Einen schönen zweiten Advent wünsche ich euch allen! Sucht ihr noch musikalische Untermalung für das besinnliche Beisammensein mit Familie oder Freund*innen, ist das hier vielleicht nicht die beste Auswahl. Es wird in dieser Ausgabe meines Countdowns düster – mit einigen der besten, packendsten aber auch herausforderndsten Black-Metal-Alben des Jahres. Aber keine Sorge, dazwischen ist auch immer etwas für alle anderen Geschmäcker dabei. Viel Spaß.
#30 Borealis – Illusions
(VÖ: 7. Oktober, AFM Records)
Die Kanadier von Borealis haben mich mit ihrem nunmehr sechsten Album wirklich überrascht. Wenn Metal so sehr in die melodische Richtung kippt, wie das auf „Illusions“ der Fall ist, dann wird das oft super kitschig und zum Fremdschämen. Dem Quintett aus Ontario gelingt es aber, diese Klippen zu umschiffen. Dafür verbindet es große Emotionen mit progressiven Elementen, vor allem im Gitarrenspiel, und schafft es, die Songs bei aller Eingängigkeit interessant und abwechslungsreich zu gestalten. Ein wirklich schönes Album, das auch Menschen, die sonst keinen Metal hören, den Einstieg in das Genre erleichtert.
#29 Bloodbath – Survival of the Sickest
(VÖ: 9. September, Napalm Records)
Es heißt, am Schwersten sei beim Kochen, einfache Dinge gut zu machen. Jede*r kann ein Steak braten, aber wenn ich das tue oder eine Sterneköchin, liegen dazwischen qualitative Welten. Genauso ist es auch im Metal. Und niemand steht für diese Formel so sehr wie Bloodbath. Sie erfinden mit ihrem Oldschool Death Metal das Rad nicht neu, aber das war auch nie das Ziel. Die Band, die aus Mitgliedern von Katatonia, Opeth und Paradise Lost besteht, hat es sich zur Aufgabe gemacht, den Sound des schwedischen und US-amerikanischen Death Metals der 1990er zu zelebrieren. Das gelingt ihnen nun seit 20 Jahren so gut, dass sie selbst zu einer der wichtigsten Oldschool-Death-Metal-Bands geworden sind. „Survival of the Sickest“ ist ein weiterer Beweis, wie viel Spaß auch Extreme Metal machen kann. Ein Death-Metal-Steak, das perfekt gebraten und gewürzt wurde – Bon Appetite!
#28 Blackbraid – Blackbraid I
(VÖ: 26. August, Neuropa Records)
Wenn man an Black Metal denkt, kommt einem wahrscheinlich nicht sofort die Kultur der Native Americans in den Sinn. Seit ein paar Jahren gibt es allerdings eine stetig wachsende und hochspannende Underground-Szene, in denen sich Natives auf ihre eigene Art mit Black Metal auseinandersetzen. Den vorläufigen Höhepunkt dieser Entwicklung stellt das Debütalbum „Blackbraid I“ von Blackbraid da. Dabei handelt es sich um das Ein-Mann-Projekt von Sgah'gahsowáh (zumindest diesem Klischee des Black Metals bleibt er treu), dessen Vorfahren aus den Adirondack Mountains im Nordwesten des Bundesstaates New York stammen. Sgah'gahsowáh greift bei seinem Sound auf klassischen melodischen Black Metal zurück, integriert aber Folkelemente aus der Kultur seiner Vorfahren. Insbesondere die beiden instrumentalen Interludes „As the Creek Flows Softly By“ und „Warm Winds Whispering Softly Through Hemlock at Dusk” brechen die Härte und Intensität der restlichen vier Stücke des Albums gekonnt auf. So entsteht ein ganz eigenes Klangbild, das irgendwo zwischen Norwegen und den Landschaften New Yorks changiert. Ein absolutes Highlight meines Musikjahres und sicher nur der erste Schritt auf dem Weg dieses vielversprechenden Künstlers.
