Das ganze Jahr habt ihr drauf gewartet (will ich jedenfalls schwer hoffen) und jetzt sind sie da – meine Top 10! Einen schönen dritten Advent euch allen und viel Spaß mit dem vorletzten Teil meines Countdowns der besten Metalalben des Jahres.
Platz 12
Lowen – Do Not Go To War With The Demons Of Mazandaran (VÖ: 04.10. Church Road Records)
Ehrlich gesagt: Wenn ich höre, dass eine Metalband sich durch ihre „orientalischen Einflüsse“ auszeichnet, ist das für mich normalerweise ein deutlicher Hinweis darauf, mich von ihr fernzuhalten. Meistens haben die Musiker*innen nämlich absolut nichts mit der Region zu tun, und am Ende klingt es dann so, als habe jemand zu oft den Soundtrack zu „Aladdin“ gehört.
Ganz anders ist der Fall bei Lowen gelagert. Das Duo aus UK ist die Progressive-Metal-Sensation des Jahres und das liegt vor allem an Sängerin Nina Saeidi. Ihre Eltern mussten während der Islamischen Revolution aus Iran fliehen und Saeidi wuchs als Heimatlose in Großbritannien auf, wo sie bis heute lebt. Wie viele Kinder der zweiten Generation lebt sie in einem permanenten Dazwischen. In die Heimat ihrer Eltern darf sie aus politischen Gründen (zu denen auch ihr Beruf als Sängerin einer Metalband zählt) nicht einreisen, und in ihrer neuen Heimat sieht sie sich Rassismus ausgesetzt. Metal wurde für sie zu einem Schutzraum, einer Möglichkeit anzukommen.
It wasn’t until I was a teenager and discovered metal that [I found] a place for me to truly express myself. (Aus einem sehr lesenswerten Portrait im Revolver Magazin)
Diese Geschichte Saeidis hört man dem Debütalbum Lowens „Do Not Go To War With The Demons Of Mazandaran” an. (Wobei ich mir gar nicht so sicher, ob man die Platte wirklich als Debüt bezeichnen kann: 2018 hat die Band mit „A Crypt Of Stars“ bereits eine Platte veröffentlicht, die wahlweise als EP oder LP kategorisiert wird). Musikalisch bewegt sich die Band irgendwo zwischen dem hypnotischen Prog Metal von Meshuggah und klassischem britischen Doom. Gitarrist (und Saeidis Lebensgefährte) Shem Lucas gelingt es, einen hypnotischen Riff nach dem anderen rauszuhauen. Veredelt wird dieser raumgreifende Sound durch die persischen Elemente. Da sind zum einen die Lyrics, die entweder alte persische Mythen erzählen („The Seed That Dreamed Of Its Own Creation“, gesungen vollständig in Farsi), oder die Gewalt des autoritären iranischen Regimes gegen Frauen („Corruption On Earth“, „Waging War Against God“) erzählen. Was dem Album aber seine so außergewöhnliche Note verleiht, sind die Vocals. Immer wieder bedient sich Saeidi beim Tahrir – einer klassischen persischen Gesangstechnik, die entfernt mit dem Jodeln verwandt ist. Diese Vocal-Performance führt dazu, dass man das Gefühl bekommt, als würde man Lowen dabei zusehen, wie sie als Prophet*innen ein Klagelied vor dem Hintergrund eines großen Krieges singen (man höre nur das epische Cello-Intro von „May Your Ghost Drink Pure Water“).
„Do Not Go To War With The Demons Of Mazandaran” ist nicht nur ein herausragendes Stück modernen Progressive Metals, sondern auch ein weiterer Beweis dafür, dass Metal mehr sein kann, als nur Musik – dass Metal ein Gefühl der Zu- und Zusammengehörigkeit hervorrufen, dass es zum Zuhause werden kann.
Platz 11
Avernus – Grievances (VÖ: 20.09. M-Theory Audio)
17 Jahre sind seit Avernus‘ grandiosem Debüt „... Of The Fallen“ vergangen. Diese Zeitspanne wäre für viele Bands einem Todesurteil gleichgekommen. Nicht so beim Quartett aus Chicago. Mit „Grievances“ ist der Band ein Comeback der besonderen Art gelungen. Der Gothic Metal der 1990er ist einem bedrückenden und melancholischem Doom Metal gewichen, der zu meinem Soundtrack des Herbsts geworden ist. Insbesondere „Nemesis“, der Opener des Albums, ist nicht nur das absolute Highlight der Platte, sondern einer der besten Metalsongs 2024 überhaupt.
Und weil ich gerade erst darüber geschrieben habe, was das Album so großartig macht, fasse ich mich an dieser Stelle kurz. Am Ende bleibt mir nicht mehr zu sagen, als dass ihr euch einfach selbst von der zeitlosen Qualität von „Grievances“ überzeugen müsst.
