Gestattet mir zu Beginn etwas sentimental zu werden. Gestern hat meine Mutti geheiratet und weil sie und ihr Mann beide auch Metal hören (Family Goals achieved!), möchte ich ihnen die Juni-Ausgabe meines Newsletters widmen. Mutti, Edi wenn ihr das noch in euren Flitterwochen lest, dann hoffe ich, dass ihr eine wundervolle Zeit habt. Ich freue mich so sehr für euch beide und hab‘ euch sehr lieb.
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Endlich ist es da - das Debüt Echoes from the Soul von Crypta (VÖ: 11.06.)! Über die Geschichte der Band werde ich an dieser Stelle nicht mehr viel sagen, das könnt ihr ja hier gerne nochmal nachlesen. Ich will mich ganz auf die Musik konzentrieren. Es war bei den sehr unterschiedlichen Einflüssen der einzelnen Musikerinnen nicht klar, wie der Stil der Band im Detail aussehen würde und ob daraus überhaupt ein konsistentes Werk werden könnte. Es sollte ein Old School Death Metal Album werden, so viel stand fest, und lasst euch eins sagen: Old School Death Metal klang lange nicht so frisch und kreativ. Crypta schaffen es, die Stärke der einzelnen Musikerinnen perfekt zu verbinden. Da wäre zum einen die Vorliebe von Sängerin und Bassistin Fernanda Lira für den auf-die-Fresse Death Metal aus Florida der 1990er (á la Cannibal Corpse). Den man bspw. in Songs wie Starvation oder Kali, die ohne Umschweife nach vorne gehen, heraushören kann. Da ist aber auch die Liebe für Melodien die Gitarristin Sonia Anubis mitbringt und deren Einfluss (z.B. in From the Ashes) an die schwedischen Anfänge des Melodic Death Metals erinnern (wie die frühen At The Gates). Und da sind die progressiven Arrangements von Schlagzeugerin Luana Dametto, denen man die Nähe zu den Urvätern des progressive Death Metals Death anhören kann (Under the Black Wings, Dark Night o f he Soul). Und über allem liegt dieser typisch brasilianische Extreme Metal Vibe, den die frühen Sepultura oder Sarcófago berühmt gemacht haben (Blood Stained Heritage). Die Kunst der Band besteht nun darin, diese Einflüsse nicht bloß zu kopieren, sondern mit Leben zu füllen und sie in einem stimmigen Gesamtbild zu kombinieren. Wenn man dazu bedenkt, wie jung die einzelnen Musikerinnen noch sind, ist das Ergebnis umso beeindruckender. Nein, Echoes from the Soul ist kein perfektes Album, aber das konnte auch niemand ernsthaft erwarten (immerhin hat sich das Quartett während der Aufnahmen nie persönlich sehen können). Aber es ist ein Fingerzeig, zu was diese Band in der Lage sein wird. Und so viel sei hier nochmal erwähnt: was Sonia Anubis mit ihren 22 Jahren da an reihenweise absurd genialen Solis und catchy Riffs rausfeuert ist atemberaubend. Ich hoffe, dass die vier in der Konstellation weitermachen, denn dann ist Crypta eine Band, die die Welt im Sturm erobern wird.
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Das selbstbetitelte 16. Studioalbum der Power Metal Titanen von Helloween war wohl eines der am sehnsüchtigsten erwarteten Veröffentlichungen des Jahres (VÖ: 18.06.). Das liegt nicht nur daran, dass jedes Helloween Album irgendwie ein Highlight für sich ist (vor allem wenn man sechs Jahre seit der letzten warten musste), sondern an der Besetzung mit der die Band das Album aufgenommen hat. Auf Helloween sind nämlich die legendären Michael Kiske (Gesang) und Kai Hansen (Gründungsmitglied, Gesang und Gitarre) nach 28 respektive 33 Jahren wieder mit an Bord. Kiske und Hansen waren maßgeblich daran beteiligt, Helloween mit den Keeper of the Seven Keys Alben (Part 1 1987/Part 2 1988) zu globalen Power Metal Ikonen zu machen. Und genau da hört meine Verbindung zu der Band ehrlich gesagt auch schon auf. Bis auf die Keeper-Alben habe ich mich nie besonders dafür interessiert, was Helloween so machen.
Im Jahr 2021 sind die Hamburger nun also wieder mit ihrem legendären Line-Up unterwegs und gönnen sich dabei direkt drei Gitarristen und drei Sänger (was ja auch schon eine veritable Boy Group ergeben würde). Was ist also von diesem wirklich epischen Projekt (immerhin auch fast 75 Minuten Spielzeit) zu halten?
