Als ich Mitte der 2000er-Jahre anfing, mich so richtig für Metal zu interessieren, war die norwegische Black-Metalszene eine Lachnummer. Auftritte mit Corpsepaint waren nicht schockierend, sondern wirkten genauso karnevalesk und lächerlich wie Kiss‘ Gesichtsbemalung. Ich bin in einer Zeit groß geworden, in der Cradle of Filth oder Dimmu Borgir den Black Metal aus den Kellern Oslos mit bombastischen Inszenierungen auf die größten Festivalbühnen der Welt brachten. Black Metal im Jahr 2007, das Jahr, in dem ich erstmals ein Festival besuchte, war ein disneyhaftes Schauermärchen für Erwachsene.
Etwas mehr als zehn Jahr früher hingegen brannten in Norwegen Kirchen, und Mitglieder der norwegischen und deutschen Black-Metal-Szene ermordeten aus rechtsextremen und radikal-nihilistischen Motiven Menschen. Für uns waren diese brennenden Gotteshäuser und die Morde vor allem Gruselgeschichten, die wir uns am Lagerfeuer erzählten, die aber aus einer längst vergangenen Zeit stammten. Black Metal war für uns lächerliche Pose, theatralischer Bombast und vor allem eins: langweilig.
Und heute? Heute ist Black Metal das innovativste Subgenre im Metal. Keine andere Spielrichtung schafft es derzeit, dermaßen viele Künstler*innen hervorzubringen, die das berüchtigtste Metalgenre so kreativ und vielfältig interpretieren. Und es gibt kein anderes Subgenre, das so inhärent politisch ist. Die Frage, der ich in diesem dreiteiligen Essay also nachgehen möchte, lautet: Wie kann es sein, dass aus der dunkelsten Ecke der Metalgeschichte das Genre entstand, das heute wie kein zweites den Spirit einer kompletten Musikrichtung verkörpert?
Von satanischem Cosplay und Hedonismus
Um diese Frage zu beantworten, müssen wir uns zunächst mit der Geschichte des Black Metals auseinandersetzen. Und die beginnt nicht erst in den frühen 1990er-Jahren in Norwegen, sondern mehr als ein Jahrzehnt zuvor in England – genauer gesagt in Newcastle. Dort gründete sich 1978 Venom, deren zweites Album „Black Metal“ (1982) zum Namenspatron für die neue Musikrichtung werden sollte. Ihr Sound unterschied sich auf rein instrumenteller Ebene erstaunlich wenig von den Heavy-Metal-Bands der damaligen Zeit. Einzig die Vocals von Venom-Frontmann Conrad „Cronos“ Lant, die an eine frühe Form des Growlings erinnern, distanzierte die Musik von ihren Zeitgenossen wie Iron Maiden oder Judas Priest. Stärker als musikalische Charakteristika verband die frühen Black-Metal-Bands eine Haltung und optische Ästhetik miteinander. Neben Venom zählten dazu Mercyful Fate aus Dänemark, Celtic Frost aus der Schweiz oder Bathory aus Schweden. Sie alle spielten explizit mit düsteren und satanischen Bildern. Pentagramme auf Albumcovern, Lyrics, die explizit satanischen Figuren huldigten, und düstere Liveshows: für die frühen 1980er-Jahre eine Neuheit und skandalös.
Damit ist die First Wave of Black Metal das erste Subgenre im Metal, das sich durch gemeinsame Themen und Motive seine Eigenständigkeit verschaffte und eben nicht durch klar definierte musikalische Merkmale. Insbesondere die „Satanische Bibel“ von Anton Szandor LaVey war für viele Vertreter der ersten Welle des Black Metal enorm einflussreich. So sagte King Diamond, Sänger von Mercyful Fate: „I read the book and thought, hey, this is the way I live my life – this is the way I feel inside! It’s not like it was a major religion or anything like that, it was a lifestyle that I could relate to 500%.“[1]
Satanismus und die „Satanische Bibel“ waren Symbole des Aufbegehrens gegen den Status Quo. Es ging nicht wirklich um religiöse Überzeugungen oder das tatsächliche Anbeten einer wie auch immer existierenden teuflischen Gottheit. Das Auftreten von Venom und Co. sollte vielmehr schockieren und war Ausdruck eines Wunsches nach Individualität, der sich auch in der „Satanischen Bibel“ findet. So umfasst LaVeys Text Gebote wie „Satan bedeutet Sinnesfreude anstatt Abstinenz“ oder „Satan bedeutet Güte gegenüber denen, die sie verdienen, anstatt Liebe an Undankbare“. Es war also eine Abgrenzung einer als konformistisch wahrgenommenen Mehrheitsgesellschaft, die die Bands der ersten Welle des Black Metals verband, und zu der sie auch die erfolgreichen Metalbands dieser Zeit zählten. Wo Maiden, Priest und Dio nicht extrem genug waren, sprangen Venom, Bathory und Mercyful Fate in die Bresche.
