Nicht lang schnacken, Musik anpacken! Mit diesem sehr unkreativen Einstieg wünsche ich euch einen schönen zweiten Advent und viel Spaß mit den nächsten zehn Alben.
30 Smoulder – Violent Creed of Vengeance (14. April)
Dass Journalist*innen auch hervorragende Musiker*innen sein können, beweist die Kanadierin Sarah Ann. Ich kannte sie bisher hauptsächlich als Host des YouTube-Channels BangerTV und als Autorin beim Decibel Magazine. Aber spätestens seit diesem Jahr ist sie mir auch als Sängerin ihrer Epic-Doom-Metal-Band Smoulder ans Herz gewachsen. Der Sound auf ihrem zweiten Album „Violent Creed of Vengeance“ lebt von seinen Ohrwurmmelodien, einer gehörigen Portion Epik und Sarahs eigentümlicher, aber äußerst eingängiger Stimme (wobei man dazu sagen muss, dass etwas merkwürdige Vocals fester Bestandteil jeder Epic-Doom-Band sind). Und neben allen musikalischen Leckerbissen kommen auch Nerds auf ihre Kosten. Textlich befinden wir uns sowieso in verschiedenen Fantasywelten, aber obendrein überrascht Science-Fiction-/Fantasy-Autor Michael Moorcock mit einem Gastauftritt („Victim of Fate“). Ein Album, das die epischen Ursprünge des Heavy Metals auf beeindruckende Weise feiert.
29 Dødheimsgard – Black Medium Current (14. April)
Selbst wenn man die Musik von Dødheimsgard (DHG) nicht mag, muss man den Hut vor ihrer Konsequenz ziehen. Seit 1999 veröffentlichen die norwegischen Avantgarde-Black-Metal-Pioniere alle acht Jahre ein von der Kritik gefeiertes Album, um dann für fast ein Jahrzehnt wieder von der Bildfläche zu verschwinden. Aber wenn diese Wartezeit der Preis ist, den wir für grandiose Musik zahlen müssen, dann soll es so sein. Mit „Black Medium Current“ fügt die Band um Gründer und Mastermind Vicotnik ihrer beeindruckenden Diskografie ein weiteres Highlight hinzu. Die größte Stärke des Albums ist sein Fluss. Trotz der zahlreichen teilweise extrem unterschiedlichen Elemente, die im Sound enthalten sind (Black Metal, Progressive Rock, Elektronik und Dark Wave, Post Metal, Jazz und Klassik), fühlt sich das Resultat nie überfrachtet oder prätentiös an – im Gegenteil. „Black Medium Current“ ist ein traumhaft schönes Hörerlebnis, das mich jedes Mal aufs Neue mit in die Tiefe reißt. Einziger Nachteil? Das Album muss ganz gehört werden, weil es zerlegt in seine Einzelteile seine Wirkung verliert. Sicherlich ein gutes Zeichen, wenn das die größte Kritik an einer Platte ist.
28 LOVEBITES – Judgement Day (22. Februar)
Ist es nicht schön, dass ausgerechnet diese beiden Bands nebeneinander in meinem Ranking auftauchen und uns nochmal zeigen, wie krass vielfältig Metal? Wo DHG ihren Hörer*innen mental alles abverlangen, legen es die Japanerinnen von LOVEBITES einfach nur darauf an, dass wir eine maximal gute Zeit haben. Und dieser Vergleich zeigt auch, dass man die genauen Platzierungen in solchen Listen nicht allzu ernstnehmen sollte.
Wenn ihr in den vergangenen Jahren meinen Newsletter auch nur entfernt verfolgt habt, kennt ihr LOVEBITES bereits. Hier gibt es High Energy Power Metal, der sich fleißig bei den Größen der NWOBHM bedient. Dass das Quintett seine 2021 verkündete Bandpause so schnell beendet hat, war eine der besten Nachrichten des Jahres. „Judgement Day“ ist ein weiterer toller Release von einer meiner Lieblings-Power-Metal-Bands der Gegenwart.
27 Ursular – Preta (21. Juli)
Wenn ich eine Band nennen müsste, die 2023 sträflich ignoriert wurde, würde ich ohne mit der Wimper zu zucken „Ursular!“ antworten. Dass nicht mehr Menschen über den beeindruckenden Psychedelic Doom der Berliner*innen sprechen, ist ein Verbrecher. Ich selbst bin nur wegen des Titels ihres Debüts auf die Band gekommen: „Preta“. So heißt nämlich die hauseigene Katze in meiner Lieblingsbuchhandlung in Madrid (Isabella Caldart hat hier einen kurzen Text über sie geschrieben). Ohne diesen Zufall hätte ich mir das Album wohl nie angehört. Und das wäre eine echte Schande gewesen. Angefangen von der grandiosen Stimme von Babett Richter über die intelligenten Songstrukturen bis hin zum Saxofon (eh mein heimliches Lieblingsinstrument im Metal!), hat die Band einen sehr eigenen Sound. Hier und da hätte es den einzelnen Songs gutgetan, etwas fokussierter zu sein, wobei diese ausufernden Arrangements auch ein Stückweit zum Genre gehören. Für Fans von Bands wie Lucifer oder The Devil’s Blood wird es in Zukunft kein Vorbeikommen mehr an Ursular geben.