Nach der langen Vorrede komme ich direkt zum Punkt – Helloween ist eine triumphale Rückkehr zu alter Stärke gelungen. Meine Erwartungen waren echt nicht hoch, nachdem die Band über 30 Jahre kein Material herausgebracht hat, das mich irgendwie interessierte. Und ja, auch auf der neuen Platte gibt es ein paar sehr stereotypische Power Metal Nummern (Golden Times, Out of Glory), aber selbst die machen irgendwie Spaß. Insgesamt ist das Songwriting aber wirklich grandios (Kai Hansen sei Dank!). In Songs wie Fear of the Fallen, dass am Ende fast schon in eine Prog-Rock Nummer kippt, zeigt die Band, dass sie kein One-Trick Pony ist. Am beeindruckendsten ist aber die Gesangsperformance der drei am Mikro. Das funktioniert so organisch, als würden sie schon immer in dieser Konstellation performen. Kiske, Hansen und Andi Deris - keiner dieser drei gestandenen Sänger drängt sich in den Vordergrund, wenn sie aber dran sind, liefern alle herausragende Gesangsleistungen ab Gerade in Indestructible, Raise Without Chains oder Skyfall funktioniert das perfekt. Dazu kommt, dass die Songs sowohl auf Platte sehr gut funktionieren, aber definitiv für die große Bühne geschrieben wurden. Das bringt die nötige Epik, die diese Art Musik braucht mit. Mass Pollution hat das „make some noise“ direkt im Song untergebracht. Was soll ich noch sagen? Ich war nie großer Helloween-Fan, muss aber neidlos anerkennen, dass der Band hier ein fantastisches Alterswerk gelungen ist (oder eher der Start in eine neue Band-Ära?). Helloween ist mit Abstand das beste Power Metal dieses Jahres und wird seinen Platz in der Geschichte des Genres schon finden.
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„Wow! Oh mein Gott, wow, wow, wow. WOW!“ So könnt ihr euch meine Reaktion vorstellen, als ich das erste Mal dem vierten Album Odyssey von Vokonis gelauscht habe. Deswegen nehme ich es noch mit in den Juni rüber, obwohl es bereits am 07. Mai erschienen ist. Kurz zu den Fakten: Vokonis sind ein schwedisches Trio und spielen progressiven und melodischen Stoner Doom. So weit so unspektakulär, aber wie auf Odyssey diese Genre-Beschreibung mit Leben gefüllt wird, ist grandios. Da sind zum einen die Vocals von Jonte Johannson und Simon Ohlsson deren Wechselspiel zwischen Growls und unterschiedlichen Stilen im Klargesang den Songs eine tolle Dynamik verpassen. Apropos Dynamik, das Songwriting auf diesem Album ist Weltklasse. Vokonis beherrschen sowohl die kurzen, gradlinigen Nummern (wie der stapfende Auftakt Rebellion), als auch die ausufernden Progressive Epen (siehe nur das wunderschöne Through the Depths) in Perfektion. Und dabei war ich noch gar nicht bei den Melodien – holy moly, die Jungs wissen, wie man eine verträumte Melodie oder einen catchy Riff schreibt. Jeder einzelne Song auf der Platte ist ein Hit. Vokonis werden immer wieder mit Mastodon oder Opeth, also zwei der einflussreichsten und erfolgreichsten Metal Bands der Welt, verglichen. Ein Vergleich, den sie wahrlich nicht scheuen brauchen. Aber wenn ihr mich fragt, dann ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis Vokonis selbst die Referenz für zahlreiche jüngere Bands sein werden.
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Auch 2021 wird es keinen Festival-Sommer geben, wie wir ihn in den Jahren vor der Pandemie kannten. Dennoch kündigt sich allen Ecken und Enden die Rückkehr der Live Musik in die Metal Welt an. An prominentester Stelle ist da das Download Festival in Großbritannien zu nennen. Unter dem Namen Download Pilot fand vom 18. bis zum 20.Juni in Donington Park ein Pilot-Projekt mit 10.000 Gästen statt (ein Zehntel der eigentlichen Kapazität). Auf Masken und Social Distancing wurde dabei verzichtet, nur ein negativer PCR-Test war Voraussetzung. In den nächsten Wochen werden die Ergebnisse erwartet, wie sich das Coronavirus bei solchen Veranstaltungen ausbreitet. Allen wissenschaftlichen Absichten und Bedenken zum Trotz haben mich die Bilder vom Download Festival mit enormer Vorfreude und Sehnsucht erfüllt.
