Ich habe mich wirklich sehr über die ganzen netten Worte und die Unterstützung nach meinem ersten Newsletter gefreut und möchte nochmal „Danke!“ sagen. Im Februar 2020 war ich zum letzten Mal auf einem Konzert und wie um mich über dieses Jahr ohne Shows hinwegzutrösten, ist im vergangenen Monat so viel tolle Musik erschienen, dass der (eh schon zu lange, sry!) Newsletter auch doppelt so lange hätte werden können. Ich hoffe, ihr habt wieder viel Spaß damit!
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Nightwish, Within Temptation, es tut mir leid, aber ihr müsst den Platz freimachen, denn der Thron des Symphonic Metals gehört ab sofort Epica! Am 26. Februar hat das niederländische Sextett mit Omega ihr achtes Studioalbum veröffentlicht und für ein mittelschweres Beben in der Szene gesorgt. Ich kenne wirklich keine einzige schlechte Review dieses Albums, Kritiker*innen eingeschlossen, die sonst wenig mit dem Subgenre anfangen können. Epica ist das Kunststück gelungen, ihren Sound härter und progressiver zu machen, dabei aber noch an Eingängigkeit zu gewinnen. Das beste Beispiel dafür ist die erste Single Abyss of Time, in der die Melodic Death Metal Einflüsse perfekt mit den symphonischen Arrangements verbunden werden.
Neben dem brillanten Songwriting von Gitarrist Mark Jansen und der wirklich herausragenden Produktion (die Streich- und Blasinstrumente und die Chöre hören sich unfassbar organisch und natürlich an) ist die größte Stärke Epicas die Stimme von Simone Simons. Hands down – Simons ist eine der besten Sängerinnen, die es je im Metal gab. Auf Omega reiht sich ein Highlight an das nächste. Völlig egal, ob es das düstere The Skeleton Key, das Riff-Monster Synergize oder das 13-Minuten progressive Opus Kingdom of Heaven Pt. 3 ist- alles, was Epica anpackt, gelingt. Wieso sie nach 19 Jahren auf einmal so einen Qualitätssprung machen? Die Antwort liegt vielleicht im Produktionsprozess. Erstmals hat die Band die gesamte Platte gemeinsam aufgenommen. Die Mitglieder haben sich für einigen Wochen in ein holländisches Dorf zurückgezogen und gemeinsam an den Songs gearbeitet. Wie dem auch sei, Epica ist hier ein Meisterwerk geglückt und um euch richtig Lust auf das Album zu machen, ist hier das Video zu Rivers. Eine wunderschöne Ballade, die wieder einmal beweist, dass auch Metalheads für die ganz großen Emotionen zu haben sind.
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Ich hatte sie im letzten Newsletter schon unter „Alben, die ich im Januar mochte“ angeführt, aber es gab im Februar nichts, was bei mir so oft rauf und runter lief wie The Cult von Crystal Viper. Und weil das Album eh erst Ende Januar erschienen ist, nutze ich die Möglichkeit, um ein bisschen zu schwärmen. Crystal Viper stammen aus Polen und machen traditionellen Heavy Metal, der an die 80er und frühen 90er erinnert, mit einer guten Schippe Power Metal á la Helloween oder Gamma Ray.The Cult ist das bereits achte Album der Band - und wenn es nach mir geht - ihr mit Abstand bestes. Das liegt vor allem an zwei Dingen: einmal an der druckvollen Stimme von Bandgründerin und Frontfrau Marta Gabriel und dem grandiosen Songwriting von ihr und Gitarrist Andy Wave. Fast jedes Lied geht ins Ohr, hat grandiose Melodien oder ein tolles Solo. Dass die Band von AFM zu Listenable Records gewechselt ist, tut den Pol*innen dabei offenbar zusätzlich gut. Es ist zwar nicht mehr so viel Promobudget da (es gibt bspw. nur ein Lyric Video), aber die neu gewonnenen Freiheiten nutzen sie auf beeindruckende Weise (inklusive Lovecraft’schem Konzept, das mich zwar nicht so interessiert, aber für die eine oder den anderen sicher zusätzlich cool ist). Das Album geht 45 Minuten nach vorne und war im eiskalten Februar meine Gute-Laune Garantie. Metal wie er mehr Spaß nicht machen kann!