26 Urne – A Feast on Sorrow (11. August)
Wenn Joe Duplantier, Sänger von Gojira, einer meiner All-Time-Lieblingsbands, eine Gruppe so sehr hyped, dass er ihr sogar sein Studio in Brooklyn zur Verfügung stellt, dann gehört ihr meine Aufmerksamkeit. Und was soll ich sagen? Merci, Monsieur Duplantier! Denn das britische Trio Urne ist eine echte Naturgewalt, die sich fast jeder Kategorisierung entzieht. Auf ihrem zweiten Album „A Feast on Sorrow“ mixen sie progressiven Sludge Metal mit einigen Death-Metal-Elementen, verleihen ihrem Sound dabei aber die rohe Energie des Hardcore Punks. (Das hat dazu geführt, dass einige Rezensent*innen sie als Metalcore-Band beschrieben haben, was gelinde gesagt eine bizarre Kategorisierung ist.) Zwar schafft es das Album nicht, mich über seine gesamte fünfzig Minuten Spielzeit zu fesseln, aber in seinen besten Momenten ist es eine Offenbarung. „A Stumble of Words“ beispielsweise beginnt mit einem ruhigen, verträumten Gitarrenriff, ehe sich der Song von einem drückenden Rhythmus aufgebaut schließlich wie die Welle, die sich auf dem Albumcover findet, über die Hörenden hereinbricht – absolut kathartisch. Hier und da hört man Genregrößen wie Gojira oder Mastodon zwar raus, aber insgesamt hat die Band einen erstaunlich eigenständigen Sound. Genau deswegen traue ich es Urne zu, mit dem nächsten Album den ganz großen Wurf zu landen. Das Potenzial dafür ist auf jedem Fall vorhanden!
25 Marthe – Furhter in Evil (20. Oktober)
Italien scheint ein extrem gutes Pflaster für Underground-Doom-Metal-Projekte zu sein. Messa haben sich vergangenes Jahr mit ihrem sensationellen Album „Close“ den Thron als mein Liebling des Jahres gesichert. Dieses Jahr schickt sich Marthe an, in ihre Fußstapfen zu treten. „Further in Evil“ ist das Debütalbum das Soloprojekt von Sängerin und Multi-Instrumentalistin Marzia und lebt, ähnlich wie Messa, von seiner dichten Atmosphäre. Mal wütend, mal zweifelnd, mal resigniert nimmt Marthe die Hörenden mit auf eine emotionale Reise. Fängt das Album noch recht klassisch mit schweren Riffs und den bedrückenden Growls von Marzia an, finden sich weiter hinten auch hoffnungsvollere Passagen und Klargesang. Verstärkt wird diese Dichte durch die Lyrics, die dezidiert feministisch und antifaschistisch sind, und extrem intelligent das persönliche Erleben mit systemischen Ungerechtigkeiten verbinden.
Blinded, Ghosted, Deceived // By the death on two legs of your shadow // [You] cursed my footsteps // I tried to empower myself but I failed (Marthe – Victimized)
Bei keiner anderen Band, die ich in diesem Jahr kennengelernt habe, bin ich so gespannt, wie Karriere verlaufen wird. Hier ist noch nicht alles perfekt, gerade was das Songwriting und die Produktion angeht, die stellenweise sehr roh ist, aber es ist ein vielversprechendes Debüt.
24 Baroness – Stone (15. September)
Baroness gehören zu den erfolgreichsten Metalbands dieses Jahrtausend. Meine persönliche Beziehung zur Gruppe um Sänger und Gitarrist John Baizley war allerdings immer ein wenig Hit or Miss. Generell mag ich den progressiven Sludge Metal des Quartetts super gerne, aber auf einigen Alben habe ich den Eindruck, dass die Band sich ihrer selbst und ihrer Qualität etwas zu gewiss ist. So fand ich das 2019er Dopppelalbum „Gold & Grey“ teilweise sehr zäh und sinnlos mäandernd. Umso begeisterter bin ich nun von „Stone“, dem sechsten Album der Band. Dabei hat sich an der prinzipiellen Erfolgsformel gar nichts geändert: progressiver Sludge, der stark vom Southern Rock beeinflusst ist. Aber zum einen ist die Hit-Dichte auf dem Album wieder höher („Last Word“, „Beneath the Rose“) und zum anderen wirkt die Platte mit 45 Minuten Spielzeit sowohl fokussierter als auch mehr aus einem Guss als seine Vorgängerin. Das hat viel damit zu tun, dass Gitarristin Gina Gleason sowohl gesanglich als auch instrumental mehr Verantwortung bekommt. Bleibt am Ende nur eine Frage: Bisher waren alle Baroness-Alben nach Farben benannt – ist „Stone“ im englischsprachigen Raum eine Farbe? Sagt es mir!
