Wir haben die Top 20 erreicht und damit auch den Bereich, in dem es mir unglaublich schwerfällt, die Bands noch sinnvoll zu ordnen. Jedes dieser Alben hätte gut und gerne in meinen Top 10 landen können, aber ich habe mich nun mal für einen Countdown entschieden, also müssen wir da gemeinsam durch! Ich wünsche euch wie immer viel Spaß und bin neugierig, was eure Lieblingsalben des Jahres sind.
#20 Spell – Tragic Magic
(VÖ: 26. Oktober, Bad Omen Records)
Mit ihrem vierten Album haben sich Spell endgültig als eine der besten Retro-Metal-Bands etabliert. Ich kenne das kanadische Duo schon seit einigen Jahren und hatte bisher immer das Problem, dass mir zwar einzelne Songs gefielen, die Alben insgesamt aber etwas langatmig waren. Diese Kritik hat sich mit „Tragic Magic” erledigt. Jeder Song ist ein Hit und Spell werfen mich mit ihrer Mischung aus New Wave of British Heavy Metal, Progressive und Psychedelic Rock direkt in die 1970er. Ganz ehrlich, wer bei diesen zehn Songs ruhig sitzen bleiben kann, hat Musik nie geliebt.
#19 Imperial Triumphant – Spirit of Ecstacsy
(VÖ: 22. Juli, Century Media)
Ich gebe zu: Imperial Triumphant ist nichts für jede*n. Ich selbst kann das New-Yorker-Trio auch nicht ständig hören. Für ihre konfuse, dissonante und herausfordernde Art des Black Metals muss ich in der richtigen Stimmung sein. Aber oh Boy, wenn ich in der Stimmung bin, dann gibt es keine bessere Band auf der Welt. So absurd das auch klingen mag, „Spirit of Ecstasy” ist dabei das bisher zugänglichste Album der Band (sofern man hier von „zugänglich“ sprechen kann). Klar, es regiert weiterhin das Chaos, aber dieses Chaos ist in produktivere Bahnen gelenkt. Die Jazzelemente, das Black-Metal-Gerüst und die Death-Metal-Akzente greifen stimmiger ineinander als auf früheren Alben. Und wen das alles auf Platte nicht überzeugt, der sollte der Band live eine Chance geben. Ich hatte das große Privileg, Imperial Triumphant dieses Jahr in New York zu sehen, und selbst meine vor allem Mainstream hörende Begleitung war von der Show beeindruckt. Einen besseren Qualitätsbeweis kann es nicht geben.
#18 The Halo Effect – Days of the Lost
(VÖ: 12. August, Nuclear Blast)
Mikael Stanne ist Frontmann von The Halo Effect und Dark Tranquility und die absolut cuteste Person, die es im Metal gibt. Ich habe ihn nach einem Dark-Tranquility-Konzert dieses Jahr angesprochen und gesagt, wie gut ich den Auftritt von The Halo Effect auf dem Wacken Open Air 2022 fand, und er hat sich bei mir dafür bedankt, dass ich so lange wach geblieben bin, um die Band zu sehen (die Show fand zwischen 2 und 3 Uhr morgens statt). Wie wholesome ist das bitte? Und damit sind wir auch direkt bei dem ersten Album von The Halo Effect, denn das ist genau das – super wholesome. Die Band besteht komplett aus alten In-Flames-Mitgliedern, die beschlossen haben, den ikonischen Göteborger-Sound der 1990er und 2000er wieder aufleben zu lassen. Fünf Freunde aus Schulzeiten, die gemeinsam die Musik machen, die sie lieben. Genauso klingt „Days of the Lost“ auch. Das ist einfach super unterhaltsamer und perfekt umgesetzter Melodic Death Metal, bei dem man in jeder Sekunde hört, wie viel Spaß die Musiker haben. Absolute Highlights sind „Last of our Kind“ mit Triviums Matt Heafy als Gastsänger und „Feel What I Believe”, der mein Lieblingssong des gesamten Jahres ist.
