Das ist der letzte reguläre Newsletter in diesem Jahr von mir. Im Dezember werde ich stattdessen jeden Samstag einen Ausschnitt meiner Lieblingsalben aus 2021 teilen, quasi als kleiner Adventskalender. Dazu habe ich auch noch ein, zwei Überraschungen geplant für dieses Best-of 2021. Aber bevor wir das Musikjahr beschließen, gab es im November noch einiges, worüber sich zu schreiben lohnt. Nikolai Okunew hat zum Beispiel ein Buch über die Heavy Metal Szene in der DDR geschrieben – Red Metal. Das habe ich zwar noch nicht gelesen (aber bereits bestellt!), aber alles was ich darüber gehört habe, hat mich davon überzeugt, dass das ein tolles Buch ist. Ich hoffe, dass euch auch diese Ausgabe wieder gefällt und freue mich über Feedback. Viel Spaß!
1 [CN Tod, Depression, Suizid]
Dass Ascension Codes (VÖ: 26.11.), das vierte Album der US-amerikanischen Progressive Metal Pioniere Cynic, überhaupt erscheint, ist für mich ein kleines Wunder. Nicht nur hat die Band, die mit Focus (1993) einen Meilenstein des Progressive Metals veröffentlicht hat, sowieso in eher unregelmäßig Abständen neues Material veröffentlichen (vier Alben in 35 Jahren Bandgeschichte sprechen eine deutliche Sprache). Nein, auch das Jahr 2020 hat die Band härter getroffen als die meisten anderen. Neben Sänger und Gitarrist Paul Masvidal bestand Cynic die größte Zeit ihres Bestehens vor allem aus Drummer Sean Reinert und Bassist Sean Malone – beide starben 2020 unerwartet. Selbst wenn Reinert schon seit 2015 kein fester Bestandteil der Band mehr war, hat Paul Masvidal nie einen Hehl daraus gemacht, wie eng er und Reinert seit den 1980ern befreundet waren. Berühmtheit außerhalb der Metalszene erlangten die beiden 2014, als sie sich in einem gemeinsamen Interview mit der LA Times outeten. In der häufig hypermaskulinen Metal Szene immer noch keine Selbstverständlichkeit. (Auch wenn viel passiert ist, seit sich Genre-Größen wie Rob Halford (Judas Priest) oder Ghaal (Gorgoroth) geoutet haben). Sean Malone hingegen, der auch Bücher über Musiktheorie und Bassspiel geschrieben hat, war bis zum Schluss integraler Teil von Cynic. Vor seinem Tod lebte er sogar einige Monate bei Masvidal, der ihn im Kampf gegen seine Depression unterstützte. Einen Kampf den Malone schließlich verlor (Paul Masvidal hat einen sehr berührenden Text über seine Beziehung zu Malone und dessen Tod geschrieben, den es z.B. hier zu lesen gibt, CN Suizid dafür). Das Masvidal trotz dieser Schicksalsschläge und der Corona-Pandemie das neue Cynic Album fertiggestellt hat, das erste seit 2014, ist an sich bereits eine außergewöhnliche Leistung
Musikalisch ist Ascension Codes ein weiterer Meilenstein, in einer ohnehin schon außergewöhnlichen Karriere. Es finden sich viele der Baustein die Cynic berühmt gemacht haben auf dem Album: die Jazz-Fusion Elemente, die scheinbar von der Welt losgelösten Gitarrensoli und Riffs, der markante, mit einem Vocoder leicht verzerrte Gesang und die zahlreichen Synthesizer- und Keyboardpassagen. Und trotzdem hebt sich das Album von seinen Vorgängern ab. Es wirkt reifer, aufrichtiger und emotional dichter, als alles was Masvidal bisher gemacht hat. Durch das Album führen neun kurze, experimentelle Stücke, die Ascension Codes, die die einzelnen Songs miteinander verbinden. Das gesamte Album bekommt auch dadurch einen leicht spirituellen, esoterischen Touch, der durch Paul Masvidals Gesang zusätzlich verstärkt wird, dabei aber nie aufdringlich ist. Im Vergleich zum letzten Album, hat auch eine gewissen Härte und Aggressivität, die subtil durch die träumerischen Melodien scheint, ihren Weg zurück in den Sound der Band gefunden. Vor allem Songs wie Aurora, Elements and their Inhabitants oder 6th Dimensional Archetype zeigen auf beeindruckende Weise, dass der Sound von Cynic bis heute außergewöhnlich und unerreicht ist. Ascension Codes ist Sean Reinert und Sean Malone gewidmet und wird diesen großen Musikern in jeder Sekunde gerecht. Sollte das wirklich das letzte Cynic Album gewesen sein, dann ist es ein perfekter Abschied.
