#RobsMetalMoments – Juni 2022
Complex Structures
Eigentlich sollte der Sommer doch für leichte Gute-Laune-Musik stehen?! Damit kann ich in meiner neuen Newsletter-Ausgabe leider nicht dienen, stattdessen schreibe ich über einige der anspruchsvollsten, intensivsten aber auch besten Metal-Alben des bisherigen Jahres. Wer sich Angesicht des Zustandes der Welt also völlig seiner Resignation oder Verzweiflung hingeben will, der ist an genau der richtigen Adresse. Wie immer wünsche ich euch viel Spaß beim Lesen und freue mich über Feedback jeglicher Art.
1
Manchmal veröffentlicht genau die richtige Band, das genau richtige Album, zur genau richtigen Zeit und schafft dadurch etwas wirklich Einmaliges. Mit False Light ist den Ukrainern White Ward dieses Kunststück gelungen. Nun wird das dritte Album des Quintetts häufig in Bezug auf den schrecklichen, russischen Angriffskrieg auf die Ukraine besprochen und obwohl das notwendig ist, und es unmöglich ist False Light losgelöst von diesen grausamen Ereignissen zu betrachten, so würde es Band und Album unrecht tun, sie darauf zu beschränken. Betrachten wir das Album also aus zwei Blickwinkeln – dem musikalischen und seinem bedrückenden zeitgeschichtlichen. Auch ohne den aktuellen Kontext wäre False Light nämlich ein herausragendes Stück Musik. Das liegt daran, dass es aktuell keine Band gibt, zumindest keine die ich kenne, die Extreme Metal (hier Black Metal) so geschickt mit (Dark-)Jazz- und Post-Rock-Elementen verbindet, wie White Ward das tun. Das Black Metal typische Tremolo-Riffing wechselt sich mit Saxofon-Passagen und verträumten Post-Rock-Gitarren-Landschaften ab. Dazu kommt der Wechsel zwischen keifenden Screams und Gothic-Rock-esken Cleanvocals, der den acht Liedern zusätzliche Tiefe verleiht. Klassische Songstrukturen sucht man hier vergebens und dennoch schaffen es die Ukrainer die Hörenden zu fesseln und einzelne Passagen zu schreiben, die wie ein guter Refrain im Ohr bleiben. Das beste Beispiel für diesen Stil-Mix der Band ist Cronus. In etwas über sechs Minuten schafft es die Band hier, ihre Sound-Vielfalt exakt auf den Punkt zu bringen.
Aber tragischerweise reicht es eben nicht aus, über die bloße musikalische Qualität des Albums zu sprechen. False Light entstand in einem Klima der Bedrückung, von den viele Ukrainer*innern seit der Krim-Annexion 2014 berichteten und wurde schlussendlich kurz nach Ausbruch des Krieges fertiggestellt. Dieses dystopische und klaustrophobische Umfeld, dem die Band ausgesetzt war, hört man dem Album zu jeder Sekunde an und es verleiht ihm diese enorme emotionale Wucht. Seine lyrische Inspiration und das Konzept ziehen White Ward aus dem Roman Intermezzo des ukrainischen Schriftstellers Mykhailo Kotsubinsky (1908). Wo Intermezzo aus den Eindrücken der russischen Revolution entstand, dreht False Light diese Logik um. Es entstand in einem Umfeld, dass sich auf die kommenden Katastrophen vorbereitet. Explizit wird Russland nicht erwähnt, aber die Motive, die die Band zitiert, sind eindeutig:
“[We wanted] to explore government-sanctioned murders, imminent environmental catastrophes, police brutality, domestic abuse, the psychic emptiness of cities, falsity of modern mainstream culture and ill-effects of overconsumption.”
Kein Lied bringt dieses Empfinden besser auf den Punkt als der Album-Opener Leviathan: ein 13-minütiges Epos, dass das ganze Gewicht und die gesamte Qualität von White Ward in sich vereint. Vor allem die ruhige Jazz-Passage in der Mitte des Songs, und wie sie die aggressiven Black-Metal-Parts miteinander verbindet, lässt mich immer wieder sprachlos zurück. Das auf dem Album direkt danach mit Salt Paradise eine ruhige, reduzierte Nummer kommt, die sich ganz auf den dunklen Klargesang und das Saxofon verlässt, zeigt die unglaubliche Vielfalt der Band.
False Light ist eines dieser Alben, für das man sich Zeit nehmen muss, dass sich nicht sofort erschließt. Aber es ist jede Sekunde Wert und wird von Mal zu Mal, dass ich es höre, besser und besser.