#27 Holy Fawn – Dimensional Bleed
(VÖ: 10. Juni, Wax Bodega)
Eines der Dinge, das mich an Metal so fasziniert, ist das Zusammenspiel der Extreme. Wenn schnell auf langsam, hart auf sanft, laut auf leise trifft, entstehen ganz besondere musikalische Augenblicke. In Perfektion beherrscht dieses Spiel das Quartett Holy Fawn. Das Grundgerüst ihres Sounds stellt verträumter und melancholischer Shoegaze mit Doom-Metal- und Post-Rock-Elementen dar. So breiten die US-Amerikaner ihre fast schon ätherischen Klangteppiche über die Hörenden aus, nur um diese dann von dem einen auf den anderen Moment mit einem Scream zu zerreißen. Immer wieder gipfeln die Songs in diesen unberechenbaren kathartischen Momenten und sorgen so dafür, dass wir Hörenden der vordergründigen Schönheit und Ruhe nie so Recht trauen dürfen.
#26 Ibaraki - Rashomon
(VÖ: 6. Mai, Nuclear Blast)
Sobald Matt Heafy, im Hauptberuf Frontmann von Trivium, neue Musik veröffentlicht, werde ich hellhörig. Wenn es sich dann auch noch um ein Black-Metal-Projekt handelt, an dem er seit über einem Jahrzehnt mit niemand geringerem als Black-Metal-Ikone und Emperor-Mastermind Ihsahn arbeitet und dass sich mit der japanischen Herkunft Heafys auseinandersetzt, ist es endgültig um mich geschehen. Diese Kollaboration hört auf den Namen Ibaraki und hat 2022 seinen lang erwarteten Erstling veröffentlicht. „Rashomon“ strotzt nur so vor Spielfreude und Heafy kombiniert darauf seine unterschiedlichen musikalischen Vorlieben. Das Black-Metal-Gerüst wird durch Progressive- und Metalcore-Elemente aufgebrochen und dadurch deutlich zugänglicher als die meisten Genre-Kolleg*innen. Es kommt selten vor, dass eine Band einen Sound kreiert, den ich so noch nie gehört habe, aber genau das ist Ibaraki gelungen. Besonderes Highlight des Albums ist das 10-Minuten-Herzstück „Rōnin“, auf dem niemand Geringeres als Gerard Way von My Chemical Romance als Gastsänger zu hören ist und der beweist, dass er auch ein extrem guter Metal-Frontmann geworden wäre! Ich bin gespannt, was Heafy noch für uns bereithält, denn ich glaube nicht, dass „Rashomon“ schon das Ende der Fahnenstange ist.
#25 Oceans of Slumber – Starlight and Ash
(VÖ: 22. Juli, Century Media)
Confession time! Oftmals nehme ich es Bands insgeheim ein bisschen übel, wenn sie die Härte aus ihrem Sound entfernen. Gar nicht mal, weil ich denke, härter ist automatisch besser, sondern weil das meistens damit einhergeht, dass dieser vermeintlich zugänglichere Sound schlicht und ergreifend eindimensionaler und langweiliger ist. Davon sind Oceans of Slumber meilenweit entfernt! Auch wenn sie auf ihrem neuen Album „Starlight and Ash“ die Death-Metal-Elemente ihrer Anfangstage weitestgehend hinter sich gelassen haben, ist der Sound vielschichtiger und interessanter als je zuvor. Das liegt zum einen an dem hervorragenden Songwriting der Band und zum anderen an Cammie Beverlys (früher Gilbert) Stimme. Die Sängerin gehört zum Besten, was der Rock und Metal im Jahr 2022 zu bieten hatte. Sie verleiht jedem Song eine eigenständige und besondere Note. Der progressive Southern Rock und Gothic inspirierte Sound der Band bietet da die perfekte Leinwand, auf der Beverly mit ihrer Stimme malen kann. Ein großartiges Album für ruhige Momente.
