Auch beim letzten Mal habe ich mich sehr über den vielen Zuspruch gefreut. Es ist sehr cool, dass etwas, das ich eigentlich nur für mich angefangen habe, ein paar Leser*innen gefunden hat. Danke! Der März war ein eher trostloser Monat, nicht nur wegen der Absage fast aller Sommerfestivals (was nachvollziehbar, aber dennoch schade ist), sondern insbesondere, weil am 7. März der Schwede Lars-Göran Petrov seinem Krebsleiden erlag. Ich möchte LG Petrov deshalb diesen Newsletter widmen. Er war nicht nur einer der einflussreichsten Extreme Metal Sänger (seine tiefen Growls sind legendär), sondern hat mit Entombed in den 1990er-Jahren auch einige Death Metal Klassiker veröffentlicht. Ruhe in Frieden L.G.!
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Bonjour, Salut et Enchantée! Was sagt es aus, wenn eine Band bisher nur ein fünf Jahre altes Demo und das Video der Debütsingle ihres ersten Albums veröffentlich hat, und ich dennoch sofort losstürme, um mir ihre Platte auf Vinyl zu kaufen (ja, ja ich weiß, ich bin jetzt einer von denen)? Nun, zum einen zeigt es, dass ich absolut keine Impulskontrolle habe, aber das wussten wir auch schon vorher. Zum anderen aber auch, dass die französische Band Herzel einen Sound hat, der zumindest mich sofort gefesselt hat. Le Dernier Rempart (VÖ: 12.03.) ist eine Reise in die Bretagne und die Vergangenheit. Das Quintett ist musikalisch fest im Traditional Heavy Metal der 1980er verwachsen. Darauf aufbauend legt sich die markante Stimme von Frontmann Thomas Guillesser, sowie das wirklich herausragende Gitarrenspiel von Kévin Le Vern und Gurvan Ladeux. Die sehr rohe Produktion und die Folk-Elemente, die die Band einstreut, geben dem Album einen speziellen Sound, der mich völlig gepackt hat. Dazu kommt, dass die französischen Texte, die Sagen und Mythen aus der Bretagne erzählen, perfekt mit dem epischen Sound der Band harmonieren. Ja, beim Drumming ist noch etwas Luft nach oben, der Bass ist in der Produktion vielleicht etwas zu weit im Vordergrund und mit 35 Minuten hätten der Platte ein bis zwei Songs mehr gutgetan, aber was soll’s?! Ich liebe das Album vom neun Minuten langen Auftaktstück Maîtres de l'Océan, über das Instrumentale Le Dernier Rempart, bis zum treibenden L’epée des Dieux.
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Seit ich diesen Newsletter schreibe, stelle ich mir immer öfter die Frage, wie ich über Extreme Metal sprechen kann. Anderen zu erklären, wieso eine schöne Melodie oder ein Refrain zum Mitsingen so besonders sind, ist einfacher, als die Wirkung zu beschreiben, die ein fetter Breakdown auf mich hat. Zum Extreme Metal werden meistens Death, Black und Doom Metal gezählt, sowie ihre zahlreichen Subgenre. Hilfreich war für mich zunächst, darüber nachzudenken, wieso Menschen Musik hören, die für Außenstehende eher abschreckend wirkt. Es sind wahrscheinlich vor allem zwei Effekte, die dazu führen, dass man sich zu dieser unzugänglichen Musik hingezogen fühlt (vgl. Chris Atton „Listening to ‚difficult albums‘: specialist music fans and the popular avant-garde“, 2012). Erstens, als ein Disktinktionsmerkmal. Je komplexer, je extremer die Musik ist, desto geringer wird der Kreis an Menschen sein, die diese Musik hören. Zweitens, die Befriedigung ein schwieriges Rätsel gelöst zu haben. Es dauert, bis sich gewisse Genre, Bands oder Alben einem „erschließen“. Erst nach einigen Stunden, die man mit der Musik verbracht hat, erkennt man gewisse Muster oder Zusammenhänge. Dann entspricht das (zumindest bei mir) dem Gefühl, das ich habe, wenn ich eine schwierige Aufgabe bewältigt habe. In diesem Sinne ist das Hören von Extreme Metal eventuell vergleichbar mit dem Erlernen einer neuen Sprache. Versteht man zunächst gar nichts und ist dadurch frustriert, ist das Glücksgefühl, das sich einstellt, wenn man sich zum ersten Mal in der neuen Sprache unterhalten kann, riesig. Für mich spielen definitiv beide Punkte eine große Rolle. War als Teenager die Distinktion entscheidender, so ist heute die Herausforderung, die einige Bands mit sich bringen, wichtiger für mich.