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Nochmal Polen; dort müssen sich immer wieder Künstler*innen wegen vermeintlich blasphemischer Straftaten vor Gericht verantworten. Jüngstes und eines der prominentesten Beispiele dafür ist Nergal. Adam Darski (Nergals bürgerlicher Name) ist der Frontman der polnischen Black’n’Death Metal Band Behemoth, die sowohl zu den kommerziell erfolgsreichsten Extreme Metal Bands der Welt gehört als auch von Kritiker*innen gefeiert wird. Mitte Februar wurde Darski nun zum zweiten Mal von einem polnischen Gericht wegen Blasphemie verurteilt. Als Reaktion daraufhin hat Darski die Initiative Ordo Blasfemia ins Leben gerufen, mit der er Geld für sich und andere Künstler*innen sammeln will, die von der polnischen Justiz verfolgt werden (mehr Informationen findet ihr im Video unten). Nergal gehört immer wieder zu den lautesten Kritiker*innen der Politik in seinem Heimatland. Als Ende des letzten Jahres ein fast vollständiges Abtreibungsverbot in Polen in Kraft trat, stellte er sich mit einem emotionalen und drastischen Statement hinter die Protestierenden. Das Aufbegehren gegen Unterdrückung und Ungerechtigkeit gehört zu den Grundfesten des Genres und ich finde es bemerkenswert und wichtig, dass eine Stimme wie die von Nergal, sich so deutlich positioniert.
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Beim letzten Mal habe ich mir gewünscht, dass der Blind Guardian Frontman Hansi Kürsch sich deutlicher von John Schaffer, der einer der Terroristen beim Sturm auf das Kapitol war, und mit dem er das gemeinsame Projekt Demons & Wizards betreibt, distanziert. Nun, am 01. Februar gab Kürsch seinen Ausstieg bei Demons & Wizards bekannt. Auch bei Schaffers Stammband Iced Earth sind inzwischen zwei Mitglieder ausgestiegen. Das Label Century Media hat außerdem beide Bands aus ihrem Künstler*innen Katalog entfernt. Etwas spät, aber in seiner Konsequenz dann doch eine vernünftige Reaktion.
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CN Abuse, Sexuelle Gewalt
Am 1. Februar hat die Schauspielerin Evan Rachel Wood ein Statement veröffentlich, in dem sie Brian Warner (aka Marilyn Manson) als ihren Abuser benennt. In der Folge haben mehrere Frauen ebenfalls ihre Missbrauchserfahrungen durch Manson geteilt. Sein Label Loma Vista Recordings hat sich daraufhin von ihm getrennt. Dass es so lange gedauert hat, bis die Musikindustrie und die Medien angemessen auf Mansons Taten reagieren, ist exemplarisch für den Umgang mit sexueller Gewalt. Bereits 2018 hat Wood vor dem US-Repräsentantenhaus über ihre Missbrauchserfahrungen ausgesagt. Es war ein offenes Geheimnis, dass Manson der Täter war, von dem Wood sprach. 2009 hat Manson in einem Interview offen über seine Gewaltfantasien gegenüber Wood gesprochen. Und erst im vergangenen November hat der britische Metal-Hammer dieses bizarre Interview mit Manson veröffentlicht. Das alles hat sein Label und sämtliche große Medien nicht davon abgehalten, das letzte Album von Warner im September 2020 ausführlich zu besprechen, als wäre nichts gewesen. Es ist gut, dass Manson, dank des Muts von Evan Rachel Wood, endlich Konsequenzen erlebt für seine Taten, aber es kommt etliche Jahre zu spät. In der Folge kam es leider wieder zu den widerlichen Verteidigungen des Täters durch Fans, die bei Prominenten inzwischen vorhersehbar sind. Marianne Eloise hat hier eine wertvolle Erwiderungen der häufigsten Derailing-„Argumente“ aufgeschrieben.