2
Na sowas aber auch, ganz spät im Jahr hat sich noch eine klassische Heavy Metal reingeschummelt, die mich völlig aus den Socken gehauen hat. Als kleiner Spoiler nehme ich es hier schon einmal vorweg, eines der besten Traditional Heavy Metal Alben 2021 kommt von TOWER und hört auf den Namen Shock to the System (VÖ: 12.11.). Und an dieser Stelle muss ich erstmal einen Dank an das italienische Label Cruz del Sur Music richten, die das New Yorker Quintett mit ihrem zweiten Album auch in Europa anständig vermarkten. Es gibt zwei Dinge, die TOWER von der Flut an Bands der New Wave of Traditional Heavy Metal abheben. Einmal haben wir da die Sängerin Sarabeth Linden, die eine so herausragende Stimme, dass ich stellenweise wirklich an die ganz Großen der Szene denken musste. Insbesondere der Vergleich mit Dio und seinen Soloalben drängt sich auf (ich weiß, ich weiß, das sind verdammt große Fußstapfen). Linden profitiert aber auch von einem herausragenden Songwriting und einer echt phantastischen Instrumenten-Fraktion. Was die Gitarristen Zak Penley und James Danzo da an Variation in die Songs legen, und wie sie ihren technischen Anspruch mit Song-Dienlichkeit paaren, ist ganz großes Kino. So sind neben den zahlreichen Up-Tempo-Banger die Shock to the System zu bieten hat (Blood Moon oder Hired Gun), vor allem die etwas langsameren und atmosphärischen Nummern, die Highlights auf dem Album. Prince of Darkness und Lay Down the Law verschwinden seit Wochen nicht aus meiner Playlist. TOWER ist ein grandioses Album gelungen, dass durchaus das Zeug hat, Alt und Jung gleichermaßen zu erfreuen. Eine Band, bei der ich sicher bin, dass sie in Zukunft die New Wave of Traditional Heavy Metal in erster Reihe anführen wird.
3
Geht es um die einflussreichsten deutschen Metalbands, dann denken viele zuerst an die Scorpions oder auch Rammstein (Obwohl man hier diskutieren könnte, inwiefern die überhaupt eine Metalband sind, aber das ist ein Thema für einen anderen Tag). Nach einigem Nachdenken würden dann sicher auch noch die Power Metal Pioniere Blind Guardian oder Helloween genannt. Ich aber würde sagen, dass die einflussreichsten deutschen Metalbands (zumindest in diesem Jahrtausend) im Technical Death Metal zu finden sind. In den 2000er- und 2010er-Jahren waren Necrophagist und Obscura maßgeblich mit dafür verantwortlich, die Grenze des technisch machbaren im Death Metal, ohne dabei an Sogkraft zu verlieren, zu verschieben. Necrophagist um Bandleader Muhammed Suiçmez haben leider nach zwei unglaublich guten Alben Anfang der 2000er nichts mehr von sich hören lassen, aber immerhin bleiben uns Obscura. Am 19. November hat Steffen Kummerer, der mal wieder sein gesamtes Line-Up ausgetauscht hat, uns das sechste Album, A Valediction, beschert. Dabei hat er sich als Mitmusiker nicht irgendjemanden gesucht, sondern greift mit Christian Muenzer (Gitarre) und Jeroen Paul Thesseling (Bass) auf zwei alte Bekannte zurück, die bereits auf anderen Alben an der Seite von Kummerer (Gitarre, Gesang) dabei waren. Außerdem ist A Valedicition, nachdem sich die letzten vier Alben einem zusammenhängenden Konzept unterordneten, das erste alleinstehende Werk seit über einem Jahrzehnt für die Band. Es handelt sich also in vielerlei Hinsicht sowohl um einen Neuanfang als auch eine Rückkehr für das Quartett. Auf diesem Album geben sich Kummerer und Co. ganz ihrer Liebe für den schwedischen Melodic Death Metal der 1990er hin. Das Album klingt melodischer, eingängiger