt seine trockene Reibeisenstimme prinzipiell gut zum Sound der Band, allerdings hat sein Vorgänger „The Magus“ (diese Black-Metal-Künstlernamen machen es einem auch nicht einfach) die deutlich größere Range und gerade in den Screams enorm viel Charakter. Die Frage, welche Stimme einem besser gefällt, ist am Ende ein reines Geschmacksurteil. Für mich persönlich ist der Wechsel am Mikro ein Downgrade. Diese Veränderung ist im Bandkontext allerdings absolut logisch. War Yoth Iria auf ihrem Debüt noch mehr oder weniger ein Soloprojekt, ist es im Jahr 2024 eine vollständige Band mit fünf Mitgliedern.
Das ändert nichts daran, dass das Album ansonsten ein absolutes Black-Metal-Highlight ist. Mit gerade einmal 36 Minuten ist es fast zehn Minuten kürzer als sein Vorgänger und dennoch schaffen es Multilator und Co., deutlich mehr Atmosphäre zu transportieren. Der Fokus hat sich von Speed und Härte hin zu mehr Epik verschoben. Insbesondere die Folk-Elemente („But Fear Not“ und „Rites Of Blood And Ice”) geben der Platte einen ganz besonderen Charakter. Hinzu kommt, dass es Yoth Iria guttut, zwei eigenständige Gitarristen zu haben. Der Auftaktriff zu „Purgatory Revolution“ ist eine Offenbarung und könnte gut und gerne auf eine Iron-Maiden-Scheibe passen. Immer wieder unterbrechen melodiöse, epische Soli den Fluss der Platte und tragen so zur cineastischen Atmosphäre bei.
Was „Blazing Inferno“ im Vergleich zu seinem Vorgänger fehlt, sind die Songs, die als eigenständige Hits im Ohr bleiben. Mit „The Great Hunter“ und „The Red Crown Turns Red” gab es auf dem Debüt direkt zwei Übertracks. Nichtsdestotrotz ist Yoth Iria weiterhin eine der spannendsten Bands des Black-Metal-Untergrunds und die Zeichen stehen gut, dass über Griechenland ein weiterer Stern am Metalhimmel aufgegangen ist.