Um diese Hürden etwas abzubauen, die viele Menschen vom Hören extremer Metal Genres abhält, hat der kanadische Youtube-Channel BangerTV eine Reihe gestartet, die sich „How to get into…“ nennt. In einer meiner Lieblingsepisoden führt Blayne Smith in die Welt des Death Metal ein. Von den historischen Anfängen, über verschiedene Subgenre bis hin zu Anspieltipps für Einsteiger*innen. Dieses Format funktioniert so gut, weil es seine Zuschauer*innen ernst nimmt und wirklich versucht, Hindernisse aus dem Weg zu räumen (und das Blayne Smith einer der sympathischsten und witzigsten Menschen ist, die ich im Internet kenne, hilft sicher auch etwas). Wenn ihr also Lust habt, euch Extreme Metal Genres zu stellen, kann ich euch die Webserie nur wärmsten empfehlen!
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Apropos Extreme Music – Deathcore ist wohl eines der härtesten Subgenre, die es im Metal gibt. Es ist eine Kombination aus (Technical) Death Metal mit Elementen des Hardcore Punks (wobei Deathcore häufig eher dem Hardcore als Metal zugeordnet wird, aber naja, Genre-Diskussionen gehören zum Metal wie schwarze Bandshirts). Tief gestimmte Gitarren, extreme Vocals und massenweise Breakdowns sind die Hauptelemente. Allerdings wird Deathcore, wie so viele Subgenre die in den 1990er/Anfang der 2000er populär wurden (Nu Metal, Metalcore), mit einer gewissen Skepsis von großen Teilen der Szene begegnet. Auch wenn ich diese Abgrenzung gegenüber neueren Spielarten nie nachvollziehen konnte, haben viele Deathcore-Bands doch das Problem, dass sie einfach hart sein wollen, der puren Härte wegen. Dass das auch anders geht, zeigen zwei Bands, die in den vergangenen Monaten neue Alben veröffentlicht haben. Da sind zum Beispiel Brand of Sacrifice mit ihrem zweiten Studioalbum Lifeblood (VÖ: 05.03.). Ernsthaft, die Kanadier gehören zu den brutalsten und härtesten Bands, die ich je gehört habe. Vor allem Drummer Rob Zalischi und Vocalist Kyle Anderson liefern schier unmenschliche Performances ab (man höre sich nur den Scream in den letzten dreißig Sekunden von Altered Eyes an). Im Gegensatz zu vielen anderen Genrekolleg*innen schaffen es Brand of Sacrifice aber diese Härte einzufangen. Durch zahlreiche symphonische Soundelemente und Chöre konterkarieren sie ihre Härte und geben der musikalischen Brutalität einen Rahmen. So entsteht ein Album, von dem viele Melodiepassagen und Refrains im Kopf bleiben, obwohl die Aggressivität an keiner Stelle runtergeschraubt wird. Als eine Art Blaupause für den typischen BoS-Sound kann das epische Animals dienen.
Einen anderen Weg gehen die Schweden Humanity’s Last Breathe. Wo Brand of Sacrifice ihr Album opulent überladen, hat der Sound des Quartetts aus Göteborg fast schon etwas Steriles und Kaltes. Ihr jüngstes Album Välde (VÖ: 12.02) macht es den Zuhörenden enorm schwierig, in die Musik hineinzufinden. Es gibt fast keine eingängigen Melodienbögen, an die man sich klammern könnte. Da sich verschiedene Muster und Strukturen einzelner Songs in leicht abgewandelter Form wiederholen, stellt sich auch eine Zeit- und Orientierungslosigkeit beim Hören ein. Das führt aber wiederum dazu, dass die vereinzelten Passagen von Klargesang (wie in Tide) herausstechen, als würde ein einzelner Sonnenstrahl durch einen dichten Nebel dringen. Passenderweise sind es echte Nebelhörner, die im instrumentalen Väldet eines der Highlights des Albums darstellen. Das Songwriting über das Album hinweg ist einfach herausragend und die ganze Platte folgt einer klaren, konsistenten Idee. Välde ist fordernd und kompromisslos, aber genau deswegen hat es mich gepackt und ich komme immer wieder zu ihm zurück (wie oben beschrieben, eine Art Belohnung für das immer bessere „Verstehen“ des Albums).
Sowohl Humanity’s Last Breathe als auch Brand of Sacrifice sind keine Bands, die sich den Hörenden sofort erschließen. Lässt man sich aber auf diesen Sound ein, dann finden sich große und existenzialistische Emotionen hinter den sehr harten Schalen.
