In meinem letzten Newsletter hatte ich es versprochen, deswegen ohne lange Vorrede – hier sind meine zehn Highlights aus den ersten Monaten des neuen Jahres.
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Der Stoff, aus dem Albträume sind
Wenn man einmal angefangen hat, die extremeren Seiten des Metals wertzuschätzen, gibt es keinen Weg mehr zurück. Mit dieser Meinung bin ich nicht alleine – immer wieder kommen Studien zu dem Ergebnis, dass härtere Musikarten entspannend wirken und helfen Stress zu regulieren. Und so hat sich auch meine Liebe zu Death und Black Metal in den letzten Jahren weiter vertieft; quasi als musikalische Selbsttherapie. Trotzdem gibt es ein Genre, mit dem ich bis heute nicht ganz warm geworden bin: Blackened Death.
Die Bands aus dieser Ecke der Metalwelt, die, wie der Name erahnen lässt, Black- und Death-Metal-Elemente kombinieren, sind mir meistens einfach too much. Was in der Theorie eigentlich genau mein Ding sein sollte, hinterlässt bei mir zu oft den Eindruck, dass es in der Musik primär um das Motto „Härte, um der reinen Härte willen“ geht. Deswegen überrascht es mich selbst, wenn ich sage: Das bisher beste Metalalbum des Jahres stammt von einer Blackened-Death-Metal-Band.
Sepulchral Curse aus Finnland haben mich mit ihrer dritten Platte „Crimson Moon Evocations“ völlig umgehauen. Klar, das Quintett verbindet ebenfalls Black und Death Metal zu einem extremen Soundgewitter, aber im Gegensatz zu vielen Genre-Kolleg*innen verliert die Gruppe nie das Wesentliche aus dem Auge: Atmosphäre.
Es ist wie mit einem guten Horrorfilm: Die gruseligsten sind nicht die ekelhaften Splatterfilme, die versuchen, die Zuschauer*innen mit literweise Blut und unzähligen Special Effekts zu überwältigen, sondern die, in denen man das Böse nicht direkt sieht. So fühlt sich „Crimson Moon Evocations“ an. Angeführt von Kari Kankaanpää beeindruckenden Growls ist sofort klar, dass wir uns in einem Albtraum befinden. Was dem Album seine besondere Magie verleiht, sind die Gitarren von Jaakko Riihimäki und Aleksi Luukka. Immer wieder brechen melodische Soli und Riffs den dichten Sound auf, schenken uns Momente der Pause und der Hoffnung, ehe wir zurück in die albtraumhaften Tiefen dieser beunruhigenden Mondlandschaft gezogen werden. Songs wie der Opener „Wildfires“ (insbesondere das Solo nach circa vier Minuten), „House Of The Black Moon”, und „Crimson Passage” sind Musterbeispiele dafür, wie guter Blackened Death Metal klingt. Sepulchral Curse haben einen Albtraum geschaffen, in dem ich mich gerne verliere.
Reden ist Silber, Schweigen ist Gold
Die Entwicklung meines Musikgeschmacks zeigt sich auch in meiner neu gewonnenen Offenheit: Vor drei, vier Jahren hätte ich die beiden Alben, die ich jetzt empfehle, allein aus dem Grund links liegen lassen, dass sie (größtenteils) ohne Gesang auskommen.
Eine grimmig guckende Katze mit einem umgedrehten Kreuz auf der Stirn vor einem rosafarbenen Hintergrund – ohne das grandiose Albumcover hätte ich „Reverie“ von der Berliner Band bunsenburner wohl nie eine Chance gegeben. Der Stil des Quintetts, das ursprünglich als Soloprojekt des Bassisten und Produzenten Ben Krahl begann, lässt sich gar nicht so leicht fassen. Wie groß die Bandbreite der Platte ist, zeigt am besten das „Letting Go“-Duo. Ist „Letting Go (softly)“ eine sanfte, verträumte Shoegaze-Nummer, beginnt „Letting Go (hardly)“ mit tiefen, verzerrten Drone-Riffs. „TORO“ und „Golden Shower“ leben von ihren Stoner-/Garage-Rock-Vibes, „Bagbak“ steht mit mehr als einem Fuß im Progressive Metal und „Dear Hollow“ ist ein stampfender Industrial-Banger. Was einen Großteil der Songs zusammenhält ist die grundlegende Stimmung, die wirkt, als hätte man ein Ambient-Album mit Metalinstrumenten eingespielt. Instrumental Ambient trifft Metal beschreibt diesen Sound vielleicht am besten. Und so gehören bunsenburner zu den wenigen Bands, bei denen ich mich freue, dass sie keinen Gesang haben. Ab und an lohnt es sich eben doch, ein Album nach seinem Cover zu beurteilen.