#24 Earthless – Night Parade Of One Hundred Demons
(28. Januar, Nuclear Blast)
Ein Album, das rein instrumental ist, eine Stunde Spielzeit hat, aus nur drei Songs besteht – und mir trotzdem unfassbar gut gefällt? Das ist selbst für mich ein Novum und ein Zeichen, um was für unglaublich gute Musiker es sich bei den Psychodelic-Stoner-Metalern von Earthless handelt. Und es bestätigt mich in meiner Meinung, dass es in jedem Metal-Subgenre Musik gibt, die einem gefällt – man muss sie nur finden. Einzelne Songs oder Momente rauszugreifen macht bei „Night Parade Of One Hundred Demons“ keinen Sinn, alleine wegen der Struktur des Albums funktioniert es nur als Gesamtkunstwerk. Trotz der Länge der Songs schafft es das Trio aus den USA, dass kein Moment überflüssig ist und ich nicht einen Augenblick gelangweilt bin. Wer etwas übrig hat für psychedelischen Stoner Rock und Metal, der sollte sich unbedingt in die Klangwelt von Earthless begeben und sich eine Stunde lang im Sog der Musik verlieren. Und weil es nachvollziehbarer Weise in diesem Fall keine Single mit Musikvideo gibt, verlinke ich euch mal das gesamte Album.
#23 Cobra the Impaler – Colossal Gods
(25. Januar, Listenable Records)
Beim ersten Album der Belgier Cobra the Impaler von einem Debüt zu sprechen, verbietet sich eigentlich. Jedes Mitglied der Gruppe war vorher bereits jahrelang in anderen, erfolgreichen Metalbands unterwegs. Aber ist es beeindruckend, was die Band auf „Colossal Gods“ auf die Beine gestellt hat. Eine Gruppe Musiker, die bisher vor allem für ihr Schaffen im Grindcore, Death und Thrash Metal bekannt war, schüttelt sich eines der spannendsten Progressive-Sludge-Metal-Alben der letzten Jahre aus dem Ärmel? Chapeau! An einigen Stellen mag das zwar sehr nach Mastodon klingen, die diese Art des Metals so gut beherrschen wie niemand sonst, aber bei der Qualität der Songs kann ich gerne darüber hinwegsehen, und außerdem: Wenn man schon jemanden kopiert, dann bitte auch die Besten.
#22 Gaerea – Mirage
(VÖ: 23. September, Season of Mist)
Klassischer Black Metal ist im Normalfall nicht meine Baustelle. Häufig höre ich das berüchtigtste Metal-Genre nur, wenn es mit anderen kombiniert ist und so leichter zugänglich wird. Dass es Gaerea trotzdem in diese Liste geschafft haben, spricht für ihre ungemeine Qualität. Die Portugiesen, die grundsätzlich maskiert auftreten, spielen eine Variante des melodischen Black Metals, die mich in ihren Sog zieht. Das ist stellenweise zwar herausfordernd, aber in erster Linie hochemotional und intensiv. Auf „Mirage“ treten Gaerea den Beweis an, dass Black Metal nicht böse, gewaltverherrlichend und übertrieben grafisch sein muss. Viel mehr erkundet das Quintett auf ihrem dritten Album die introvertierten Seiten des Genres.
#21 Septicflesh – Modern Primitive
(VÖ: 20. Mai, Nuclear Blast)
Lange Zeit habe ich eine der einflussreichsten griechischen Metal-Bands links liegen lassen und möchte diese Gelegenheit nutzen, um mich zu entschuldigen. Es tut mir leid, Septicflesh, dass ich eure Musik so lange ignoriert habe! Ich weiß es endlich besser. Mit ihrem 11. Album hat mich das Athener Quintett für sich gewonnen. Obwohl „Modern Primitive“ nur 38 Minuten lang ist, entfaltet die Band dort die gesamte Epik ihres Symphonic und Melodic Death Metals. Die Orchestrierung des Albums ist unglaublich gut, was nicht zuletzt daran liegt, dass die Band mit echten Musiker*innen zusammenarbeitet und nicht bloß auf Computer-Effekte zurückgreift. Außerdem wissen die Herren, wie man Hits schreibt: „The Collector“, „Hierophant“ oder „Neuromancer“ bleiben mir nach jedem Hören tagelang im Kopf.