Platz 10
Gatecreeper – Dark Superstition (VÖ: 17.05 Nuclear Blast)
Kein Begriff fasst den Sound auf Gatecreepers viertem Album „Dark Superstition“ besser zusammen als Stadium Death Metal. Denn dem Quintett aus Arizona ist etwas gelungen, das im Death Metal extrem selten ist: Sie haben ein Album geschrieben, das voller Hits ist. Jeder einzelne Song der Platte ist ein Banger, und das liegt nicht zuletzt daran, dass sich die Band oft Strukturen bedient, die man vor allem aus dem Pop kennt. Strophe, Refrain, Strophe, Refrain, Bridge, Refrain, Ende. Das führt zum einen dazu, dass die zehn Tracks des Albums eine ungeheure Sogkraft entwickeln. Auf der anderen Seite ruft das natürlich auch Kritiker*innen auf den Schirm, die der Band den kommerziellen Ausverkauf verworfen.
Wenn ihr mich fragt – nichts könnte dem ferner liegen! Gatecreeper wissen einfach, wie man Death-Metal-Songs schreibt, die mit ihren Hooks genauso im Kopf bleiben wie die die eingängigsten Chappell-Roan-Nummern. Und das ist etwas Gutes, denn entgegen der landläufigen Meinung darf Metal (und ja, auch Death Metal) Spaß machen. „Dark Superstition“ klingt dabei phasenweise, als wäre die Band direkt bei In Flames und At The Gates in den 1990ern in die Lehre gehangen („Dead Star“ und vor allem der Überhit „Superstition Vision“). An anderer Stelle frönt Gatecreeper schamlos der Liebe zu groovy Rhythmen („Oblivion“, „Flesh Habit“ – diese unglaubliche Bassline zu Beginn!). Was das Album aber so großartig macht, ist, dass bei aller Hit-Tauglichkeit ganz oben die Liebe zum Death Metal steht. „Caught In The Treads“ ist eine Liebeserklärung an Cannibal Corpse und „Tears Fall From The Sky” setzt die Death-Doom-Einflüsse fort, die schon auf dem letzten Album zu hören waren („An Unexpected Reality“ 2021 – eine Platte, über die ich in meinem allerersten Newsletter geschrieben habe).
Long story short: „Dark Superstition” ist das unterhaltsamste und eingängigste Death-Metal-Album, das ich seit langer Zeit gehört habe, und ich kann es kaum erwarten, die Jungs damit live zu erleben.
Honorable Mention:
DARKNESS EVERYWHERE – To Conquer Eternal Damnation (Mega catchy Melodic Death Metal, der klingt, als wäre er in den 1990ern direkt in Göteborg aufgenommen worden)
Platz 9
Ulcerate – Cutting The Throat Of God (VÖ: 14.06. Debemur Morti)
Müsste ich mich für ein Metal-Subgenre entscheiden, das ich für den Rest meines Lebens höre, wäre es Death Metal. Wieso das so ist, sehen wir genau hier. War Gatecreepers „Dark Superstition” gespickt mit catchy Melodien und Ohrwurm-Refrains, ist „Cutting The Throat Of God” so ziemlich genau das Gegenteil davon.
Ulcerate haben es in den letzten Jahren geschafft, eine Form des dissonanten Technical Death Metal zu kultivieren, die sich von allem unterscheidet, was es sonst gibt. Der Sound der Neuseeländer ist sperrig, herausfordernd, erdrückend und dennoch wunderschön. Bei keinem anderen Album in meinem Countdown fällt es mir so schwer zu beschreiben, was genau es ist, das für mich den Reiz aus macht. Ulcerates Sound hat etwas ungemein Fesselndes: Das hypnotische Drumming von Songwriter Jamie Saint Merat, die unheimlichen Melodien von Gitarrist Michael Hoggard und die dämonischen Vocals von Bassist Paul Kelland – das alles packt mich und lässt mich nicht mehr los.
Es gibt keine zweite Band wie Ulcerate, und „Cutting The Throat Of God“ ist ihr bisher außergewöhnlichstes Album, weil das Trio es schafft, den Fokus auf die Atmosphäre ihres Sounds zu legen und nicht nur den technischen Aspekt in den Mittelpunkt zu stellen. Eine Fertigkeit, die nicht viele Bands in dieser düsteren, furchterregenden Ecke des Death Metals besitzen. Doch nichts, was ich hier schreiben könnte, kann das besondere Gefühl einfangen, das man hat, wenn man „Cutting The Throat Of God“ läuft. Hört also einfach selbst rein – wenn ihr euch traut.