‚Fucking hell, it sucks!‘
Fast Forward in die frühen 1990er-Jahre, wo sich die Geschichte wiederholen sollte. Inzwischen kamen die größten Metalbands der Welt aus dem Thrash Metal. Metallicas „Black Album“ verkaufte sich über 30 Millionen Mal, und motiviert vom Erfolg von „Nothing Else Matters“ brachten die großen Labels gefühlt jede Thrash-Band dazu, eine eigene Ballade zu veröffentlichen. Währenddessen trat auch die Death-Metal-Szene in den USA, die sich zunächst ebenfalls als Underground-Gegenbewegung der kommerziell erfolgreichen Thrash-Bands verstanden hatte, immer weiter in den Mainstream. So hatten Cannibal Corpse in „Ace Ventura: Pet Detective“ (1994) mit Jim Carrey einen Cameo-Auftritt und andere Bands wie Death, die Urväter des Death Metals, erweiterten den klassischen Death-Metal-Sound um progressivere und technisch anspruchsvollere Elemente. Gylve „Fenriz“ Nagell, Schlagzeuger der norwegischen Band Darkthrone, fasst den Zustand der extremen Metalspielarten zu der Zeit zusammen: „We wanted to continue the primitive sound of bands like Bathory or Celtic Frost, cause Thrash Metal had toned down and became more straight. Death Metal on the other hand became more technical. I saw what Chuck [Schuldiner] did with Death and I was going: ‚Fucking hell, it sucks!‘“[2]
Und es war nicht nur die musikalische Ausrichtung und der kommerzielle Erfolg vieler Death-Metal-Gruppen, der einigen Teilen der Metalszene aufstieß, sondern auch ihr Auftreten. Insbesondere die Florida-Szene zeichnete sich dadurch aus, dass die Musiker in normalen Klamotten und ganz ohne schockierende Ästhetik auftraten. (Ausnahmen davon gab es nur wenige wie die Band Deicide, deren Frontman Glen Benton dafür bekannt war, sich vor Shows umgedrehte Kreuze in die Stirn zu brennen, und die auch dadurch später in Black-Metal-Kreisen weitestgehend akzeptiert blieb.)
Dieses Vakuum, das daraus für diejenigen entstand, die im Metal eine Musik sahen, die sich dem Mainstream radikal verweigern sollte, wurde von einer Gruppe Jugendlicher aus Norwegen gefüllt. Im Umfeld der Band Mayhem und ihres Gitarristen Øystein „Euronymous“ Aarseth und Varg Vikerness mit seinem Ein-Mann-Projekt Burzum entstand bis in die Mitte der 1990er eine der berüchtigsten Musikszenen aller Zeiten. Insbesondere Aarseths Plattenladen Helvete (Deutsch: Hölle) in Oslo wurde zu ihrem zentralen Treffpunkt. Mitglieder von zahlreichen Bands, die das Genre später prägen sollten, wie Immortal, Emperor, Darkthrone oder Gorgoroth, trafen sich dort und kreierten gemeinsam die damals extremste Spielart des Metals: Die Second Wave of Black Metal.
Das ist der erste von drei Teilen meiner kurzen Serie über die Geschichte des Black Metals. In Part 2 wird es um die berüchtigte norwegische Black-Metal-Szene der 1990er gehen.
[1] Quelle: Lords of Chaos
[2] Quelle: Metal Evolution – Extreme Metal,
Ich bin schon sehr gespannt auf die Fortsetzung. 😁