#17 Cave In – Heavy Pendulum
(VÖ: 20. Mai, Relapse Records)
Vergangenes Jahr war Stephen Brodsky (zusammen mit Converge und Chelsea Wolfe) mitverantwortlich für mein Lieblingsalbum 2021, dieses Mal reicht es mit seiner Stammband Cave In immerhin für die Top 20. „Heavy Pendulum“ ist das erste richtige Studioalbum der Metalcore-Ikonen aus den USA seit über einem Jahrzehnt und ich habe nicht damit gerechnet, dass die Band nochmal so zurückkommt. Auf ihrem Comeback klingt Cave In erwachsener und entspannter als je zuvor. Von dem klassischen Metalcore der frühen Tage ist nicht mehr viel übrig, stattdessen regiert Progressive Metal mit starken Sludge- und Hardcore-Einflüssen. Der große Trumpf von „Heavy Pendulum“ ist seine Vielseitigkeit. Obwohl das Album mit über 70 Minuten Spielzeit zu den längsten meines Countdowns gehört, gibt es für mich nichts daran zu kürzen. Ein größeres Kompliment kann man dem Songwriting einer Band wahrscheinlich nicht machen.
#16 Without Waves - Comedian
(VÖ: 18. März, Prosthetic Records)
So sehr ich (und sehr viele Metal-Fans) es liebe, Bands in Genre-Kategorien zu packen, manchmal macht das einfach keinen Sinn. Without Waves schmeißen auf „Comedian“ einfach alle Genres, die sie in die Finger bekommen, in einen Mixer, und das Faszinierende ist: Es funktioniert! Hier ein wenig Punk, da ein bisschen Mathcore, dazu eine Prise Indie Rock und ein paar Elektrobeats – fertig ist ein herausragendes Album. Dabei gelingt der Band alles, was sie anfasst, sei es eine reduzierte Pianoballade mit Elektroelementen wie „Day 15“ oder der chaotische Mathcore-Rager „Animal Kingdom“. Das Hin-und-Her-Springen zwischen diesen Polen macht den großen Charme von „Comedian“ aus und ist einer der Gründe, wieso ich in jeder Stimmung darauf zurückgreifen kann. Außerdem gewinnt die Band den Preis für das beste Albumcover des Jahres – ich meine, wie ikonisch kann ein Cover sein?
#15 Zeal & Ardor – Zeal & Ardor
(VÖ: 11. Februar, MVKA)
Es gibt aktuell kein vergleichbares Metal-Projekt wie Zeal & Ardor des US-Schweizers Manuel Gagneux. Was als Online-Experiment begann, ist inzwischen eine der interessantesten Black-Metal-Bands der Welt. Der Ausgangspunkt ist dabei so einfach wie skurril: Was wäre, wenn die US-amerikanischen Sklaven satanistischen statt christlichen Einflüssen ausgesetzt gewesen wäre? So mixt Gagneux also Black Metal mit Gospels und kreiert damit eine einmalige musikalische Kombination. Der Grund, warum das selbstbetitelte, dritte Album von Zeal & Ardor nicht besser platziert ist auf dieser Liste, ist derselbe, der dazu führt, dass es das kommerziell erfolgreichste der Band bisher ist – es ist etwas glattgebügelt. Das ist auch erstmal kein Problem, aber mir fehlt die Experimentierfreue und Rohheit der ersten beiden Alben. Das Chaos und die Unvorhersehbarkeit vor allem von „Stranger Fruits“ (2018), ist einem konventionellerem Songwriting gewichen, was das Album zugänglicher macht, aber eben auch beliebiger. Dennoch gehört Zeal & Ardor zu meinen aktuellen Lieblingsbands und ich bin froh, dass sie mit ihrer neuen Platte so viele neue Fans für sich begeistern konnten!
