RobsMetalMoments Mai 2024
Musik ist (nicht) mein Leben oder wie ich mir fast den Spaß an Metal nahm
Nein, ihr habt nichts verpasst – das ist tatsächlich mein erster Newsletter in diesem Jahr! Fast fünf Monate sind seit meinem letzten Text inzwischen vergangen. Es ist, seit ich im Januar 2021 mit RobsMetalMoments angefangen habe, der längst Zeitraum, in dem ich nicht über Metal geschrieben habe. Und ich möchte diese Gelegenheit nutzen, darüber zu reflektieren, wie diese lange Pause zustande kam und was ich in den vergangenen Monaten über meinen Musikkonsum gelernt habe.
Vom Metalfan zum Metalnerd
Dieser Newsletter ist aus der Monotonie der Pandemie-Lockdowns heraus geboren. Wie so viele habe auch ich mir neue Hobbys gesucht, während die Welt sich auf die eigene Wohnung verengt hatte. Ich war zwar schon immer Metalfan, aber 2020 habe ich mich mit einer ganz neuen Intensität mit dem Genre beschäftigt. Stundenlang habe ich YouTube-Videos geschaut, die sich mit der Geschichte des Metals auseinandersetzten, detailliert einzelne Bandbiografien seziert und dutzende, wenn nicht hunderte Album-Reviews verschlungen. Tage- und nächtelang habe ich mir die Diskografien ikonischer Bands des Genres angehört, die ich bis dahin nur oberflächlich kannte. Pünktlich an jedem Freitag habe ich mich in die Neuerscheinungen gestürzt und online über die High- und Lowlights diskutiert.
Ich wurde von einem Metalfan zu einem wahren Metalnerd, und im Nachhinein hat mir diese fast schon obsessive Beschäftigung extrem durch die Pandemie geholfen. In dieser Zeit habe ich mich neu in meine Lieblingsmusik verliebt und Spielarten des Extreme Metals zu schätzen gelernt, mit denen ich bis dahin nichts anfangen konnte. Aus dieser frisch entflammten Leidenschaft heraus war dann der Drang entstanden, andere Menschen an meinem neugewonnen Wissen teilhaben zu lassen.
In den Jahren, die auf meinen ersten Newsletter gefolgt sind, war dieses Schreiben über Metal für mich ein wichtiger Bestandteil meines Alltags. Bei jedem neuen Album, das ich gehört habe, habe ich im Kopf direkt eine Kurzrezension verfasst und mir überlegt, ob ich darüber in meinen Newsletter schreibe. Mir ist natürlich bewusst, dass ich keine tausenden Leser*innen habe, aber dieser Newsletter hat meine Hörgewohnheiten über die vergangenen Jahre trotzdem maßgeblich bestimmt. So habe ich in dieser Zeit fast ausschließlich komplette Album, in der Regel Neuerscheinungen, gehört, um auf dem neuesten Stand zu bleiben. Es gibt wohl kein relevantes Metalalbum, das in den 2020ern erschienen ist, das ich nicht mindestens einmal in Gänze gehört habe. Lange Zeit hat mir diese Struktur Halt gegeben. Ich habe bei jeder Haushaltsarbeit, jeder Auto- oder Zugfahrt, jedem Einkauf die Neuheiten der vergangenen Woche gekannt.
Die Liste wächst und wächst und wächst…
Fast Forward in das Jahr 2023, in dem sich für mich so viel verändert hat wie nie zuvor in meinem Leben. Ich habe ein Buch geschrieben (zusammen mit Simon Sahner „Die Sprache des Kapitalismus“, wer es noch nicht kennt – hier entlang!), bin nach Frankfurt gezogen und es wurde absehbar, dass ich mich beruflich umorientiere. Und während all dieser super schönen Veränderungen, fühlte es sich plötzlich wie Arbeit an, in Sachen Metal auf dem neuesten Stand zu bleiben. Ich habe zwar weiter regelmäßig Rezensionen neuer Alben gelesen (metal.de, metal-hammer.de, angrymetalguy.com,…) oder mir auf YouTube angesehen (Banger TV, The Metal Meltdown, Metal Trenches, Anthony Fantano,…) und mein Excel-Spreadsheet, in dem ich alle Interpreten, Albumtitel und Subgenres notiere, wuchs fleißig weiter (ja, natürlich katalogisiere ich meine Alben in Excel!). Das einzige Problem – ich kam mit dem Hören nicht mehr so hinterher wie früher.
Anfang dieses Jahr war meine Frustration darüber dann so groß, dass ich monatelang kaum Metal gehört habe. Während die Veröffentlichung meines Buchs kurz bevorstand, ich mir Gedanken über meine berufliche Zukunft machte, lief fast den gesamten Winter über R.E.M.: meine erste große musikalische Liebe. Parallel dazu wuchs meine Liste mit den ungehörten Alben schier unaufhörlich weiter. Als ich irgendwann damit aufhörte, diese Liste zu pflegen, war das eine erstaunlich große Erleichterung. Es war, als hätte ich gar nicht gemerkt, wie sehr die Verpflichtung, immer up to date zu sein, an mir nagte.