2
Puh, wo soll man bei Cave In anfangen? 1999 hat das Quartett aus Boston mit ihrem Debüt Until Your Heart Stops einen Klassiker der frühen Metalcore-Jahre veröffentlicht, nur um sich auf den Alben danach immer weiter progressiven und Alternative-Rock-Einflüssen zu öffnen. 2011 brachte die Band dann ihr für lange Zeit letztes Album White Silence raus, ehe sie 2019, ein Jahr nach dem Unfall-Tot ihres Bassisten Caleb Scofield, unter tragischen Umständen zurückkehrten. Am 20. Mai erschien nun das neue, siebte Album der Band – Heavy Pendulum. Darauf scheint es so, als würde Cave In die Pandemie-Jahre auf ihre Art und Weise verarbeiten. Das Album ist so vielschichtig, emotional dicht und anspruchsvoll, wie keines zuvor in der beeindruckenden Diskografie der Band. Die ersten beiden Vorab-Singles New Reality und Blinded by a Blaze sind dafür perfekte Beispiele. Wo im ersten progressiver Sludge und Stoner Metal dominiert, ist der zweite eine ruhige und bedrückende Post Metal Nummer. Vor allem die Kontraste der Stimmen von Stephen Brodsky (Klargesang) und Nate Newton (neuer Bassist, Shouts) harmonieren perfekt zusammen. (Die aufmerksamen Leser*innen unter euch werden sich erinnern: Brodsky war neben Chelsea Wolfe und Converge die dritte Partei, die am meinem Lieblingsalbum 2021 Bloodmoon: I beteiligt war). Es ist diese Dynamik im Gesang und dem gesamten Songwriting, durch die es die Band schafft, dass sich die 70 Minuten Spielzeit so kurzweilig anfühlen. Die eigenen Metalcore-Wurzeln lässt Cave In inzwischen zu großen Teilen hinter sich, um sich ihrer Liebe für progressive und vielfältige Songstrukturen hinzugeben. Dadurch wird Heavy Pendulum zu einem der kreativsten und abwechslungsreichsten Alben, die ich dieses Jahr gehört habe. Vor allem in den ausladenden und melancholischen Moment wie Nightmare Eyes und dem epischen Rausschmeißer Wavering Angel zeigt die Band, dass ihre großen Tage lange nicht vorbei sind.
3
Bei all den Vorab-Singles, die ich bisher vom neuen Arch Enemy Album gehört haben, glaube ich eher nicht, dass das eines der Highlights meines Jahres wird. Der neue, noch melodischere und irgendwie glattere musikalische Ansatz ist nicht so meins. Aber wie man im Englischen so schön sagt: We'll cross that bridge when we come to it. Wer aber generell die alten Tage von Arch Enemy vermisst, insbesondere die mit Angela Glossow am Mikro, für den habe ich gute Nachrichten. Die spanische Band Bloodhunter hat am 27. Mai ihr drittes Album Knowledge was the Price veröffentlicht und darauf finden sich 13 Songs, die alles zu bieten haben, was das Melodic-Death-Metal-Herz begehrt. Eingängige Hooks, packende Riffs und vor allem die großartige Stimme von Diva Santanica. Die Spanierin hat zuletzt vor allem durch ihre Rolle als neue Nervosa-Sängerin von sich reden gemacht, zeigt hier aber, dass sie sich nicht nur im Thrash Metal zu Hause fühlt. Ich finde sogar, dass ihre trockene, kratzige Stimme als perfekter Kontrast noch besser zu dem etwas melodischeren Ansatz ihrer Stammband passt. Der Titelsong, das schnelle und rücksichtslose A Twist of Fame to Come, oder das groovy The Hunter zeigen perfekt das Talent der Band. Und als wäre das alles nicht genug, gibt es als Kirsche auf den Death-Metal-Eisbecher obendrauf ein sehr gelungenes Cover von Bodom after Midnight.
4
Wusstet ihr, dass es eine große Native-American-Metalszene gibt? Falls nicht, dann wisst ihr es jetzt. Die beiden bekanntesten Vertreter sind wahrscheinlich Chuck Billy (Sänger von Testament) und Joey Belladonna (Sänger von Anthrax). Aber auch im Metal-Underground gibt es einige Bands, die sich auf ihr Native-American-Erbe beziehen. Die aktuell beste und spannendste Gruppe sind meiner Meinung nach Nechochwen aus West Virginia. Ursprünglich war das Duo im Neo-Folk zu Hause, hat aber auf seinem 2015er Album Heart of Akamon erstmals verstärkt auf (Black-) Metal-Elemente gesetzt und damit für eine Menge Aufsehen gesorgt. Sieben Jahr später gibt es mit Kanawah Black nun den Nachfolger und dieser liefert wieder genau das ab, was die Band auszeichnet (VÖ: 13.05.). Die Folk-Elemente, die aus den Traditionen der amerikanischen Ureinwohner*innen stammen, kombinieren Nechochwen mit krachendem und drückendem Black Metal. Mal dominieren dabei die Aggressionen des Black Metals (Generations of War) und mal bleibt die Band ganz im Akustik-Folk (I Can Die But Once). Das unbestrittene Highlight des Albums ist für mich aber der Titelsong Kanawha Black, in dem das Duo die beiden Seiten ihres Sounds in Perfektion verbindet. Der Opening-Riff ist einfach so ein Brett und geht sofort mitten rein in den Gehörgang und die Klargesang-Passage im Refrain weckt Erinnerungen an die ganz Großen der Progressive-Black-Metal- Szene (Borknagar, Enslaved)! Nechochwen sind das perfekte Beispiel für eine Band, die ihre Herkunft in ihren Sound integriert und dadurch etwas Außergewöhnliches schafft. Und sie gehören zu den Gruppen, die zeigen, wie vielfältig und auch für Skeptiker*innen gut zugänglich Black Metal sein kann.