Das Album beginnt mit einer Note, die monoton wiederholt wird. Im Hintergrund baut sich langsam eine Melodie wie aus einer fernen Zeit auf; Sitar, Schlagzeug, Gitarre. Nach gut fünf Minuten erreicht das Lied seinen vorläufigen Höhepunkt, wenn die Musik abflacht und Platz für eine aramäische Beschwörungen macht.
Selbst in der diversen Metallandschaft gehören die Belgier Wyatt E. zu den außergewöhnlicheren Acts. Immer, wenn ich glaube, wirklich jedes denkbare Bandkonzept zu kennen, lese ich sowas:
Wyatt E. writes the soundtrack of the exile of the people of Jerusalem to Babylon in 587 BC. A travel in the past leading to ancient Gods, forgotten cities and lost civilizations.
Das Abgefahrene ist, dass Wyatt E. es schafft, genau diese Atmosphäre einzufangen. Auch wenn es erst Mitte März ist, bin ich mir sicher, dass ihr drittes Album „Zamāru Ultu Qereb Ziqquratu Part 1“ (zu Deutsch „Musik aus dem Inneren des Ziggurat“ [Ziggurat ist ein mesopotamischer Tempel]) eines der speziellsten des gesamten Jahres ist. Wie im Album-Opener „Qaqqari La Târi Part I”, dominieren hypnotische Rhythmen den Sound. Zu den zentralen Bestandteilen der Band gehören ihre beide Schlagzeuger. Bei Gil Chevigné und Jonas Sanders geht es nicht darum, technisch möglichst anspruchsvoll zu sein, sondern alles wird der Geschichte untergeordnet, die die Musik transportieren soll. Dazu nutzt die Band für Metal ungewöhnliche Instrumente (z. B. Sitar und Laute), und schafft damit eine Stimmung, die wirklich an Welten von vor tausenden von Jahren erinnert. Einen entscheidenden Beitrag dazu leistet auch Nina Saeidi, die als Gastsängerin ihre Stimme leiht (z.B. „Im Leyla“ und vor allem „The Diviner’s Prayer To The Gods Of The Night“). Wie bei ihrer Stammband Lowen (die im vergangenen Jahr eines meiner Lieblingsalben veröffentlicht haben), ist die Kombination ihrer Gesangstechnik damit, dass sie auf Sumerisch singt, ein echter Joker. Saeidi klingt wie eine Hohepriesterin, die vor ihren Gläubigen predigt – und ich werfe mich ihr ohne zu zögern vor die Füße. „Zamāru Ultu Qereb Ziqquratu Part 1“ schafft es wie kein anderes Album, mich in seine ganz eigene Welt zu entführen. Wyatt E. ist damit ein Kunststück gelungen, das weit über die Grenzen des Metals seine Liebhaber*innen finden sollte.
Heavy Metal is back, Baby! (Part II)
Wie im letzten Newsletter versprochen, ist 2025 bisher das Jahr der Heavy-Metal-Platten. Zu den am meisten gefeierten Acts gehören ganz ohne Zweifel Century, die ihrem Sound eine authentischen Retro-Vibe verleihen. Auf „Sign of the Storm“ ist es nicht nur der Style, der an die 1980er-Jahre erinnert, sondern die gesamte Produktion. Allen voran klingt Staffan Tengnérs Stimme, als hätte jemand ein altes Demo auf dem Dachboden der Eltern ausgegraben. Dazu kommt Leo Ekström Sollenmos fantastisches Drumming, das für eine Heavy-Metal-Platte extrem kreativ ist. Kombiniert man das mit den Epic-Doom- und Gothic-Einflüssen, mit denen das Duo spielt, erhält man ein super unterhaltsames Album, das eine authentische Hommage an frühere Tage ist.