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Boomer-Metal (oder Rock) – yes, unfortunately, it’s a thing! Unter dieses Label fallen Bands, die in den 1970er- oder 1980er-Jahren erfolgreich waren und heute vor allem durch eine extreme Boomer-Mentalität auffallen. (Prominentester Verteter ist Gene Simmons von Kiss, der bei jeder Gelegenheit erklärt, dass Rock und Heavy Music seit den 90er tot ist). Das jüngste Beispiel einer Band, die sich in den Kreis des Boomer-Metals begeben hat, sind Accept. In den 1980ern galten sie als die deutsche Antwort auf Judas Priest und Iron Maiden. Ich möchte ihren Einfluss im vergangenen Jahrhundert auch gar nicht schmälern, aber was sie auf ihrem neuen und 16. Album Too Mean To Die abliefern, ist einfach peinlich. Die Songs sind absolut generisch und die Riffs wurden offensichtlich alle zum 100. Mal recycelt, so dass sich von Track 1 an Langeweile einstellt. Aber es sind die Lyrics, die wirklich kaum zu ertragen sind. In No Ones Master heißt es beispielsweise: “The media's controlling the masses // Stoking our anger and fear // Further dividing the classes // Serving the richest careers” Das könnte so auch auf jeder Querdenker*innen-Demo laufen. Leider gibt es diese Schicht an Metal-Fans, die von ihren Darlings aus der *air quotes* guten alten Zeit *air quotes ende* alles kaufen werden, völlig egal, wie banal und peinlich das ist. Und so landete auch Too Mean To Die wieder auf Platz 2 der deutschen Albumcharts. Deswegen betrachte ich es als meine Pflicht, mich zumindest angemessen über diese Ressourcen-Verschwendung in Musikform lustig zu machen und euch Alternativen zu zeigen. Also wenn ihr auf Metal im 1980er Gewand steht, dann hier eine (unvollständige) Liste mit Bands, die das besser und weniger cringeworthy machen als Accept: Spirit Adrift, Burning Witches, Megaton Sword, Thundermother, Hällas, Spell, Dead Lord oder eben oben genannte Crystal Viper. Und wenn es unbedingt von Bands kommen muss, in den 1980er bereits aufgetreten sind, dann hört wenigstens die neuen Alben von Alcatraz oder Alice Cooper. Gerade Coopers neustes Album Detroit Stories (VÖ: 26.02.) ist wunderbar unterhaltsam und bringt ein authentisches 1970er-Jahre Feeling mit.
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Normalerweise ist Drone Metal (oder Drone Doom) so gar nicht meins. Das Genre zeichnet sich durch seine gewaltigen Soundwände und sein extrem langsames Tempo aus und ist zudem oft rein instrumental. Nichts davon checkt irgendwelche meiner Boxen, um ehrlich zu sein, aber was das US-amerikanische-australische Duo Divide and Dissolve auf ihrem dritten Album Gas Lit vorlegen, ist außergewöhnlich (VÖ: 29.01.). Die Musik, die zwischen zarten, zurückhaltenden Ambient-Sounds und harten Doom-Metal Wänden changiert, ist genauso spektakulär wie hypnotisch. Die Songs vermitteln eine Dringlichkeit, die auf beeindruckende Weise die politische Haltung der beiden Musikerinnen Takiaya Reed (USA, part-Cherokee) und Sylvie Nehill (Australien, part-Māori) spiegelt. Das Ziel ihrer Musik beschreiben Divide and Dissolve bspw. so: „[we] create music designed to decolonise, decentralise and destroy white supremacy.“ Wie zentral dabei auch ihre indigene Identität für sie ist, lässt sich in diesem tollen Interview von Christine Franz im Deutschlandfunk Kultur nachlesen. Auf Gas Lit fällt für mich das Politische mit dem Musikalischen untrennbar ineinander. Am deutlichsten wird das in Did you have something to do with it. Das Lied besteht zu einem großen Teil aus einem von Minori Sanchiz-Fung (aus Venezuela) gelesenem und geschriebenem Manifest, dass die Stärke und Verantwortung des Individuums betont („Don’t forget, this too, this too, is our time // Our spirit is not weaker, it is waiting on us to decide // What it is, that we will honour while we are alive”). Es legt für mich ein zusätzliches Gewicht auf die anderen, rein instrumentalen Songs und verstärkt die politische Dringlichkeit. Gas Lit ist ein herausragendes und intensives Album, dass mir ein ganzes Genre neu erschlossen hat.
