Das ist der dritte Teil meines Black Metal Specials. Solltet ihr die ersten beiden noch nicht gelesen haben, würde ich damit anfangen. Ihr findet Part 1 hier und Part 2 hier.
Diese Faszination für rechtsextremes und völkisches Gedankengut liegt zum einen natürlich an der Vergangenheit des Genres und der norwegischen Szene der 1990er. Aber die Gründe, wieso Black Metal für dieses Gedankengut so fruchtbaren Boden liefert, gehen tiefer. Bereits in der First Wave war ein tiefer Wunsch nach Authentizität und Individualität angelegt, der sich leicht missbrauchen lässt. Ich glaube, dass Black Metal deswegen empfänglich für Extremismus ist, weil es sich seit jeher als Gegenentwurf und Abgrenzung zu einem wie auch immer gearteten Mainstream verstanden hat und damit Außenseitern jeder Art ein musikalisches Zuhause gibt. Für sich genommen ist das in meinen Augen auch eine Eigenschaft, die den Black Metal so interessant macht. Nur bietet es vielen Rechtsextremist*innen mit ihrer verzerrten Selbstwahrnehmung und dem gelebten Opfermythos damit eben auch Anknüpfungspunkte. Umso wichtiger ist es, dass der Rest der Szene, sich unnachgiebig gegen diese menschenverachtenden Ideologien stellt.
Rot, anarchistisch, antifaschistisch
Medial ist dabei der extrem rechte Rand präsent, aber es existiert genauso eine linke bis linksextreme Black-Metal-Szene: Red or Anarchist Black Metal (RABM). Diese Szene entstand in den frühen 2000ern und hat sich insbesondere in den 2010er-Jahren als explizites Gegengewicht zu den faschistischen Strömungen entwickelt. Das britische Soloprojekt Gaylord hat 2018 beispielsweise das Album „The Black Metal Scene Needs to Be Destroyed“ veröffentlicht und damit im Underground zahlreiche Fans gewonnen. RABM-Bands wie Gaylord spielen mit den Motiven und dem klassischen Sound der norwegischen Szene, verkehren ihre Botschaft aber ins Gegenteil, wie auch dieser Vice-Text aus dem Jahr 2018 exemplarisch zeigt.
Die Journalistin Christina Wenig hat auf ihren Social-Medien-Kanälen sogar eine ganze Serie, in der sie antifaschistische Black-Metal-Bands empfiehlt. Auch wenn ich mich sonst so gerne über den deutschsprachigen Metal-Journalismus aufrege, kann ich ihre Arbeit nur aus vollem Herzen empfehlen. Ihre Kolumne „Hard in Here“ im Musikmagazin Diffus ist exzellent und auch ihrem Instagram- oder TikTok-Account zu folgen lohnt sich absolut.
Und noch eine andere Entwicklung freut mich wirklich sehr: Seit einigen Jahren gründen immer mehr trans Frauen Black-Metal-Bands und nutzen die Extremität des Genres, um ihren Erfahrungen Ausdruck zu verleihen. In diesem Thread hat eine Twitter-Userin zahlreiche Black-Metal-Projekte von trans Frauen zusammengetragen.
2024 – das Jahr des Black Metals
Und heute? Ein Großteil der Alben, die ich dieses Jahr besonders interessant und innovativ fand, stammt aus dem Black Metal. Und im Gegensatz zu früher ist das Genre heute extrem weiblich.
Keine Band steht aktuell exemplarisch so sehr für das, was ich in dieser Reihe zusammengefasst habe, wie Witch Club Satan. Was entspricht mehr dem ursprünglichen Spirit des Black Metals als drei Musikerinnen, die ein Ventil für ihre Wut auf gesellschaftliche Verhältnisse suchen und denen es egal ist, dass sie keinerlei Metal-typische Instrumente beherrschen? Witch Club Satan sind feministisch, positionieren sich eindeutig antirassistisch und thematisieren die Klimakatastrophe. Sie fühlen sich zur musikalischen Identität der Second Wave of Black Metal hingezogen, distanzieren sich aber gleichzeitig von jener politischen Haltung. Das Trio zählt zu den interessantesten Projekten der modernen Metallandschaft. Für alle, die mehr über die Gruppe wissen wollen, hat der britische Metal Hammer gerade ein sehr lesenswertes Portrait veröffentlicht.