Diese Sehnsucht wurde umso befeuert, da viele Festivals nach und nach ihre Planungen für 2022 veröffentlichen. Für ein Eruption ungekannten Ausmaßes auf den verschiedenen Social Media Portalen hat dabei das französische Hellfest gesorgt. Die Veranstalter*innen haben das Festival 2022 einfach mal auf 10 Tage ausgedehnt (okay, okay mit kurzer Pause dazwischen) und über 200 Bands bestätigt – darunter die größten Metal Bands, die es auf dem Planeten so gibt. Die Reaktionen darauf waren, sowohl auf der Seite der Fans als auch der Bands, dementsprechend ekstatisch. Viele sprechen schon von einem Woodstock des Metals.


In Deutschland musste das Wacken Open Air seine 2021 Ausgabe zwar ausfallen lassen, hat aber für den September eine kleinere Ersatzveranstaltung angekündigt. Das Bullhead City wird wahrscheinlich der erste größere Lackmustest für die Rückkehr von Live Musik hierzulande.
Ich lebe aber bis es soweit ist, in der Vorfreude auf die Konzerte, die da kommen werde. Mein nächstes Konzert soll übrigens Mitte November stattfinden, wenn Trivium und Heaven Shall Burn gemeinsam auf Tour gehen. Bis dahin heißt es Daumen drücken, dass das auch stattfinden kann.
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Zugegeben, bis vor zwei Wochen hatte ich keine Ahnung wer Alustrium eigentlich sind. Eher zufällig bin ich bei YouTube über eine Review zum dritten Album der US-Amerikaner A Monument to Silence gestolpert (VÖ: 18.06.). Eine Stunde später war ich Riesenfan. Ja, manchmal ist es ja so, dass man nichtsahnend ein Album anschmeißt und völlig aus den Socken gehauen wird. Genauso ging es mir bei dem Technical und Progressive Death Metal des Quintetts. Die Band nutzt ihre technischen Fähigkeiten nicht um zu zeigen wie toll sie sind (was so viele andere Genre-Vertreter*innen gerne tun), sondern immer im Interesse des Songs. So entsteht ein intensives, emotionales und brutales Album. Exemplarisch dafür ist der Opener The Hollow Ache, der mit leichten Gitarrenklängen und Geflüster beginnt, nur um die Hörenden dann ohne Vorwarnung umzupusten. Zur Perfektion treiben Alustrium ihren Sound auf dem 8-minütigen The Accuser. Der Song hat alles was ich mir von einer extreme Metal Nummer wünsche und ist der Höhepunkt eines herausragenden Albums.
6 & 7
Vielleicht liegt es an diesem surrealen Gefühl der Welt-Entrücktheit, das sich seit Beginn der Corona-Pandemie breit gemacht hat. Ich habe in den vergangenen Monaten jedenfalls meine große Leidenschaft für Psychedelic entdeckt. Bisher habe ich euch da vor allem Bands aus den dem Psychedelic Rock vorgestellt (Jess and the Acient Ones, Vintage Caravan). Heute tauchen wir aber in etwas härtere Gefilde ein – dem Psychedelic Doom. Im Juni haben zwei Bands aus diesem Subgenre neue Alben veröffentlicht, die die schwere Getragenheit des Dooms mit der progressiven Verspieltheit des Psychedelic perfekt verbinden.
Zum einen sind da die Briten Boss Keloid mit ihrem fünften Studioalbum Family the Smiling Thrush (VÖ: 04.06.). Das Fundament des Sounds des Quintetts aus Wigan sind zwar die tiefen, stark verzerrten Gitarren des Sludges, aber sie scheuen sich nicht leichte, verträumte Melodiebögen darüber zu legen, oder ihren Songs einen Prog Rock Anstrich zu verleihen. Das alles mit einer Leichtigkeit im Songwriting, die einen staunend zurücklässt. Die Stimme von Alex Hurst tut ihr übrigens, dass ich mich beim Hören wirklich wie auf einem angenehm Trip im Kreis meiner Freund*innen fühle.
Etwas drückender und klassischer unterwegs sind die Us-Amerikaner*innen Heavy Temple mit ihrem Debütalbum Lupi Amoris (VÖ: 18.06.). Hier stehen die großen Riffs und der Groove im Vordergrund. Das Songwriting ist auch hier unfassbar vielseitig und die Strukturen der einzelnen Songs sind so unvorhersehbar, wie die Melodien ansteckend sind. Mein persönliches Highlight ist dabei ganz klar die Stimme von Sängerin und Bassistin High Priestess Nighthawk (Kompliment für diesen Künstlerinnenname!), die fast schon über den Songs zu schweben scheint und so dem Sound das gewisse Extra gibt. Im Vergleich zu Boss Keloid sind Heavy Temple noch etwas roher – was man jetzt als Kritik oder Kompliment auffassen kann.
Sucht ihr nach einem Soundtrack um der Realität für einige Augenblicke zu entfliehen, dann kann ich diese beide Alben definitiv empfehlen.