5
Confession Time! Seit 30 Jahren gehören Septicflesh zu den größten griechischen Metalbands, und zu den aufregendsten Death Metal Bands überhaupt – und doch ist ihr elftes Album Modern Primitive das erste, dass ich komplett gehört habe (VÖ: 20.05.). Dabei ist die ikonische, und in dieser Umsetzung einmalige, Kombination des Sounds der Band, aus cineastischen Symphonic-Elementen und Death Metal eigentlich genau nach meinem Geschmack. Wie dem auch sei, besser spät als nie habe ich also mein Herz an das Quintett verloren. Wie auf (fast) allen ihrer Alben begnügen sich die Athener nicht mit symphonischen Sounds aus der Dose, sondern nehmen ihre Songs mit einem richtigen Orchester auf. Das verleiht ihrer Musik eine Dichte und Intensität, wie sie nur wenige Symphonic-Metal-Bands haben. In gerade einmal 39 Minuten lässt Septicflesh ein Gewitter großartiger Melodien und Arrangements auf uns herabregnen. Gerade die Kombination aus gutturalen Vocals und den teilweise an geflüsterte Spoken-Word-Performances erinnernden Clean Vocals sorgt für ein, perfekt zur Musik passendes, Spannungsverhältnis. Das Konzept geht besonders bei theatralischen Nummern wie Hierophant, Neuromancer, oder dem Herzstück des Albums Coming Storm auf. Nach meinem ersten Septicflesh-Erlebnis werde ich nicht drum herumgekommen, einen Wanderung in die Tiefen ihrer Diskografie zu unternehmen.
6
Als ich Anfang der 2000er angefangen habe, Metal zu hören, gab es vor allem drei Einflüsse für mich: der schwedische Melodic Death Metal, der deutsche und skandinavische Power Metal – und Metalcore. Wie für viele meiner Altersgenoss*innen waren es auch für mich Bands wie Bullet form my Valentine, Trivium oder As I Lay Dying, die mich damals an härtere Musik herangeführt haben. Inzwischen bin ich aus meiner Metalcore-Phase ein wenig rausgewachsen. Ich weiß nicht, ob es an mir liegt, oder ob das Subgenre wirklich etwas repetitiv geworden ist und seine besten Tage hinter sich hat, aber vieles aus dem Bereich langweilt mich inzwischen. Wenn schon Core dann Deathcore, heißt es für mich immer öfter. Eine paar Ausnahme davon gibt es dann aber doch, zum Beispiel: Bleed From Within. Auch die Schotten erfinden das Metalcore-Rad nicht neu, mit ihrer Kombination aus Hardcore, Melodic Death Metal und Djent, aber sie machen das so gut, wie nur wenig andere Band. Ihr neues, sechstes Album Shrine stellt für mich so etwas wie die Blaupause für gelungenen Metalcore anno 2022 da (VÖ: 03.06.). Und das war gar keine einfache Aufgabe, denn bereits auf ihrem letzten Album Fracture hat das Quintett bewiesen, dass sie absolut auf dem Höhepunkt ihres Schaffens sind. Shrine knüpft da nahtlos an. Die Songs sind noch Rhythmus- und Groove-orientierter und erinnern teilweise an ältere Sachen von Parkway Drive, ohne die Australier zu kopieren. Bleed from Within haben ein unglaublich gutes Gespür dafür, wann sie aufs Gas drücken müssen, wann ein Song einen fetten Breakdown und Sing-Along-Chorus braucht und scheuen auch nicht davor zurück mal ein paar symphonische Elemente einzubauen. Allen die den goldenen Tagen des Metalcores nachweinen, sei Shrine wärmstens ans Herz gelegt.
