Ich bin wieder da! Es sind über zwei Monate seit meinem letzten Newsletter vergangen und das erste Mal, seit ich ihn im Januar 2021 ins Leben gerufen habe, habe ich es nicht geschafft, meinen monatlichen Rhythmus zu halten. Das hat auch gute Gründe: Zusammen mit dem Literaturwissenschaftler Simon Sahner schreibe ich ein Buch, das im Frühjahr 2024 im S. Fischer Verlag erscheinen wird. (Nein, es wird nicht um Metal gehen. Mehr dazu verrate ich, wenn die Herbstvorschauen erscheinen). Seit einiger Zeit habe ich zudem einen Podcast gemeinsam mit der Popkultursoziologin und Kulturjournalistin Isabella A. Caldart. In The Sad Millennials sprechen wir vor allem über gesellschaftliche und popkulturelle Themen aus Sicht unserer Generation. Gerade ist die dritte Folge erschienen, die ihr hier hören könnt. Außerdem arbeite ich noch an meiner Dissertation und habe tatsächlich auch einen richtigen Job an der Uni. Ihr seht also – es ist alles gerade ziemlich busy bei mir.
Das ändert aber nichts daran, dass ich es liebe, über die Musik zu schreiben, die mir am Herzen liegt. Ich habe deswegen die letzten Wochen genutzt, um mir einen Weg zu überlegen, wie ich diesen Newsletter sinnvoll weiterführen kann. Deswegen wird er in Zukunft etwas unregelmäßiger erscheinen und kürzer sein. Ich werde versuchen, nur noch drei, vier Themen, die mich gerade besonders interessieren, zu behandeln und nicht mehr so ausführliche Rezensionen zu schreiben (keine Angst, Album-Empfehlungen werden natürlich trotzdem ihren Platz finden). Lasst mich gerne wissen, was ihr davon haltet!
Heavy Metal Summer
Ich gebe es zu – Metal ist jetzt nicht direkt die beste Party- oder Chill-Musik. Aber es gibt ein Subgenre aus den unendlichen Weiten des Metal-Kosmos, das mir besonders im Sommer Spaß macht. Sei es beim Grillen mit Freund*innen, alleine im Auto oder einfach beim Spaziergang durch die Stadt – Heavy und Epic Metal sind mit ihrem Fokus auf Melodien und ihrer entspannten Grund-Attitüde wie für den Sommer gemacht. Und damit ihr bestmöglich ausgerüstet seid, habe ich im Folgenden meine vier Lieblings-Heavy-Metal-Alben der letzten Monate für euch zusammengefasst.
The best of the pack so far sind die US-Amerikaner von Blazon Rite. Lasst euch von dem winterlich anmutenden Cover des zweiten Albums der Bois aus Philadelphia nicht irritieren. „Wild Rites and Ancient Songs“ ist ein erstklassiges Retro-Heavy-Metal-Album, das von der ersten Sekunde an gute Laune verbreitet (wenn man sich ein wenig in mittelalterlichen Welten wohlfühlt, schadet das bei den Texten auch nicht). Insbesondere die zugegeben etwas gewöhnungsbedürftige Stimme von Johnny Halladay, verleiht dem Album seinen besonderen Charme. Lieder wie „Fall of a Once Great House“, das erst balladesk beginnt und sich dann zu einer schwungvollen Up-Tempo-Nummer steigert, oder „Mark of the Stormborn Riders“ laden einfach direkt zum Mitsingen ein.
Ich habe das Gefühl, dass Fleetwood Mac seit ein paar Monaten, insbesondere dank TikTok und der Amazon-Serie „Daisy & the Six“, ein kleines Comeback hinlegt. Deswegen passt mein nächster Tipp ganz hervorragend – denn das New-Yorker-Trio Tanith klingt wie eine moderne Heavy-Metal-Version von Fleetwood Mac. Das liegt in erster Linie an Gesangsduo Cindy Maynard und Russ Tippins (den man auch von seiner Stammband Satan kennt). „Voyage“ ist ein großartiges Album, das auch problemlos in die Seventies gepasst hätte, und sicher auch die nicht-Metal-hörende Verwandtschaft beim Familien-Grillen begeistern kann.