und enthusiastischer als alles was sie zuvor gemacht haben. Dazu haben sie sich sogar Frederik Nordström als Produzent an Bord geholt, der maßgeblich für den Sound von Bands wie At The Gates oder In Flames verantwortlich war. Obscura schaffen es immer wieder, ihre unglaublichen technischen Fähigkeiten in den Dienst der Songs zu stellen. Da gibt es zum Beispiel den Titeltrack, der mit einem unverschämt eingängigen Ohrwurm Refrain überzeugt. Oder der tiefdunkle und schwere, fast schon an frühe Morbid Angel erinnernde Stampfer Devoured Usurper, der einen der härtesten Songs der gesamten Bandgeschichte darstellt. Auf When Stars Collide schleicht sich dann sogar Klargesang von keinem geringeren als Björn Strid ein (Soilwork, The Nightflight Orchestra) und ist damit der direkteste Wink an die Melodic Death Metal Bands, die diesem Album Pate standen. Obscura beweisen hier eindrucksvoll, dass sie nicht nur in der Vergangenheit zu den wichtigsten Bands des Genres gehören, sondern auch in der Lage sind, sich im Hier und Jetzt ein stückweit neu zu erfinden.
4 [CN Tod]
Es ist sicherlich nicht übertrieben, zu behaupten, dass das US-amerikanische Quartett Mastodon zu den wichtigsten Metalbands dieses Jahrtausends gehört (gerade haben sie mal wieder eine Grammy Nominierung eingesackt). Immer wieder überschlagen sich internationale Medien in neuen Superlativen für die Gruppe und auch bei vielen Fans gelten Leviathan (2004) und insbesondere Crack the Skye (2009) als Klassiker des modernen Metals. In den 2010er hat sich der Stil der Mannen aus Atlanta, Georgia allerdings merklich verschoben. Dominierte auf den ersten vier Alben progressiver, harter Sludge Metal, schlägt das Pendel seit dem 2011er Album The Hunter immer mehr in den Alternative Metal und progressive Rock aus. Eine Entwicklung, die nicht allen gefallen hat. Am 29. Oktober stand mit Hushed and Grim nun das achte Album der Band in den Läden und zum ersten Mal beglücken uns Mastodon mit einem Doppelalbum. Um die meiner Meinung nach herausragende Wirkung von Hushed and Grim ganz zu verstehen, müssen wir aber erstmal ein wenig zurückgehen. Mastodon gehören zu den wenigen Bands, die alle ihre Alben in der exakt gleichen Besetzung aufgenommen hat. Als inoffizielles fünftes Mitglied der Band galt immer Manager Nick John, der 2018 an Bauchspeicheldrüsenkrebs starb. Hushed and Grim ist eine Trauerrede auf den Freund der Band.
“Hushed And Grim is a mood. It’s about grief, about guilt, about all those fun feelings. It’s awful seeing your friend suffer like that and knowing there’s nothing that you can do. If you know, you know…” Brann Dailor, Kerrang!
Während der 90 Minuten, die das Album andauert, nehmen uns Mastodon also mit auf diese letzte Reise. Ihnen gelingt es dabei, alle Facetten des Erinnerns an geliebte Menschen in Musik zu gießen, ohne in Klischees oder billigen Stereotype zu verfallen. Auch Album Nummer acht ist nicht so hart, roh und experimentell wie die frühen Mastodon Werke, aber es ist das vielleicht intensivste und emotional dichteste ihrer bisherigen Karriere. Selbst die erste Ballade der Bandgeschichte Had it all funktioniert im Kontext dieser Platte herausragend. Abgesehen vom längsten Song des Albums (Gobblers of Dregs, der mich als einziger nicht abholt) gab es keinen Augenblick, in dem mir Hushed and Grim zu lang vorkam oder irgendwie überladen. Im Gegenteil, ich bin immer wieder zu dem Album zurückgekehrt, um mich in Mastodons Erinnerungswelten zu verlieren.