Etwas mehr in der Hard-Rock-Ecke finden sich Sinner Rage mit ihrem Debüt „Powerstrike“. Wenn „Sign of the Cross“ als Soundtrack beim nächsten DnD-Treffen mit den Nerd-Freund*innen läuft, dann ist „Powerstrike“ das perfekte Album für einen Barabend: Coole Riffs, Gang-Shouts und catchy Melodien in Hülle und Fülle! Aber um ehrlich zu sein, macht für mich vor allem der Gesang von Jara Solis und ihr dicker spanischer Akzent den besonderen Charme des Albums aus. Ich liebe es, wenn man die Herkunft von Bands in ihrer Musik heraushören kann.
Thrash Metal is back, too?
Es ist bislang kein gutes Jahrzehnt für Thrash-Metal-Fans. Alte Helden veröffentlichen, wenn es gut läuft, hin und wieder mittelmäßiges neues Material (I am looking at you Overkill, Megadeth, Metallica, Testament und Co.), und nachdem es in den 2010ern die Pizza-Thrash-Welle mit Bands wie Municipal Waste gab, ist es aktuell auch um den Nachwuchs nicht sonderlich gut bestellt. Umso erfreuter bin ich, dass dieses Jahr schon zwei Alben veröffentlicht wurden, die diesem Trend etwas entgegensetzen.
Dass Warbringer zu den positiven Erscheinungen des Genres zählen, ist keine Überraschung. Seit ihrem Debüt „War Without End“ (2008) gehören die Kalifornier zu den zuverlässigsten Thrash-Bands. Insbesondere das 2020er „Weapons Of Tomorrow“ ist für mich das perfekte Beispiel, wie moderner Thrash Metal klingen muss. „Wrath And Ruin“ setzt nahtlos fort, wo sein Vorgänger aufgehört hat. „The Sword And The Cross“ eröffnet das Album mit einem echten High-Speed-Highlight, Mitsing-Refrain inklusive. „A Better World” ist inhaltlich die Nummer mit der klarsten politischen Haltung und steht ganz in der klassischen Thrash-Tradition, die politischen und strukturellen Verhältnisse zu kritisieren.
I keep myself distracted, by staring at a screen / My minds always racing, no longer I dream / I swallow prescriptions 'cause the problem is me / My moods far more stablе, no longer do I dream of another world – Warbringer „A Better World”
Und nachdem wir mit „The Sword“ im Mittelalter waren, nimmt uns „Neuromancer“ mit ins All. Dieser Dreierpack zeigt, was Warbringer so viel besser machen als die meisten Genre-Kolleg*innen. Sie schaffen es, kreativ und abwechslungsreich mit den genreeigenen Grenzen zu spielen, ohne ihre Identität aufzugeben. Auch wenn die zweite Hälfte nicht mit dem starken Auftakt mithalten kann, ist „Wrath And Ruin“ ein weiteres Highlight der aktuell konstantesten Thrash-Metal-Band des Planeten.
Eine andere Strategie, eine gute Thrash-Metal-Platte aufzunehmen, besteht darin, so wenig Thrash wie möglich zu verwenden. 2020 haben sich die Niederländer Distillator in Cryptosis umbenannt, und damit eine Stilveränderung weg vom klassischen Thrash eingeläutet. Der Lohn waren enthusiastische Besprechungen ihres Debüts „Bionic Swarm“ (2021), das schon mit Vektor oder Voivod verglichen wurde – den bekanntesten Bands, die es geschafft haben, das Thrash-Gerüst in progressivere Gefilde weiterzuentwickeln. Auch wenn ich damals nicht in die Jubelstürme mit eingestiegen bin, fand ich den Stil des Trios definitiv interessant. Mit ihrem zweiten Album „Celestial Death“ setzen sie diesen Trend fort. Der Sci-Fi-Thrash tritt noch weiter in den Hintergrund und macht Progressive-, Death- und Post-Metal-Einflüssen Platz. Das funktioniert nicht bei jedem Song, aber wenn einmal alles zusammenpasst, dann zeigen Cryptosis, was für ein unglaubliches Potenzial in ihnen steckt. „Static Horizon“ und „Reign Of Infinite“ sind absolute Brecher, deren leichter Industrial-Vibe perfekt zum Stil des Albums passt. Wenn das Trio mehr Konstanz in ihr Songwriting bringt, dann steht uns Großes bevor.
