Dieser Newsletter wird etwas anders, als ihr es sonst von mir gewohnt seid. Es geht dieses Mal nicht so sehr um neue Musik – auch wenn die natürlich trotzdem vorkommt –, sondern um ein paar Themen, die mit einem gesellschaftlichen Blick auf den Metal zu tun haben. Das bedeutet nicht, dass ich in Zukunft nicht auch Ausgaben verschicke, die sich hauptsächlich um neue Alben drehen, aber ich möchte vermehrt auf diesen gesellschaftlichen Aspekt meiner Lieblingsmusik eingehen.
Immer wieder rechts
Eigentlich wollte ich an dieser Stelle ausgiebig „Blackbraid II“ feiern, das zweite Album der US-amerikanischen Black-Metal-Band Blackbraid (VÖ: 07.09.). Das Ein-Mann-Projekt des Native American Sgah’gahsowá, der bis auf die Drums alle Instrumente und Vocals selbst einspielt, gehört zu den am stärksten gehypten Bands des Metal-Undergrounds. Und aus einer rein musikalischen Perspektive ist auch völlig klar, wieso das so ist. Nachdem „Blackbraid I“ im vergangenen Jahr schon einen kleinen Vorgeschmack auf das gab, was wir von Blackbraid erwarten konnten, übertrifft das Nachfolgewerk zumindest meine Erwartungen bei Weitem. Eiskalter Black Metal im Stil der norwegischen Second Wave of Black Metal verbindet sich auf ganz faszinierende Weise mit Folk-Elementen, die den indigenen Wurzeln Sgah’gahsowás entstammen. Das Resultat ist ein eigenständiger Sound, der zwar deutlich in der Tradition des Melodic Black Metal verhaftet ist, aber durch den indigenen Folk etwas Besonderes hat, das in der Szene aktuell seinesgleichen sucht.
Alles gut also? Leider nein, denn in den vergangenen Tagen sind einige unschöne Details über Blackbraid ans Licht gekommen. In seinen Videos trägt Sgah’gahsowá Patches von Bands wie Taake und Horna, die teilweise rechtsextreme Mitglieder haben und zum Nationalsozialistischen Black Metal (NSBM) gezählt werden. Außerdem kam heraus, dass ein Mitglied der Band, die Sgah’gahsowá für Liveauftritte zusammengestellt hat und die auch im Video zu „The Spirit Returns“ zu sehen ist, ebenfalls Teil einer NSBM-Band ist. (An dieser Stelle ein großer Dank an Nikolai Okunew und @schmuerbchen, die mich auf Twitter darauf aufmerksam gemacht haben!)
Die Gretchenfrage, die sich also stellt, lautet: Wie hält es Sgah’gahsowá mit Nazis? In einem Interview im Onlinemagazin Astral Noize aus dem vergangenen Jahr äußerte er sich zwar wie folgt dazu:
Obviously I hate nazis and consider them to be the biggest cowards on Earth, I’d happily beat a nazi’s ass any day but I’m not going to let the fact that they play music ruin black metal for me either.
In Anbetracht von allem, was ich gerade geschildert habe, wirkt diese Aussage aber nicht ganz überzeugend. Denkbar sind eigentlich nur zwei Szenarien: Entweder kennt Sgah’gahsowá die rechtsextremen Verbindungen der entsprechenden Bands nicht, was ich mir angesichts seiner herausragenden Kenntnisse der Black-Metal-Geschichte, die man seiner Musik zu jeder Zeit anhört, nicht vorstellen kann, oder es interessiert ihn einfach nicht und er zieht sich auf die klassische „Man muss den Künstler vom Werk trennen“-Position zurück. Gerade im Black Metal gibt es aber keine Neutralität diesem Thema gegenüber. Mitglieder eines Genres, in dem ein eigenes nationalsozialistisches Subgenre existiert, müssen sich jederzeit explizit von Rechtsextremen und Nazis abgrenzen. Und so bleibt, völlig egal, wie grandios die Musik ist, ein extrem fader Beigeschmack zurück. Ich hoffe inständig, dass sich Sgah’gahsowá zeitnah klar und deutlich positioniert.