5
Es gibt im Metal viele Arschlöcher (Rassisten, Sexisten oder Verfechter von Verschwörungsmythen, you name it) das muss man einfach so sagen. Und in diesem Newsletter überlege ich immer wieder, wie ich damit umgehe, wenn mal wieder ein Arschloch etwas Ekelhaftes tut. Meistens möchte ich diesen Menschen keine (auch noch so kleine Plattform) geben und schreibe lieber über Schönes. Heute ist aber mal wieder ein Tag, an dem ich mich aufregen will. Es geht um den schwedischen Sänger, Multi-Instrumentalisten und Produzenten Peter Tätgren. Dass ich über ihn schreibe, liegt auch an meiner eigenen Vergangenheit als Fan. Tätgren ist zwar mit seiner Death Metal Band Hypocrisy bekannt geworden, aber sein Industrial Metal Soloprojekt Pain war es, von dem ich wirklich lange großer Fan war. Tätgren hatte schon immer eine gewisse Tendenz zu Verschwörungsmythen und hat sich hin und wieder in Boomer-Elegie ergangen. Nun hat er den Bogen aber wohl endgültig überspannt. Nicht nur hat er einen Song veröffentlich, der eindeutig als Anti-Impfsong durchgehen kann: Swallow your freedom/ Swallow your smile/ Swallow your sanity that crawls and itching inside/ We got the cure/ We got your fate/ We got everything you want so you don't have to think again. Tätgren sagt zwar, der Song sei viel früher entstanden und kritisiert die Pharma-Industrie allgemein, aber genau diesen Song, mit diesen Lyrics als erste Single auskoppeln? C’mon! Schließlich hat er im vergangenen Monat auch noch einem bekannten, rechten US-amerikanischen Radiomoderator (Dan Bongino) bei seinen Anti-Impfung Posts unterstützt. Tätgren schrieb wörtlich: „I’m not here to debate, I’m here to support. It’s not my country but it’s close to my heart and I support Dan Bongino with his options. Woooops there goes my working visa for next tour. Maybe it’s worth it.”
Interessant ist auch, dass Tätgren lange Zeit die rechte Hand von Till Lindemann in dessen Side-Project Lindemann war. Genauer gesagt hat Tätgren auf ihrem ersten Album die gesamte Musik geschrieben, während Lindemann die Texte lieferte. Gemeinsam waren sie anschließend bei der Echo-Verleihung für diedas Projekt nominiert war. Im November 2020 stieg Tätgren aus dem Projekt aus. Der Grund dafür liegt aber nicht darin, dass Till Lindemann ihn rausschmiss, sondern dass Tätgren keine Lust mehr auf das Projekt hatte. Wie ein guter Freund von mir dazu sagte, „Jemand der mit Lindemann zusammenarbeitet ist irgendwie der rechten Szene zu nah? Schockierend!“ und das trifft es wohl ganz gut.
Wie dem auch sei, wenn ihr Lust auf Old School Swedish Death Metal habt, dann lege ich euch lieber die neue Platte von The Lurking Fear ans Herz mit At The Gates Frontmann Thomas „Tompa“ Lindbergh am Mikro. Der ist, wenn er nicht gerade tolle Musik macht, Lehrer für Social Studies an einer schwedischen Schule. Da kann man die Musik ganz unbeschwert genießen, ohne sich mental zu verrenken um vor sich zu rechtfertigen, ein Arschloch und dessen Musik weiter zu unterstützen.