Platz 8
Oceans Of Slumber – Where Gods Fear To Speak (VÖ: 13.09. Season Of Mist)
Ich weiß, ich weiß, gerade habe ich mich noch über den seltsamen Sound der Growls auf „Where Gods Fear To Speak“ beschwert. An meiner Meinung diesbezüglich hat sich auch nichts geändert. Was sich aber genauso wenig geändert hat, ist, dass Oceans Of Slumber mit ihrem sechsten Album etwas Außergewöhnliches gelungen ist. Konzipiert als Soundtrack zu einem imaginären postapokalyptischen Sci-Fi-Film, zeigt „Where Gods Fear To Speak“ die Band auf dem Höhepunkt ihres Schaffens. Und machen wir uns nichts vor, das liegt vor allem an Cammie Beverlys außergewöhnlicher Stimme. Sie gibt dem vom Southern Gothic inspiriertem Prog/Doom Metal des Quintetts das besondere Etwas. Von der grandiosen Ballade „Wish“ über das epische „Don’t Come Back From Hell Empty Handed“ und dem Gänsehaut-Piano in „I Will Break The Pride Of Your Will“ bis hin zum Closer „Wicked Game“ (das wirklich gelungene Cover von Chris Isaak fungiert gleichzeitig als Abspann) strotzt das Album nur so vor großen Emotionen und Melodien.
Genau wie über Avernus, habe ich auch über Oceans Of Slumber vor Kurzem geschrieben. Wenn ihr eine ausführlichere Besprechung des Albums lesen wollt, findet ihr die hier.
Platz 7
Thy Catafalque – XII: A Gyönyörű Álmok Ezután Jönnek (VÖ: 15.11., Season of Mist)
Wer kein ungarisch beherrscht und den Titel dieses Albums fehlerfrei aussprechen kann, hat meine Anerkennung sicher. Dieser heißt frei übersetzt „Die schönen Träume kommen als nächstes“ und trifft den Vibe des Albums damit auf dem Kopf. Bevor wir uns aber mit dem konkreten Werk auseinandersetzen, ein paar Worte zu dem Konzept der Band.
Thy Catafalque ist das Brainchild von Tamás Kátai und gehört in meinen Augen zu den herausragenden Projekten der modernen Metalszene. Was 1999 mit rohem LoFi Black Metal anfing („Sublunary Tragedies“, dem man damals schon die Liebe zum Experimentieren anmerkte), hat sich zu einem der vielfältigsten Metalprojekte der Gegenwart entwickelt. Kein Album klingt wie sein Vorgänger: Black Metal, Jazz, EDM, Doom Metal, Alternative Rock, Ambient, Folk. Genres zu finden, in denen Kátai sich noch nicht ausgetobt hat, wird schwierig. Heute lässt sich der Stil der Band wohl am besten unter Avantgarde Metal zusammenfassen.
Und das bringt uns zurück zu „XII: A Gyönyörű Álmok Ezután Jönnek“, an dem über 30 Gastmusiker*innen mitgewirkt haben. Das Album klingt, wie sein Titel suggeriert, tatsächlich wie eine Abfolge von Träumen. „XII“ ist deutlich leichter, spielerischer und eingängiger als sein Vorgänger „Alföld“ (2023), das sich durch schweren Blackenend Doom auszeichnet. Das wird direkt beim Opener „Piros Kocsi, Fekete Éj“ („Roter Wagen, schwarze Nacht“) deutlich, der prominent die fantastische Stimme von Thy Catafalques Stammgast Martina Horváth präsentiert und teilweise an den Surf Rock von King Gizzard & The Lizard Wizard erinnert. „Lydiához“ („Für Lydia“) und „Nyárfa, nyirfa“ („Pappel, Birke) hingegen geben sich ganz dem ungarischen Folk hin. Es ist schwierig, den Sound von „XII“ einzufangen, weil das Album zwar als kohärentes Ganzes funktioniert, aber zwischen den Stilen der einzelnen Songs Welten liegen. Dem Alternative Rock des famosen Rausschmeißer-Duos „A Gyönyörü Almok Ezutan Jönnek“ und „Babylon“ steht der experimentelle Black Metal von „Mindenevö“ („Wie auch immer“) und „Vasgyár“ („Eisenhütte“) gegenüber, und zwischendrin warten ständig elektronische Instrumental-Songs. Genau wie in einer langen traumreichen Nacht gehören die einzelnen Episoden zwar zweifelslos zusammen, ihre Verbindungen erschließen sich aber nicht immer auf den ersten Blick.
So bleibt euch nichts anderes übrig, als mir zu glauben und euch ein eigenes Bild zu machen. Und sollte euch „XII“ wider Erwarten nicht gefallen, bleiben immer noch elf andere Thy-Catafalque-Alben, um euch zu überzeugen. Es wird garantiert eins dabei sein, das euch anspricht. Versprochen.