7
Mutterschaft und Metal – das sind zwei Begriffe, die man nicht häufig zusammenhört. Und wen wundert das auch, sind Menschen, die Kinder bekommen können, im Metal doch immernoch gnadenlos unterrepräsentiert. Und wenn es dann doch mal Musikerinnen ganz nach oben schaffen, dann meistens, weil sie mehr opfern müssen als ihre cis männlichen Kollegen. Mir ist außer der oben bereits erwähnten Angela Glossow, die 2014 bei Arch Enemy zurücktrat, auch um sich mehr um ihre Familie zu kümmern, kein Fall bekannt, in dem die Mutterschaft einer Musikerin aktiv thematisiert wurde. Umso wichtiger ist der Schritt, den die Venom Prison Sängerin Larissa Stupar gegangen ist. Anfang des Jahres wurde sie Mutter und hat nun in einem Instagram-Post erklärt, dass die Band ihre Auftritte für den Rest des Jahres absagt.
During my pregnancy I have made plans to make festivals and shows possible for Venom Prison. I have now realised that I was being too ambitious and was putting too much pressure on myself to make things happen while navigating motherhood for the very first time.
Es sollte eigentlich selbstverständlich sein, dass eine Person, die gerade ein Kind bekommen hat, sich diese Zeit nimmt. Aber auch als jemand, der nicht professionell in der Szene vertreten ist, bezweifle ich, dass das gemeinhin der Fall ist. Umso wichtiger ist Stupars Statement, mit dem sie Aufmerksamkeit für dieses Thema generiert, und es freut mich außerordentlich, dass sie offensichtlich die Rückendeckung ihrer Band hat – gerade an diesem Punkt, an dem Venom Prison sich in ihrer Karriere befinden. Ihr aktuelles Album Erebos gilt bei vielen Expert*innen als eines der besten Metalalben des Jahres (so auch für mich). Hier eine Pause zumindest von Live-Auftritten zu machen, ist eine Entscheidung, die sicher nicht einfach zu fällen war. Auf Metalsucks ist kurz nach dem Statement ein offener Brief erschienen, in dem ein Journalist, der selbst kürzlich Vater geworden ist, sich bei Stupar für ihre Offenheit bedankt – ein gutes Zeichen. Insgesamt kann ich sowohl Larissa Stupar und ihrer Familie als auch Venom Prison für die Zukunft nur alles erdenklich Gute wünschen.
9
Wie bereits eingangs erwähnt, gibt es diese Woche keine locker-leichte Feelgood-Band für euch (jedenfalls nicht im klassischen Sinne). Stattdessen habe ich zum Abschluss zwei Bands mit tief-melancholischer, trauriger und bedrückender Musik für euch. Sowohl das anonyme Trio von Deathwhite als auch Temple of Void haben sich dem Doom Metal verschrieben (beide aus den USA), wenn auch mit völlig unterschiedlichen Ansätzen. Wo auf Deathwhites drittem Album Grey Everlasting (VÖ: 10.06.) ein reduzierter Sound, der fast vollständig ohne Growls auskommt, regiert, gehen Temple of Voids auf ihrem viertem Album Summoning the Slayer (03.06.) mit progressivem Death Doom härter zu Werke. Dennoch verbindet beide Bands eine Schwermütigkeit, die ihrer Musik Gewicht verleiht und zumindest mich immer wieder emotional packt. Ich habe die beiden Platten oft nacheinander gehört und sie funktionieren als Tandem unglaublich gut und wirken fast wie Negative voneinander, die am Ende doch dieselbe Szenerie beschreiben.
Allerdings ist das jetzt keine Musik, die ich im Sommer ständig höre. Dafür ist mir das Ganze dann doch zu düster und bedrückend. Aber es ist ja auch gut zu wissen, dass ich schon einen Soundtrack für die dunkle Jahreszeit zur Hand habe.
10
Zum Abschluss ein paar weitere Alben, die ich im Mai gerne mochte:
Die deutschen Thrash-Metal Legenden Kreator haben mit Hate Ueber Alles ein super unterhaltsames neues Album veröffentlicht, über das Michael Thieme hier kenntnisreicher geschrieben hat, als ich es je könnte (VÖ: 10.06.). Evergrey, die schwedischen Meister des melancholischen Dark und Progressive Metal, zeigen auf A Heartless Portrait (The Orphean Testament) wieder einmal, wie eingängig und emotional Metal sein kann (VÖ: 20.05.). Das kanadische Quintett Cauchemar beweist auf Rosa Mystica, dass Heavy Metal auf Französisch einfach nochmal anders kickt (VÖ: 16.05.). Und zu guter Letzt nochmal etwas Anspruchsvolles: Kardashevs progressiver Death Metal erzählt auf Liminal Rite von den Erfahrungen eines Mannes, der an Demenz erkrankt ist und nicht mehr zwischen Realität und Fantasie unterscheiden kann – musikalisch wie konzeptuell herausfordernd (VÖ: 10.06.).