6 [CN Drogen, Suizid]
Manchmal funktioniert Musik ja wie eine Zeitkapsel. So zum Beispiel bei dem zweiten Album der US-amerikanischen Band SeeYouSpaceCowboy… (SYSC). Die Band klingt auf The Romance of Affliction (VÖ: 05.11.) so sehr nach dem Screamo, Post-Hardcore und Metalcore der frühen 2000er-Jahre, dass ich drei Mal checken musste, ob ich hier nicht ein altes Demo aus dieser Zeit in der Hand habe. Die Musik ist chaotisch, die Stimme von Frontfrau Connie Sgarbossa bohrt sich mit einer guten Portion Aggressivität (und einer kleinen Prise Verzweiflung) in unsere Gehörgänge und unterbrochen wird das Ganze nur hin und wieder durch hochemotionale Clear-Gesang Passagen. Für Menschen, die wie ich in den 2000ern angefangen haben, extremere Musik zu hören, kickt da der Nostalgie-Faktor schon ganz gewaltig. SYSC verlassen sich aber nicht bloß darauf, 30-somethings mit diesem Retro-Sound abzuholen, sondern, was das Album so besonders macht, ist die Authentizität der Band. Die Musik aus der Zeit, die Punk und Metal verband, hat sich immer durch eine hohe Emotionalität ausgezeichnet und durch ihre Umgang mit tabuisierten Themen. Depressionen, Suizid, Gewalterfahrung – all das steht auch bei SeeYouSpaceCowboy im Vordergrund. Das Album ist so persönlich, dass Texterin Connie Sgarbossa, die selbst während der Aufnahmen des Albums unter schweren Drogenproblemen litt, bis zum Schluss nicht sicher war, ob sie das Material tatsächlich veröffentlich möchte. Auf der anderen Seite zeugt das Album aber auch von einem hinreißenden Sinn für Humor. Songtitel wie Life as a Soap Opera Plot, 26 Years Running, oder Ouroboros as an Overused Metaphor sorgen für die dringend notwendige Leichtigkeit. Insgesamt ist dem Quintett ein so intensiv wie musikalisch spannendes Album gelungen und in den Weiten des Hard- und Metalcore gehören SeeYouSpaceCowboy zum absolut bestem, was das Genre 2021 zu bieten hatte.
7
Vor allem in den USA werden die Epic Doomer von Khemmis als nächstes großes Ding der Metalwelt gehandelt, die in einer Zeit nach Metallica und Iron Maiden den Thron besteigen können. Soweit würde ich ehrlich gesagt nicht gehen, aber was außer Frage steht, ist, dass das Quartett aus Denver, Colorado einen ganz speziellen Sound hat. Die schweren, tiefer gestimmten und verzerrten Gitarrenriffs des Doom Metals verbinden Khemmis immer wieder geschickt mit epischen Melodiebögen und Riffs aus dem Heavy Metal (was so ziemlich das Kernmerkmal des Epic Dooms ist) und einem grandiosen Songwriting. Vor allem der Klargesang von Frontmann Phil Pendergast gehört aktuell zum schönsten was das Genre zu bieten hat. Auch auf ihrem vierten Album Deceiver stehen diese Trademarks der Band weiter im Vordergrund. Und selbst wenn das Album nicht an seine beiden brillanten Vorgänger herankommt, Songs wie das melancholische House of Cadmus und das epische The Astral Road treffen wieder einmal mitten ins Mark.
8
Wie in jedem Genre gibt es natürlich auch im Metal Untergrund Trends. Waren es in den 2010ern der dominante Djent-Einschlag im Progressive Metal und die immer extremer werdenden Technical Death Metal Bands, gibt es in meiner Wahrnehmung seit einigen Jahren ein Revival des Blackened Thrash Metal. Dabei geht es nicht um die skandinavische Art des Black Metals, der häufig mit brennenden Kirchen und Corpsepaints assoziiert wird, sondern um die ersten Welle des Black Metals. In den 1980er haben, lange bevor das Genre sich vor allem in Norwegen radikalisierte, Bands wie Venom, Mercyful Fate und Celtic Frost den Grundstein gelegt. Diese Form des Black Metals stand eher dem klassischen Heavy Metal näher, als der späteren zweiten Welle des Black Metals. So liegt der Fokus auch bei den modernen Blackenend Thrash Bands vermehrt auf schnelle Riffs, eine gewisse Partytauglichkeit und eine gute Portion Selbstironie. Ich glaube, das ist auch der Grund, warum Bands wie Midnight oder Hellripper so gut ankommen. Gerade in den vergangenen 20 Monaten konnten wir alle ein wenig Aufmunterung (gepaart mit einer „Fuck Everything“ Attitüde) ganz gut vertragen. Und auch 2021 gab es bereits einiges aus diesem Subgenre, dass echt Spaß gemacht hat. Von den eher Rock’n’Roll orientierten Bewitcher, über die gnadenlos nach vorne preschenden Demiser oder Wraith hatte der Blackened Thrash wieder einige Perlen zu bieten. Zuletzt haben die deutschen Knife, mit ihrem Debütalbum Knife (worauf sich ein Song namens K.N.I.F.E. befindet) einen absoluten Kracher für jede Metal-Party veröffentlich (VÖ: 22.10.). Das Album funktioniert ganz nach dem bewehrten Rezept: Riffs first, hohe Screams second und das Ganze in gut verdaulichen Songs zwischen 2:30 und 4 Minuten. Wenn man dann noch so ein gutes Gespür für Melodien und eingängige Riffs hat wie Knife, naja, dann ist ein super unterhaltsames und kurzlebiges Album garantiert. Gott, kann ich es kaum erwarten, diese Musik wieder live mit ein, zwei, drei, vier Bier in der Hand zu erleben!