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Zum feministischen Kampftag, dem 8. März hat das Kerrang! Magazin einige Interviews und persönliche Essays von Musikerinnen veröffentlicht, die ich alle äußerst lesenswert finde. Einige meiner liebsten Texte sind:
die Auseinandersetzung von Courtney LaPlante (Sängerin von Spiritbox), damit, dass sie innerhalb der Heavy-Music-Szene immer wieder gezwungen wird, zu entscheiden, wie sie sich zu ihrer Weiblichkeit verhalten soll
Edith Johnson (Sängerin von Meet Me A @ The Altar) Erfahrungen mit fehlenden Vorbildern und Repräsentation als junge schwarze Frau innerhalb der Szene
Viele Bereiche innerhalb des Genres haben große Probleme mit Misogynie. Es bringt überhaupt nichts, das zu leugnen. Ein Weg, dem zu begegnen, wie Kerrang! es vorgemacht hat, ist, endlich Räume zu öffnen, die nicht von cis Männern besetzt werden und die real existierende Diversität innerhalb des Metals dadurch besser abzubilden. Zum anderen gehört aber auch dazu, dass cis Männer sich untereinander endlich in die Verantwortung nehmen. Wie das gehen kann, zeigt ein Text des kanadischen Journalisten Bradley Zogdrager (How Brutal Death Metal Is Confronting Its Misogyny Problem). Darin kommen zum einen Musikerinnen zu Wort, zum anderen werden aber auch Bands mit ihren misogynen Texten konfrontiert. Der Artikel zeigt, dass ein Umdenken möglich ist und dass Bands (und damit Metal als Ganzes) nichts von seiner vermeintlichen Identität verliert, wenn Texte inklusiver gestaltet werden. Es ist noch ein langer Weg, aber in den letzten Jahren hat die Szene in weiten Teilen begonnen, sich zu bewegen, was das Thema gerechte Teilhabe für alle angeht.
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Thrash Metal, das ist das Genre das Bands wie Metallica, Slayer, Anthrax und Megadeth (die sogenannten Big Four) hervorgebracht hat und dadurch wahrscheinlich als eine Art Metal-Prototyp im gesellschaftlichen Gedächtnis verankert wurde. Lange Zeit waren es auch diese Pioniere aus den 1980er, die das Genre dominiert und geprägt haben, inklusive einiger Verirrungen in den späten 1990er/frühen 2000er (fragt einfach mal einen Metallica Fan, was er oder sie von St. Anger hält). In den letzten Jahren tut sich nun endlich etwas im Thrash-Nachwuchs. Nach Bands wie Power Trip oder Nervosa schicken sich auch die US-Amerikaner Enforced an, in die Fußstapfen der Big Four zu treten. Ihr zweites Album Kill Grid (VÖ: 12.03.) ist ein rasantes und aggressives Feuerwerk voller packender Riffs und grandiosen Gitarren-Solis, das häufig an Slayers beste Zeiten erinnert. Ähnlich wie Power Trip zählen auch Enforced zum sogenannten Crossover-Thrash, eine Variante des Thrash-Metals die zahlreiche Elemente des (New Yorker) Hardcore Punks inkorporiert. Vor allem Curtain Fire und Malignance haben mit ihren Ohrwurm-Refrains das Zeug zu modernen Thrash-Klassikern. Ein Album, bei dem ich es kaum erwarten kann, es aus einem Moshpit heraus live zu hören.
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Im Metal geht es nicht immer so ernst zu, wie nach außen gerne getan wird. Was spätestens nach Lordis Gewinn des Eurovision Songcontest 2006 den meisten bewusst sein dürfte. Eigentlich gilt Europa als Epizentrum dieser Seite des Metals, die sich selbst nicht so ernst nimmt - namentlich des Power und Speed Metals. Das liegt sicherlich an der sehr lebendigen Festivalkultur, ist Power Metal doch von Grund an auf Songs ausgelegt, die man nach dem ersten Mal hören direkt mitgröhlen kann (und hat dabei einiges mit Schlager gemeinsam). In der jüngeren Vergangenheit haben die erfolgreichen europäischen Vertreter*innen des Genres die Neigung entwickelt, immer opulenter und cineastischer zu werden (siehe Sabaton, Powerwolf oder Amaranthe). Was mich per se nicht stört, aber die Bands balancieren immer an der Grenze zwischen super unterhaltsam und extrem peinlich. Eine angenehme Abwechslung dem gegenüber ist die ostasiatische Power- und Speed Metal Szene - allen voran LOVEBITES. Sie gehören meiner Meinung nach zu den besten Bands, die es aktuell im melodischen Metal gibt. Das japanische Quintett verbindet die Fähigkeit klebrige Ohrwürmer zu schreiben mit spielerischem Anspruch, wie es kaum eine andere Gruppe schafft. Am 10. März haben sie nun eine neue Mini-LP veröffentlich (Glory, Glory, to the World), die alles mitbringt, was ich an der Band so liebe: catchy Melodien von Sängerin Asami, super unterhaltsame Riffs und Gitarrensoli von Midori und Miyako und ein fantastisches Drumming von Haruna. Zusammengehalten wird das Ganze von Bandleaderin, Bassistin und Hauptsongwriterin Miho. Die erste Vorabsingle Winds of Transylvania, ist zudem Theme-Song des Animes „Vladlove“. Neben LOVEBITES sind es die Japaner von Significant Point (neues Album: Into the Storm, VÖ: 26.02) und Witchseeker (neues Album: Scene of the Wild, VÖ: 26.03) aus Singapur, die zuletzt Speed-Metal Alben veröffentlicht haben, die mein Herz höherschlagen lassen (und um ehrlich zu sein, vielen europäischen Kolleg*innen in Sachen Authentizität, Qualität und Spaßfaktor eindeutig die Show stehlen, looking at you Sabaton, deren neuen Single Livgadet einfach brutal langweilig ist).