Klänge aus kalten Landschaften
Meine drei Black-Metal-Highlights des bisherigen Jahres sind wie dafür gemacht, gemeinsam besprochen zu werden. Alle drei stammen von Bands aus eher kalten, unwirtlichen Regionen und alle drei kombinieren Black Metal mit lokalen Einflüssen aus ihrer Heimat.
Die Finnen von Havukruunu sind bis jetzt die großen Gewinner 2025. 2020 ging der Stern der Band mit ihrem dritten Album „Uinous Syömein Sota“ so richtig auf. Die Platte avancierte zum Publikums-Liebling im Metal-Underground. Mit „Tavastland“ legt die Band den Status als Geheimtipp jetzt endgültig ab, und schafft den Sprung ins Rampenlicht, ohne etwas an ihrem prinzipiellen Konzept zu verändern. Der Kern des Havukruunu-Sounds ist Black Metal mit einer großen Dosis Heavy Metal und Epik. Dadurch gelingt es der Band nicht nur, für eisige Atmosphäre zu sorgen, sondern mit packenden Melodien und stampfenden Rhythmen auch einen ansteckenden Groove zu entwickeln. In Kombination mit dem finnischen Vocals und vereinzelten Audio-Samples breitet sich auf „Tavastland“ (der Name der Heimatregion der Band) eine Stimmung aus, die fast schon etwas Existenzielles hat – auch ohne die Lyrics zu verstehen. Stefan Sorghammer, Mastermind hinter Havukruunu, entwickelt auf Album Nummer vier den Sound der Band in allen Bereichen weiter, und kreiert damit eine Platte, die ganz sicher auf zahlreichen Bestenlisten landen wird. Die Finnen zählen zweifellos zu den aufregendsten Metalbands unserer Zeit.
Saor ist das Ein-Mann-Projekt des Schotten Andy Marshall, der auf „Admist The Ruin“ zeigt, wie schön Black Metal sein kann. Eine zentrale Rolle in seinem Sound spielt der Fokus auf Folk-Elemente: Flöten, Geigen und, wie es sich für einen waschechten Schotten gehört, der Dudelsack stehen prominent im Vordergrund. Das verleiht „Admist The Ruin“ einen beinahe märchenhaften Charakter. Was das Album für mich zu einem absoluten Highlight macht, ist aber Marshalls Talent, mich während der gesamten Spielzeit von beinahe einer Stunde zu fesseln – obwohl das Album nur aus fünf Songs besteht. Ein größeres Lob fürs Songwriting kann es von mir nicht geben. Insbesondere „Echoes Of The Ancient Land“ zeigt die Vielfalt, zu der Saor fähig ist.
Wenn „Admist The Ruin“ einem märchenhaften Wald gleicht, dann ist „Nightside“ die karge, unwirtliche russische Tundra. Grima verbinden auf ihrem siebten Album zwar auch Folk-Elemente mit klassischem Second Wave Black Metal, das Resultat könnte von der Stimmung aber nicht gegensätzlicher sein. Die Wärme und das Traumhafte von Saor machen bei Grima Platz für Kälte und Dunkelheit. Lieder wie „Flight Of The Silver Storm“ oder „Curse Of The Void” lassen mir einen Schauer über den Rücken laufen – und das darf als Kompliment verstanden werden.
Sehr schön mal wieder. Vielleicht treffen wir uns demnächst ja mal im RL, z.B. hier: https://www.batschkapp.net/events/grima-frankfurt-nachtleben-2025-05-22-185000