Deutschland, eine Metal-Wüste
Auf Deutsch werdet ihr über Blackbraid übrigens außerhalb dieses Newsletters nichts lesen können. Weder der Metal Hammer noch metal.de, die beiden größten deutschsprachigen Online-Metal-Auftritte, haben eine Besprechung des Albums online (Stand 09.07.2023) und vom klassischen Feuilleton wollen wir gar nicht erst anfangen. Metal ist in Deutschland so erfolgreich wie in wenig anderen Ländern der Welt. Dass Metal-Alben in den Top 20 der Charts auftauchen ist, keine Seltenheit, sondern eher die Regel. Und trotzdem verweigert sich das klassische Feuilleton, Metal als Kunstform wahrzunehmen. Wenn nicht gerade die größten Metal-Bands der Welt neue Alben veröffentlichen, wie Metallica, Tool oder Slipknot, sucht man Besprechungen dort vergebens. Dass der Metal-Underground in irgendeiner Form vorkommt – in Deutschland absolut undenkbar.
Dabei geht es auch anders. In der New York Times stand eine lesenswerte Besprechung des neuen Blackbraid-Albums (auch wenn dort die aktuelle Kontroverse nicht vorkommt), und der britische Guardian veröffentlicht regelmäßig kenntnisreiche und toll geschriebene Texte über unbekanntere Bands. Gerade erschien dort beispielsweise dieser Text über die Drone- und Doom-Metal-Band Divide and Dissolve und ihr neues Album „Systemic“ (Hier geht mein Dank an meinen lieben Twitter-Freund Marcus fürs Zeigen!). Der Text geht darauf ein, wie wichtig Metal als Ausdrucksform gerade für marginalisierte Menschen sein kann. Divide and Dissolve wurden von Drummerin Sylvie Nehill und Gitarrist und Saxofonistin Takiaya Reed gründet. Für beide ist ihre indigene Herkunft (Nehill ist Māori und Reed Schwarze Cherokee) ein entscheidender Faktor in ihrer Musik. Und auch wenn Nehill die Band inzwischen verlassen hat, ist „Systemic“ (wie auch der grandiose Vorgänger „Gas Lit“) eine intensive Hörerfahrung (VÖ: 30.06.). Obwohl der Sound meistens instrumental ist, transportiert Divide and Dissolve eine Dringlichkeit und Emotionalität, die selbst im Metal selten ist und zeigt, dass es nicht immer Worte braucht, um auf Diskriminierung aufmerksam zu machen.
Es ist frustrierend zu sehen, dass es in anderen Ländern möglich ist, auch außerhalb der Szenemagazine darüber zu schreiben, wie relevant Metal auch gesellschaftlich sein kann. Denn trotz des Klischees als Musik von weißen Männern für weiße Männer bietet Metal gerade auch marginalisierten Gruppe eine Möglichkeit, ihre Erfahrungen auszudrücken, die es mit dieser Grund-Aggressivität in der Musik in anderen Kunstformen so vielleicht nicht gibt.
Wo ist hier der Krach?
Und weil es so gut zu der mangelnden Metal-Berichterstattung im deutschen Feuilleton passt, möchte ich euch noch kurz auf die Initiative „Wo ist hier der Krach“ von den beiden Musik-Journalist*innen Melanie Gollin und Martin Hommel hinweisen. Das Duo beklagt, dass es im öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu wenig Vielfalt in der Musik gibt. Da die öffentlich-rechtlichen Radiosender unabhängig von Quoten sind, sollten es gerade dort möglich sein, auch Musik fern bekannter Oldies und Charterfolgen zu spielen. Und was soll ich sagen? Dieser Einschätzung schließe ich mich bedingungslos an!