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Ich habe einen absoluten Softspot für den Retrosound der 1970er und -80er. Genau in diese Kerbe schlägt das Debütalbum Anti der Norweger White Void (VÖ: 12.03.). Frontman Lars Are Nedland ist hauptberuflich eigentlich Keyboarder der (Melodic-) Black Metal Band Borknagar, zeigt mit diesem Album aber, dass er sich auch in sanfteren Gefilden sichtlich wohlfühlt. White Void haben einen ganz eigenen Sound, der zwischen Progressive Metal und Retro-Rock changiert, gepaart mit etwas Blues Rock und sogar dem typischen Dark Wave der 1980er (man höre nur There Is No Freedom But the End). Das Quartett schafft durch diese verschiedenen, geschickt eingesetzten Einflüsse, ein tolles Spannungsverhältnis zwischen Eingängigkeit und Melancholie. Ein absolut großartiges Album, das ich wirklich in jeder Stimmungslage gerne höre.
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*Seufz*… die Grammys. Die Beziehung zwischen den Grammy Awards und Metal kann man im besten Fall als kompliziert beschreiben. Fast alle Metal Fans, die ich kenne (mich eingeschlossen), finden, dass es keine Rolle spielt, was bei den Grammys passiert und dennoch tun sie nichts lieber, als sich darüber aufzuregen, was denn in Sachen Metal schon wieder nominiert wurde (was vielleicht ein gutes Beispiel für das ambivalente Verhältnis zwischen Metal Fans und dem Mainstream ist). Und zumindest ein Blick auf die Kategorie hilft, um dieses angespannte Verhältnis zu begreifen. Der wichtigste US-amerikanische Musikpreis zeichnet lediglich in der Kategorie „Best Metal Performances“ Metal-Acts aus. Für ein Genre, das sich so zentral über Alben definiert, schon ein wenig seltsam. In diesem Jahr konnte ich aber wenigstens mit der Auswahl der Nominierten und des Siegers gut leben. Bodycount und Ice-T, die für ihren Song Bum-Rush ausgezeichnet wurden, sind verdiente Gewinner, hat ihr Album Carnivore (VÖ: 06.03.2020) doch viel von der Wut der Black Lives Matter Proteste vorweggenommen. Aber auch Power Trip, die für eine Live-Version ihres Songs Executioner’s Tax, den sie noch mit ihrem inzwischen verstorbenen Sänger Riley Gale aufgenommen haben, hätten den Preis mehr als verdient. Schlussendlich bleibt Poppy (über die Andrea Diener in der FAZ ein faszinierendes Portrait geschrieben hat). Die US-amerikanische Sängerin hat nicht nur Geschichte geschrieben, in dem sie als erste Solokünstlerin überhaupt für die Metal-Kategorie nominiert war, sondern hat mit ihrem Song Eat eine wirklich spektakuläre Performance hingelegt. Also liebe Grammy Awards, gebt mir eine „Best Metal Album“ Kategorie und vielleicht wird das ja doch noch was mit uns!
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Zum Abschluss ein paar weitere Alben, die ich im März mochte:
Black Totem - II: Shapeshifting (VÖ: 26.02.)
Finnischer Punk Rock mit einer guten Portion Blues und Hard Rock
As Everything Unfolds - Within Each Lies The Other (VÖ: 26.03.)
Eines der besten Post Hardcore Alben der letzten Jahre, das von Sängerin Charlie Rolfes Stimme lebt.
Marianas Rest - Fata Morgana (VÖ: 12.03.)
Melodic Doom Metal, oder wie ich es gerne nenne: Sad Boy*Girl Music für einen verregneten Samstagnachmittag
The Crown - Royal Destroyer (Death Metal, VÖ: 12.03.)
EyeHateGod - A History Of Nomadic Behavior (Sludge Metal, VÖ: 12.03.)
Dvne - Etemen Ænka (Progressive Metal, VÖ: 19.03.)
Tomahawk - Tonic Immobility (Alternative Metal, VÖ: 26.03.)