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Griechenland fliegt in Sachen (Underground) Metal-Szene immer etwas unter dem Radar. Das neueste Beispiel einer fantastischen Band, die aus dem südeuropäischen Land kommt, ist Yoth Iria. Mit As The Wind Whispers (VÖ: 25.01.) hat das Duo ein Debüt vorgelegt, dass mich völlig umgehauen hat. Die Mischung aus einem Black Metal Grundgerüst, das mit epischen Melodiebögen á la Iron Maiden ausgefüllt wird, hat einen unfassbar hohen Widererkennungswert. Das ist auch nicht sonderlich überraschend, wenn man bedenkt das die Band aus Jim Mutilator und The Magus besteht, die beide früher bei Rotting Christ waren – Griechenlands wahrscheinlich populärster Metal-Export. Aber das soll die Qualität dieses Albums gar nicht relativieren. Songs wie The Great Hunter, oder The Red Crown Turns Black sind einfach grandios (und entfalten ihre melodische Seite vielleicht erst beim zweiten Hinhören) und werden definitiv in meiner Best of 2021 Playlist auftauchen.
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Korpiklaani sind der lebende Beweis, dass man mit Metal so ziemlich jede andere Musikrichtung kombinieren und damit Erfolg haben kann. Im Fall der Finnen ist es eine Art Humppa-Metal (Humppa ist die finnische Folklore-Version des Foxtrotts). Mitte der 2000er haben sie mit ihrer eingängigen und melodischen Spielart des Folk-Metals absoluten Kultstatus erlangt. Songs wie Beer Beer, Vodka oder Tequila (ist da ein Muster erkennbar?) durften auf keiner Party fehlen und haben Millionen Youtube-Klicks. In den vergangenen zehn Jahren habe ich die Band aber zunehmend aus den Augen verloren, weil sie für mich zu sehr in die quatschige Schlager-Metal Ecke abgedriftet sind, in der alles dem Mitgröhl-Faktor untergeordnet wurde. Umso erstaunter war ich, mit welcher Ernsthaftigkeit ihr neues Album Jylhä daherkommt (VÖ: 05.02.). Das Akkordeon und die Violine stehen immernoch im Vordergrund des Sounds, und auch diese Lagerfeuer-Atmosphäre, die Korpiklaani so sympathisch macht, ist nicht verschwunden. Aber Lieder wie Tuuleton oder Santo maa verbinden eine Melancholie und Traurigkeit mit den eingängigen Melodien. Das macht das ganze Album vielschichtiger, als alles was sie in den vergangenen zehn Jahren gemacht haben. Mit 50 Minuten ist die Platte zwar etwas lang (ein, zwei Lieder weniger hätten Wunder bewirkt), aber nichtsdestotrotz ist Jylhä eines der besten Alben, das die Finnen je gemacht haben und eine wunderschöne Überraschung für mich.
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Zum Abschluss ein paar weitere Alben die ich im Februar mochte:
Humanity‘s Last Breathe – Välde (Technical Deathcore, VÖ: 12.02.)
Abiotic – Ikogai (Technical Death Metal, VÖ: 12.02)
Harakiri for the Sky – Maere (Post Black Metal, VÖ: 19.02)
The Ruins of Beverast - The Thule Grimoires (Black Metal, VÖ: 05.02)
The Pretty Reckless – Death by Rock and Roll (Hard Rock, VÖ: 12.02)
Evergrey – Escape of the Phoenix (Melodic Metal, VÖ: 26.02.)
Iotunn – Access All Words (Progressive Metal, VÖ: 26.02.)