Die schwedische Band Dödsrit braucht sich in Sachen Ohrwurmgarantie mit ihrem epischen Melodic Black Metal vor keiner klassischen Heavy-Metal-Band verstecken. Bereits der erste Riff des Songs „Irjala“, der Opener ihres aktuellen Albums „Nocturnal Will“, ist so unverschämt catchy, dass ich mich in die Platte direkt schockverliebt habe.
Die Australierin Emily Highfield und ihre Band Suldusk verbinden (Neo-)Folk-Elemente mit Black Metal. Auf ihrem zweiten Album „Antithesis“ zeigt Highfield, dass sie aktuell zu den besten Sänger*innen der Metalszene zählt, und entfaltet mit ihrem Spiel zwischen laut und leise, Aggressivität und Verletzlichkeit, eine ganz besondere Atmosphäre.
Eine solche findet sich auch auf „Weibermacht“, dem zweiten Album von Folterkammer. Dabei handelt es sich um das Projekt der Schweizer Sängerin Andromeda Anarchia, bei dem auch der New Yorker Gitarrist Zachary Ezrin beteiligt ist, der selbst mit Imperial Triumphant die Grenzen dessen, was im Black Metal möglich scheint, verschoben hat. Mit Folterkammer haben die beiden einen Sound erschaffen, der einzigartig in der Szene ist. Black Metal wird hier mit barocker Musik kombiniert und durch Anarchias klassischen Operngesang veredelt, der sich mit Black-Metal-Screams abwechselt. „Weibermacht“ setzt zudem durch seine Lyrics ein Ausrufezeichen. Sie bilden mit ihren BDSM-Themen aus Sicht einer Domina quasi die Antithese zum Sexismus à la Rammstein.
Im klassischen Second-Wave-Sound ist die Belgierin Marliese Osborne mit ihrem Soloprojekt Hulder unterwegs. Auf ihrem zweiten Album „Verse in Oath“ zeigt sie, dass es aktuell niemanden gibt, der besser an den Klang der norwegischen Originale rankommt. Was ihren Ansatz so herausragend macht, ist die Einbindung von Folk-Elemente, ohne dabei den frostigen Black-Metal-Sound zu vernachlässigen. Nicht umsonst gilt sie bereits als Queen of Modern Black Metal.
Und zu guter Letzt zeigt das Schweizer Trio Vígljós, dass extreme Texte nicht immer von Folter und Gewalt handeln müssen. Es hat sich das Leben von Bienen als Konzept angeeignet und präsentiert sich passend dazu in klassischen Imker-Outfits, wie auf dem Albumcover, das das Gemälde „Die Bienenzüchter“ von Pieter Bruegel ziert (1569). Vígljós‘ Debütalbum „Tome I: apidæ“ erzählt den Lebenszyklus einer Biene und damit eine klassische Geschichte von Aufstieg und Zerfall. Musikalisch gibt es traditionellen Lo-Fi-Black-Metal. Das größte Highlight der Platte ist für mich definitiv der instrumentale Track „Dance of the Bumblebee“, den man sich wirklich als Soundtrack für eine tanzende Hummel in der Natur vorstellen kann.
Über den Tellerrand geblickt
Die frühe Geschichte des Black Metals, so wie sie meistens erzählt wird, ist eine rein männliche. Dass diese Geschichte unvollständig ist, zeigt die griechische Band Astarte. Dabei handelt es sich um die erste Black-Metal-Band, die ausschließlich aus Frauen bestand. Gegründet 1995 in Athen als Lloth, veröffentlicht sie 1998 ihr Debütalbum „Doomed Dark Years“ unter dem Namen Astarte.. Ihr Debüt muss sich vor den Klassikern der Second Wave of Black Metal verstecken, ich würde sogar so weit gehen und sagen, dass insbesondere die Vocals von Maria „Tristessa“ Kolokouri und die gesamte Atmosphäre des Albums, viele der Alben von Darkthrone, Mayhem und Co. in den Schatten stellt. Trotzdem tauch die Platte, auch wenn die Platte online eine treue Fangemeinde hat, in den gängigen Listen der besten oder einflussreichsten Black-Metal-Alben quasi nie auf. Insgesamt hat die Band fünf Alben veröffentlicht. Kolokouri verstarb 2014 im Alter von nur 37 Jahren an einer Leukämie-Erkrankung. Ihr möchte ich diesen Newsletter widmen.