23 Xoth – Exogalatic (3. November)
Wer mich kennt, weiß, wie sehr ich auf Genre-Kategorisierungen stehe. Ich bleibe auch felsenfest bei meiner Meinung, dass sie in den meisten Fällen hilfreich und sinnvoll sind. Bei einigen Bands muss aber sogar ich eingestehen, dass die Zuschreibung zu einem Genre absolut keinen Mehrwert bietet. Xoth aus Seattle sind dafür das perfekte Beispiel. Ist das Death, Thrash, Black oder Heavy Metal? All of the above! Manchmal klingt das Quartett auf seinem dritten Album „Exogalactic“ wie Alestorm auf Speed, manchmal als hätten Judas Priest oder Iron Maiden sich an einem Technical-Death-Metal-Album versucht. Nur eine Sache ist hier garantiert: Alles ist over the top! Bis hin zum thematischen Konzept. Denn selbst die Lovecraft-Motive, an denen sich Xoth bedient, und die eine gern gesehene Inspiration im Metal sind, werden nicht so ganz ernst genommen. Am Ende müsst ihr aber nur eins wissen. „Exogalatic“ sind vierzig Minuten Spaß und das unterhaltsamste Extreme-Metal-Album des Jahres.
22 Uada – Crepuscule Natura (8. September)
Ich möchte euch Uada mit meinem Lieblingszitat über die Band vorstellen.
„[Uada] is what 99% of the world would call intolerably heavy, but what a black metal fan would call very melodic.” (von El Cuervo – Angry Metal Guy)
Seit ihrem Debütalbum „Devoid of Light” (2016) hat sich das US-amerikanische Quartett eine ansehnliche Fangemeide aufgebaut. Und das viele Kritiker*innen ihnen prognostizieren, sie könnten, das nächste ganz große Ding im Black Metal sein, ist aus demselben Grund, wieso echte Black-Metal-Puristen bei ihnen mit der Nase rümpfen: Sie sind extrem melodisch. Natürlich nur in einem Black-Metal-Kontext, denn es ist nicht so, dass sich auf ihrem vierten Album „Crepuscule Natura“ Klargesang, Mitgröhl-Refrains oder unverzerrte Gitarren finden würden. Aber sie geben jedem Song eine klar erkennbare Melodie, die das schnelle Tremolo-Riffing und die Schwere des Black Metals konterkariert. Ich persönlich kannte die Band schon länger, aber habe bis zu diesem Jahr nie so recht einen Zugang zu ihr gefunden. Dass sich das jetzt geändert hat, liegt wahrscheinlich weniger daran, dass die Band ihren Sound verändert hätte, sondern mehr an meiner eigenen musikalischen Entwicklung. Wer es also einmal versuchen möchte mit dem bösen, harten Black Metal, der sollte Uada eine Chance geben.
21 Sermon – Of Golden Verse (31. März)
Manche Alben funktionieren insbesondere durch die Atmosphäre, die sie beim Hören verbreitet. Bei Sermon fängt das schon mit der Inszenierung an. Mastermind „Him“ tritt nur in Maske auf, hält seine Identität geheim und begibt sich somit in eine gute alte Metal-Tradition. „Of Golden Verse“ ist nun das zweite Album der Band und für mich ein großes Versprechen an die Zukunft. Vom hypnotischen Intro „The Great Marsh“ wird die Marschrichtung klar: Hier stehen packende Melodien und mysteriöse Vibes im Mittelpunkt. Über weite Teile funktioniert Sermons fast schon unheimlicher Progressive Metal auch extrem gut. Ich habe in den vergangenen Monaten allerdings gemerkt, dass den Songs ein wenig der Langzeit-Spaßfaktor fehlt. Inzwischen hat sich das Album für mich etwas entzaubert. Das ändert aber nichts daran, dass ich „Him“ für einen der besten Songwriter des Genres halte und mir sicher bin, dass Sermon in der Lage ist, eine Platte zu machen, die mich restlos umhaut. Auf dem Weg dahin ist „Of Golden Verse“ ein perfekter Zwischenschritt.