#14 Sylvaine – Nova
(VÖ: 4. März, Season of Mist)
Black Metal ist mehr noch als jede andere Spielart des Metals eine wahre Bro-Party. Umso mehr freut es mich, wenn Frauen innerhalb dieses Subgenres Erfolg haben. Eines der besten Black-Metal-Alben des Jahres stammt von Sylvaine – dem Soloprojekt der Norwegerin Katherine Shepard. Sie steht dabei in der Tradition von Post-Black-Metal-Bands wie Deafheaven oder Alcest, die das Genre einem breiteren Publikum geöffnet haben. Auf „Nova“ verbindet Sylvaine in Perfektion die Rohheit und Aggressivität des Black Metals mit sanften, ruhigen Momenten, in denen Shephards wunderschöne Stimme im Mittelpunkt steht. Alles, was man über den Sound des Albums wissen muss, steckt in dem 10-Minuten-Stück „Mono No Aware“. Wer Black Metal immer noch mit brennenden Kirchen in Zusammenhang bringt, sollte sich die Zeit für „Nova“ nehmen, um zu sehen, wie schön auch diese Ecke des Metals sein kann.
#13 SONJA – Loud Arriver
(16. September, Cruz del Sur Music)
Ich kann gar nicht sagen, wie sehr ich mich für Melissa Moore freue, dass sie mit ihrer neuen Band SONJA so viel Erfolg hat. „Loud Arriver“ ist unter anderem auf Platz 3 im Decibel-Ranking der besten Alben des Jahres gelandet. Auf TikTok (Ja, ich habe einen Metal-TikTok-Channel) habe ich schon über die beeindruckende Lebensgeschichte von Moore gesprochen, weswegen wir uns hier auf die Musik konzentrieren können. Auf dem Debütalbum des Trios regiert klassischer Heavy Metal, der mit Goth Rock und etwas Black Metal der ersten Welle (sehr Venom-esk) abgerundet wird. Das macht das Album zu einem der unterhaltsamsten des gesamten Jahres und für mich zu einem Ort, an den ich kommen kann, wenn ich gute Laune brauche.
#12 Wormrot – Hiss
(VÖ: 8. Juni, EARACHE Records)
Oftmals gilt Grindcore als eindimensional, repetitiv oder stumpf, und ganz ehrlich – oft stimmt das auch. Komplett freisprechen von diesen Vorwürfen kann ich hingegen Wormrot. Das Trio aus Singapur beweist, wie viel Variabilität innerhalb des Genres möglich ist, ohne dass man die grundsätzlichen Merkmale des Grindcores über Bord werfen müsste. In gerade einmal 32 Minuten Spielzeit bringt die Band 21 Songs und gefühlt genauso viele Einflüsse unter. Am Ende von „Voiceless Choir“ gibt es klassische Thrash-Metal-Gangshouts, „Sea of Disease“ wartet mit melancholischen Doom-Metal-Riffs auf, „Seizures“ wagt zwischenzeitlich einen Sprung in den Alternative Metal und über die gesamte Platte hinweg finden sich Ausflüge in den Black Metal. Diese ganzen Einflüsse mögen sich nicht beim ersten Hören erschließen, da kann das Album wirklich überfordernd sein, garantieren aber langanhaltenden Spaß. Ich entdecke jedes Mal neue Elemente, die mich begeistern. Das einzig Traurige ist, dass Frontmann Arif die Band inzwischen verlassen hat. Zumindest war das letzte gemeinsame Album ein voller Erfolg!
#11 Lord Vigo – We Shall Overcome
(VÖ: 1. Juli, High Roller Records)
Über Lord Vigo habe ich in meinem Newsletter bisher noch nicht gesprochen – es wird höchste Zeit, dass wir das nachholen! Bisher hat mich die Band aus Kaiserslautern (out of all places) eher am Rande interessiert, was sich mit ihrem vierten Album „We Shall Overcome“ endgültig geändert hat. Hier gibt es Epic Doom Metal von der feinsten Sorte. Die Band versteht es dabei meisterhaft, die Schwere des Dooms mit eingängigen Riffs und Melodiebögen zu verbinden. Selbst wenn man sich nicht für das Sci-Fi-Thema des Albums interessiert, das sich lose an Rushs „2112“ orientiert, – so wie ich – schaffen es Lord Vigo, die Hörenden mit ihrer Musik zu packen. Allen voran gehören die herausragenden „Natural Habitat“ und „Since The Sun Was Young“ zu meinen liebsten Songs des Jahres. Das Album ist wirklich eine meiner angenehmsten Überraschungen in 2022.