Retro-Charme ist generell ein Merkmal von Epic und Heavy Metal, genau wie die oftmals sehr speziellen Gesangsstimmen. Da bildet auch das finnisch-kanadische Quintett Smoulder keine Ausnahme. Denn ihr leicht vom Doom-Metal inspirierter Epic Metal könnte direkt aus den 1980ern stammen. Und Sängerin Sarah Ann sorgt mit ihrer Stimme dafür, dass auch der Gesang alles andere als 08/15 ist. Sollte euch ihre Stimme bekannt vorkommen, kann das übrigens absolut sein, denn abseits ihrer Rolle als Smoulder-Frontfrau ist sie bei meinem Lieblings-Metal-YouTube-Channel BangerTV als Hostess zu sehen. Aber nicht nur deswegen bin ich großer Fan von „Violent Creed of Vengeance“, dem zweiten Album der Band. Wie auch die anderen Alben in dieser Liste verbindet es auf super unterhaltsame Weise eingängige Melodie, Epik und eine gute Portion Theatralik.
Zu guter Letzt habe ich noch einen Tipp für alle Ghost Fans oder genauer gesagt, für alle Fans der ersten beiden Alben der schwedischen Retro-Rocker. Denn auch wenn ich die neuen Ghost-Sachen wirklich mag, verstehe ich alle, die finden, dass sich die Band mit ihrem ABBA-Metal inzwischen doch arg weit von den eigenen Wurzeln entfernt hat. Wer sich also fragt, wie würden Ghost heute klingen, wenn sie ihren Heavy-Metal- und Psychedelic-Rock-Einflüssen treu geblieben wären, dann hat die chilenische Band Shadows die passende Antwort. Bis hin zu den Vocals klingt ihr Debüt „Out for Blood“ so extrem nach Ghost, dass ich dreimal checken musste, ob es nicht ein geheimes Nebenprojekt von Mastermind Tobias Forge ist. Aber nein – bei Shadows handelt es sich um John Shades und Michael Mist aus Santiago de Chile, die einfach ein unglaublich unterhaltsames Ghost-Worship-Album rausgehauen haben.
Aus dem Schlaf an die Spitze
Die Zeiten, in denen Metalbands auch außerhalb der Genre-Grenzen zu Superstars aufsteigen konnten, sind lange vorbei. Die letzten Bands, denen das gelungen ist, waren die Nu-Metal-Gruppen der späten 1990er- und frühen 2000er-Jahre, von denen heute vor allem Slipknot noch an ihre Erfolge von damals anknüpfen kann. Die erfolgreichen Metal-Acts unserer Zeit wie Ghost, Gojira oder Bring Me The Horizon schaffen es hingegen kaum mal in den popkulturellen Mainstream. Deswegen freue ich mich immer sehr, wenn es einer Band gelingt, sich nicht ausschließlich einem Metal-Publikum zu präsentieren.
Das aktuellste Beispiel dafür sind die Briten Sleep Token, die mit ihrem dritten Album „Take Me Back To Eden“ gerade ziemlich beachtenswerte internationale Erfolge feiern (mit den Chart-Positionen 3 in Großbritannien, 5 in Deutschland oder 16 in den USA). Dabei ist die Kategorisierung als „Metal-Band“ auch eher eine breite Interpretation ihrer Musik. Zwar greift das Quartett auf Elemente des Metalcore und modernen Progressive Metal zurück, integriert aber genauso viele Hip-Hop-, Pop- und Electro-Einflüsse in ihren Sound. Weiteres Markenzeichen der Band ist ihr Auftreten. Alle Mitglieder sind anonym und laut Bandkonzept erhält der Sänger, der unter dem Pseudonym „Vessel“ bekannt ist, die Inspiration für die Songs während er schläft von einer alten Gottheit namens „Sleep“. Und damit steht Sleep Token dann doch in einer klassischen Metal-Tradition, die auch schon Alice Cooper, Slipknot oder Ghost bedient haben.
Bei aller Innovationskraft ist die Musik für meinen persönlichen Geschmack teilweise etwas sehr langweilig und drucklos. Am stärksten ist das Quartett immer dann, wenn sie innerhalb eines Songs ihren wilden Genre-Mix auslebt. Nur finden sich von solchen Tracks leider wenige auf dem Album (wer mehr wissen will, hier habe ich zwei sehr gute Rezensionen zum neuen Album von Metal Injection und Clash). Dennoch weiß ich die Bedeutung Sleep Tokens sehr zu schätzen. Es sind ja genau diese Genre-übergreifenden Bands, die es schaffen, vor allem junge Musikfans für härtere Musik zu interessieren. Und unabhängig davon, wie gut mir die Musik gefällt – Nachwuchs kann der Metal immer gebrauchen.