9
Was als Kooperation auf dem Roadburn Festival begann, als Singer-Songwriterin Chealsea Wolfe und Multitalent Stephen Brodksy zusammen mit Converge die Songs der Metallic Hardcore und Metalcore Pioniere neu interpretierten, gibt es jetzt auch als gemeinsames Album. Converge sind in den 1990er eigentlich als Vorreiter des modernen Metalcores bekannt geworden und haben mit Jane Doe eines der legendärsten Alben des Genres geschrieben. Wolfe auf der anderen Seite ist für ihren düsteren, intensiven Sound bekannt, der sich nur schwer auf ein Genre festlegen lässt (und auch wenn sie meistens keinen Metal im eigentliche Sinne macht, fühlt sich ihre Musik einfach sehr nach Metal an). Gemeinsam mit Stephen Brodsky, der in zahlreichen Bands und Projekten unterwegs ist, und immer wieder für seine Innovationskraft bekannt ist, haben die Musiker*innen nun ein gemeinsames Album veröffentlicht: Bloodmoon: I (VÖ: 19.11.). Damit ist allen Beteiligten etwas Außergewöhnliches gelungen. Lange hat mich kein Album emotional so abgeholt wie dieses. Die Musik auf ein Genre festzulegen ist fast unmöglich. Ein wenig Doom-Einfluss hier, etwas Hardcore dort, ein wenig Post-Rock und Metal, viele ruhige Akustik-Passagen, die dann aber von schweren Gitarrenriffs durchbrochen werden. Das Zauberwort lautet Atmosphäre. Bloodmoon lebt von seiner dichten, alles verschlingenden Atmosphäre, die die Zuhörenden nicht aus ihrem kalten, aber irgendwie schönem Griff lässt. Vor allem die Stimmen von Brodksy, Wolfe und Converge Fronter Jacob Bannon harmonieren perfekt zusammen und deren Vielstimmigkeit verstärkt das Gefühl, im Nebel verfolgt zu werden, nur noch. Ehrlich gesagt fehlen mir die Worte, um das Album passend und angemessen zu beschreiben, aber ich bin begeistert. Ich liebe jeden Augenblick der 59 Minuten, die dieses außergewöhnliche Werk lang ist. Eine absolute Empfehlung für alle die, naja, einfach für alle! Schnappt euch eine Decke, legt euch auf die Couch, macht das Licht aus und lasst euch in dieser dunklen Jahreszeit in die dunkle Welt von Bloodmoon ziehen.
10
Zum Abschluss ein paar weitere Alben, die ich diesen Monat mochte:
Whitechapel – Kin (Deathcore, VÖ: 29.10.)
Archspire – Bleed the Future (Technical Death Metal, VÖ: 29.10.)
Monolord -Your Time to Shine (Doom Metal, VÖ: 29.10.)
MØL – Diorama (Post Black Metal, VÖ: 06.11.)
Swallow the Sun – Moonflowers (Doom Metal, VÖ: 19.11.)
Aephanemer – A Dream of Wilderness (Melodic Death Metal, VÖ: 19.11.)
Stormkeep – Tales of Othertime (Epic Black Metal, VÖ: 19.11.)
Eternity’s End – Ember of War (Power Metal, VÖ: 26.11)