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Ziemlich überraschend hat das US-Amerikanische Internet Phänomen Poppy eine neue EP veröffentlicht - EAT (VÖ: 08.06.). Nachdem die Künstlerin sich im vergangenen Jahr auf ihrem Album I Disagree dem Metal verschrieben hat, und dafür als erste Solo-Künstlerin überhaupt für einen Grammy in der Kategorie Best Metal Performance nominiert wurde, habe ich gar nicht so schnell mit neuem Material gerechnet. (Obwohl sie den Titelsong EAT mit seinen haunting [gibt es dafür ein gutes deutsches Wort?] Industrial-Elementen ja bereits bei den Grammy’s performte.) Die fünf neuen Songs haben mich dann aber ziemlich umgehauen. Noch mehr als auf ihrem letzten Album lässt sich Poppy darauf ein, eine Metal-Künstlerin zu sein. Die Songs sind heavier, die Texte düsterer und persönlicher (z.B.: My brain is poisonous/ My body is a mess/ My heart is hazardous/ Who could I be instead?/ I tell everyone that I'm okay/ But I'm ashamed/ I'm afraid/ And it all eats at me) und ihre Vocals extremer. Der Song Say Cheese erinnert teilweise an den Mathcore der späten The Dillinger Escape Plan und CUE klingt wie Poppys Hommage an Gojira. Spätestens mit dieser EP ist die Musikerin Poppy vollkommen im Metal-Kosmos angekommen und ich könnte darüber nicht glücklicher sein.
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Die Hälfte des Jahres ist schon wieder rum und es wird Zeit nach vorne zu schauen. Was erwartet uns noch so alles in den kommenden sechs Monaten? Das Wichtigste vorneweg – hoffentlich die Rückkehr von Konzerten! Ich kann es kaum erwarten, hier meinen ersten Konzertbericht zu teilen. Was neue Musik angeht, stehen viele Highlights bereits in den Startlöchern. Da sind zum Beispiel die neuen Alben von legendären Bands wie At The Gates (02.07.) und Carcass (17.09.). Wenn die beiden Gruppen neue Musik veröffentlichen, ist das immer ein Highlight in der Szene. Die Vorfreude bei mir ist aber am größten, wenn ich an das neue Album der norwegischen Progressive Virtuosen Leprous denke (27.08.). Für viel Gesprächsstoff (zum Guten oder Schlechten wird sich zeigen) werden sicher auch die neuen Alben von Powerwolf (09.07.) und Bullet for my Valentine (22.10.) sorgen. Und auch die Post Black Metal Giganten Deafheaven haben eine neue Scheibe angekündigt und dürften damit die Metal Welt spalten (20.08.). Außerdem sind da Bands, die in den letzten Jahren immer weiter in die Spitze des Metals vorgedrungen sind und zu globalen Stars werden könnten, wie die Ukrainer*innen Jinjer (27.08.), die neuseeländischen Māori von Alien Weaponary (17.09.) oder die Amis von Born of Osiris (02.07.). Besonders spannend für mich sind auch immer junge Bands, die sofort durch die Decke gehen, wie die (völlig zurecht) sehr gehypten Spiritbox (Debüt ebenfalls 17.09.). Dazu kommen einige meiner Lieblingsbands, die ihre Studioarbeiten abgeschlossen haben, wie die britischen Death Metal Senkrechtstarter Venom Prison (tba), die Symphonic Metal Nerds (im besten Sinne) von Seven Spires (10.09.), die Post Metaller von Employed to Serve (tba) oder die Black Metal Avantgarden von Zeal & Ardor (tba). Außerdem gibt es da ja auch noch die Gerüchteküche, in der es heißt, dass wir uns eventuell auf neue Musik von Avantasia, Metallica, Amorphis, oder Iron Maiden freuen können (jedenfalls haben alle angekündigt, dass sie bereits im Studio waren). Und dann könnte es ja noch sein, dass wir nach sieben Jahren des Wartens das neue Album der Progressive Metal Titanen von Cynic bekommen (es wäre erst das vierte in ihrer 28-jährigen Bandgeschichte). Ihr seht also, es wird definitiv nicht langweilig im Rest des Jahres!
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Zum Abschluss ein paar weitere Alben die ich diesen Monat mochte:
Eye of Purgatory – The Lighthouse (Melodic Death Metal, VÖ: 18.06.)
Pharaoh – The Powers That Be (Power Metal, VÖ: 18.06.)
Starlight Ritual - Sealed in Starlight (Heavy Metal, VÖ: 02.06.)
Flotsam & Jetsam – Blood in the Water (Thrash Metal, VÖ: 04.06.)
Atreyu – Baptize (Metalcore, VÖ: 04.06.)