Besser als Metallica
Es ist natürlich nicht möglich, einen Metal-Newsletter zu schreiben und darin nicht über das neue Metallica-Album zu reden (wenn auch mit etwas Verspätung). Metallica sind bis heute die erfolgreichste und größte Metal-Band aller Zeiten und jedes Album ist qua ihres Status ein Großereignis, nicht nur in der Metal-Szene. Und was soll ich sagen, „72 Seasons“, das 11. Studioalbum der Band, ist ungemein… mittelmäßig. Dabei finde ich das lyrische Konzept der Platte sogar spannend und für eine Band, deren Debüt 40 Jahre zurückliegt, ziemlich mutig. In „72 Seasons“ setzen sich James Hetfield und Co. mit prägenden und traumatischen Erlebnissen ihrer Kindheit und Jugend auseinander. Sie erzählen Geschichten ihrer ersten 18 Lebensjahre (daher auch der Titel – 18 Jahre mal jeweils 4 Jahreszeiten = 72 Seasons). Diese Intensität und Dringlichkeit des groben Konzepts bringt das Album nur leider musikalisch nicht wirklich rüber. Metallica waren nie besonders gut darin, sich kurz zu fassen. Nur haben sie es früher geschafft, Musik zu schreiben, die diese Spiellänge auch rechtfertigt. Im Jahr 2023 bin ich aber nicht bereit, der Band fast 80 Minuten zuzuhören, nur damit ich 30 Minuten irgendwie interessante Musik bekomme. Was schade ist, denn auf dem Album gibt es durchaus interessante Ideen. Dass Bassist Robert Trujillo endlich mehr Raum bekommt, sich zu entfalten, tut dem Sound erstaunlich gut (siehe das durchaus spannende „Sleepwalk my Life Away“). Und Lieder wie „Lux Æterna“, das eine Eins-a-Motörhead-Hommage ist, oder das sehr groovy „If Darkness Had a Son“ machen auch Spaß. Aber wenn wir bei allen Ambitionen, die die Band durchaus erkennen lässt, ganz ehrlich sind – würde auf dem Album nicht Metallica stehen, sondern der Name einer unbekannten Band, das Album würde zurecht keinen Mensch interessieren (was auch am dem grässlichen Cover liegt!).
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Und während Metallica in ihrer eigenen selbstreferenziellen Mittelmäßigkeit dahin wabern, gibt es Bands, die das Rampenlicht viel mehr verdient hätten. Das dritte Album „War Remains“ der US-Crossover-Thrasher Enforced hat alles, was ich mir wünsche. Ihre Mischung aus klassischem Thrash mit Hardcore-Punk-Elementen ist direkt und effizient. In 33 Minuten prügelt die Band alles raus, was sie zu sagen hat. Die Lieder kommen ohne große Umwege auf den Punkt und vermitteln eine Dringlichkeit, die der aktuellen Zeit einfach angemessen ist. Wie so oft findet sich die spannendste Musik eben nicht direkt im Scheinwerferlicht, auch wenn „War Remains“ einen Platz in ebenjenem absolut verdient hätte.
Was ich sonst noch empfehlen kann
Deutschlands Progressive-Metal-Aushängeschild ist zurück. Auf „Holocene“ ist die Band um Mastermind und Gitarrist Robin Staps reduzierter und ruhiger als auf ihren vorherigen Alben und nutzt mehr Progressive-Rock-Elemente. Das ändert aber nichts an den herausragenden Songwriting-Künsten der Band.
Frozen Soul – Glacial Domination
Old School Death Metal at its best. Ohne Umwege gibt es hier die volle Dröhnung. Kein Schnickschnack und eine erstaunlich druckvolle Produktion von Trivium-Frontman Matt Heafy, der sich hinter dem Mischpult seine ersten Producer-Sporen verdient.
Noch mehr Heavy Metal. Das Debütalbum der US-Amerikaner*innen lebt von der Stimme von Sängerin Madeline Smith. Insgesamt ist es nicht so vielfältig und spannend wie die anderen vier Bands in dieser Ausgabe, aber „First Sighting“ ist dennoch eine super unterhaltsame Sommer-Platte und ein vielversprechendes Debüt.
Dødheimsgard – Black Medium Current
Avantgarde Black Metal mit Electro-Einflüssen. Unvorhersehbar, schwer zugänglich und generell eine Herausforderung – aber eine, die sich lohnt.
Angux McSix - Angus McSix and the Sword of Power
Kitischiger Power Metal vom ehemaligen Gloryhammer-Frontman (der mit dem Namen seines neuen Projekts ein dickes „Fuck You!“ an seine ehemalige Band schickt). Wer kein Problem damit hat, wenn Metal sich auch mal nicht ganz ernst nimmt, wird hiermit seine Freude haben.