Das ist eines der größten Probleme mit der Kommodifizierung des eigenen Hobbys. Selbst in meinem Fall, wo ich kein Geld mit diesem Newsletter verdiene, fühlte sich das Commitment, regelmäßig Texte herauszuschicken, wie eine bindende Verpflichtung an, die mit der Zeit zur Last wurde. Und so schön die Demokratisierung dieser Form der Kunstkritik auch ist, für den Einzelnen kann sie das einst geliebte Hobby auch ruinieren. Erst in dem Moment, in dem ich mich von der Vorstellung freigemacht habe, jede Neuerscheinung sofort hören zu müssen, um darüber zu schreiben, kam meine Lust auf neuen Metal zurück.
Was die Zukunft bringt
Das hier ist also kein Abschied, sondern vielmehr die offizielle Erlaubnis von mir an mich, diesen Newsletter in Zukunft noch mehr an meinen Alltag anzupassen. Inzwischen habe ich dieses Jahr wieder weit über fünfzig neue Alben gehört und große Lust darauf, euch von den ganzen Highlights zu erzählen, die es in den vergangenen Monaten gab. Aber ich möchte dieses Format auch noch mehr dazu nutzen, allgemeiner über Musik und ihren gesellschaftlichen Impact zu schreiben (abseits des gefühlt allgegenwärtigen Aktualitätszwangs).
Ich arbeite gerade an zwei Newslettern, die ihr in den nächsten Wochen bekommt. Zum einen sitze ich an einem kleinen Essay über Black Metal und wieso ich glaube, dass es das innovativste Metalgenre der Gegenwart ist. Zum anderen schicke ich Ende des Monats eine Liste mit meinen bisherigen Highlights des Jahres raus, damit ihr trotz allem mit den aktuellen Perlen der Metalwelt versorgt seid.
Heute gibt’s schon mal einen ersten Einblick:
Über den Tellerrand geguckt
Ich denke mir aktuell immer wieder neue Kategorien aus, um die Struktur des Newsletters ein wenig aufzulockern. Und tada, in „Über den Tellerrand geguckt“ konzentriere ich mich auf Bands, die nicht aus Europa, den USA oder Kanada stammen, oder nicht in das (manchmal zu enge) Metal-Korsett passen. Enjoy!
Selbst – Despondency Chord Progressions
N, Multiinstrumentalist und Mastermind hinter Selbst, kommt aus Venezuela und lebt seit einigen Jahren in Santiago de Chile. Man muss aufpassen, in die Herkunft von Musiker*innen nicht zu viel zu projizieren, aber der düstere, verzweifelte Black Metal von Despondency Chord Progression ist ein treffender Spiegel für die politische Situation Venezuelas. Das Album gehört zu meinen bisherigen Jahreshighlights, weil es eine emotionale Tiefe und Dringlichkeit bietet, die selten ist. Die Aggressivität des Black Metals wird durch atmosphärische, introvertierte Passagen gebrochen, wütende Tremolo-Riffs wechseln sich mit verzweifelten Klargesang-Parts ab. Ein besonderes und intensives Hörerlebnis.
Bala – Besta
Das galizische Duo Bala liebe ich, seit ich 2021 ihr drittes Album Maleza das erste Mal gehört habe. Anx (Gitarre und Gesang) und V (Drums und Gesang) haben einen ganz eigenwilligen Sound, der irgendwo zwischen Grunge, Punk und Stoner Rock liegt und den sie mit feministischen Texten veredeln. Mit ihrem neuen Album Besta zeigt sich die Band auf dem vorläufigen Zenit ihres Schaffens. Das große Kunststück Balas besteht darin, die rohe Energie ihrer Musik mit eingängigen Hooks zu verbinden (und die spanischen und galizischen Lyrics geben dem Ganzen das besondere Etwas). Wenn es je einen Soundtrack zum Zerschlagen des Patriachats geben sollte, dürfen Bala darauf nicht fehlen. Bis dahin ist die musikalische Untermalung des nächste Roadtrips dank Besta gesichert.
Exhumation – Master’s Personae
Indonesien hat eine der interessantesten Metalszenen der Welt. Dort tummeln sich wahnsinnig viele Extreme-Metal-Bands, die aufgrund des Mangels an etablierten Labels häufig einen ganz speziellen DIY-Sound haben. Ein aktuelles Beispiel dafür ist das Duo Exhumation. Stellt euch eine klassische Old-School-Death-Metalband mit der Attitüde einer Punk-Gruppe vor, der man eine Garage-Rock-Produktion verpasst hat, und ihr habt eine ungefähre Vorstellung davon, wie Master’s Personae klingt: roh, druckvoll mit extremer Intensität!