Was mich besonders freut, ist, dass auf der Website auch Metal explizit als Genre aufgeführt wird, das mehr Airtime verdient hätte. Dort findet ihr auch Interviews, die Gollin und Hommel mit Verantwortlichen von Radiosendern in anderen Ländern geführt haben und die zeigen, wie es gehen könnte. Ich werde gespannt weiterverfolgen, ob „Wo ist hier der Krach“ wirklich etwas anstoßen kann bei den Öffentlichen-Rechtlichen und drücke den beiden Initiator*innen alle Daumen. Bis es soweit ist, kann ich euch übrigens auch das Musik-Magazin Zwischen Zwei und Vier sehr ans Herz legen, das von Gollin zusammen mit Alena Struzh und Rosalie Ernst herausgegeben wird und das ihr in Form eines Newsletters hier abonnieren könnt. Nur für den Fall, dass ihr mal über meinen musikalischen Metal-Horizont blicken wollt.
Und was gibt es Neues?
Seien wir ehrlich, bei dem Bandnamen Pupil Slicer sollte niemand eine Easy-Listening-Erfahrung erwarten. Und tatsächlich vereinigt die Londoner Band Grind-, Metal- und Mathcore zu einem rücksichtslosen und brutalen Soundmix. War mir ihr Debüt „Mirrors“ (2021) noch etwas zu erratisch und unfokussiert, schaffen es die Brit*innen auf ihrem zweiten Album „Blossom“, das musikalische Chaos in (etwas) geordnetere Bahnen zu lenken (VÖ: 02.06.). Das liegt insbesondere an Sängerin Kate Davies, die eine unfassbare Range an den Tag legt (vergleicht nur mal die Songs „Blossom“ und „No Temple“). Immer mal wieder erinnert mich der Sound der Band an ihre Landsleute Rolo Tomassi (okay, vielleicht Rolo Tomassi auf Speed) und ist ein weiterer Beweis, wie lebendig die britische Underground-Metalszene ist.
Eine Gruppe Rumänen, die nach Kalifornien auswandern, um dort ein Retro-Heavy-Metal-Band zu gründen, die ausschließlich über Schnee in all seinen möglichen Interpretationen singt? Klingt wild – count me in! Persekutor zeigen auf ihrem zweiten Album „Snow Business“, wie viel Spaß Metal machen kann (VÖ: 23.06.). Die Band nimmt sich selbst nicht zu ernst, und so kann auch als Hörer*in eine gute Portion Humor nicht schaden. Ein super unterhaltsames Album, das keine Innovationspreise gewinnen wird, dafür aber gute Laune fast schon garantiert.
Manchmal genügen drei Wörter, um ein Album zu beschreiben: Schwedischer Death Metal. Imperishable klingen auf „Come, Sweet Death“, als wären sie gerade frisch aus den 1990ern gekommen und hätten eine Tour mit At The Gates und Etombed hinter sich (VÖ: 09.06.). Sie liefern alles, was ich an der schwedischen Spielart des Death Metals so liebe: Melodische Riffs, packende Gutturals und eine Menge Energie. Die beste Hommage an den schwedischen Sound der 1990er, die ich seit Langem gehört habe.
Danke für die Zusatzinfos Blackbraid betreffend. Zumindest bei Bandbond wird das Ding ja zurecht abgefeiert, da trennen aber auch sehr viele Kunst und Kunstschaffende. Wie so oft unter Metalfans. So gesehen ist wenig Berichterstattung doch eigentlich etwas Gutes, oder? Bin gespannt, was sich im Deaf Forever-Forum dazu tun wird. Pupil Slicer interessieren mich sehr, widme mich in den nächsten Tagen jedoch erstmal softeren Klängen: Jay Jayle sowie The Devil‘s Trade veröffentlichen nächsten Freitag was Neues und ich schreib drüber bei Sounds & Books. Feine Scheiben, beide.
Danke weiterhin für Deine Goldgräber-Aktivitäten. LG, micha
Spannend!