Suprise! Heute gibt es doch nicht den Rest meiner Liste der besten Metalalben des Jahres, sorry. Beim Schreiben habe ich gemerkt, dass ich ein bisschen mehr zu den Platten zu sagen habe, die mir dieses Jahr ans Herz gewachsen sind. Deswegen teile ich meine Top 6 in zwei mundgerechte Häppchen auf. Heute gibt es die Plätze sechs bis vier und an Heiligabend lege ich euch die drei besten Alben des Jahres unter den Baum – na, wie klingt das? Als kleine Entschädigung für die längere Wartezeit nimmt euch mein Freund Lukas in dieser Ausgabe dafür mit auf eine Reise in die Berge und stellt dabei sein Album des Jahres vor.
Platz 6
Dool – The Shape Of Fluidity (VÖ: 19.04. Prophecy Productions)
For I am the father's daughter / And my mother's son / I'm bound to the ocean's current / But I'm strong as god – Dool „Hermagorgon“
Ich werde erst aufhören, das Loblied auf Dools Album „Summerland“ (2021) zu singen, wenn es auch die letzte Person auf dieser Welt gehört hat, weil es eine der besten Platten aller Zeiten ist. Ich habe in diesem Newsletter schon mehr als einmal erwähnt, wie wichtig das Album während der Pandemie für mich persönlich war.
Im Leben hätte ich nicht damit gerechnet, dass die Niederländer*innen es schaffen könnten, einen Nachfolger zu „Summerland“ zu schreiben, der nicht komplett im Schatten dieses Meisterwerks verschwindet. And yet, here we are. „The Shape Of Fluidity“ setzt musikalisch wieder auf die gleiche Formel wie sein Vorgänger: Melancholischer Doom kombiniert mit Progressive-Rock-Elementen, die eine dichte und schwere Atmosphäre erzeugen. Was das Album zu einem Highlight macht, ist aber nicht ausschließlich seine musikalische Qualität, sondern das dahinterstehende Konzept.
Frontperson Raven van Dorst ist intersexuell. Als Kind wurden bei dey die männlichen Geschlechtsmerkmale entfernt und dey in eine Rolle als Mädchen gedrängt. Diese Erfahrungen rund um die eigene Geschlechtsidentität verarbeitet van Dorst, dey heute offen nicht-binär lebt, auf „The Shape Of Fluidity“. Der Kampf mit den eigenen Dämonen, aber auch die Erwartungen der Gesellschaft an das Performen einer bestimmten Geschlechterrolle finden sich nicht nur in den Lyrics des Albums, sondern auch in van Dorsts Gesang. Insbesondere in der Ballade „House Of A Thousand Dreams” spielt dey mit Geschlechterklischees und wechselt zwischen weiblich und männlich konnotierten Gesangsstilen.
Dool sind unerreicht in dem, was sie tun und gehören zu den großen Bands ihrer Generation. Wenn ihr nicht schon längst auf dem Hypetrain aufgesprungen seid, dann wird es höchste Zeit.
Platz 5
Dödsrit – Nocturnal Will (VÖ: 22.03. Wolves of Hades)
Forever buried above the mortal ground / When the light escapes my eyes and drowns / A figure within the eternal abyss / I am the nocturnal fire burning within – Dödsrit „Nochturnal Fire“
Es ist lange her, dass mich ein Black-Metal-Album so gepackt hat wie „Nochturnal Will“ von Dödsrit. Und halt! Bevor ihr jetzt denkt, uargh, mit Black Metal kann ich so gar nichts anfangen, gebt mir einen Augenblick Zeit, euch zu überzeugen. Das schwedisch-niederländische Quartett gehört nämlich zu denjenigen Black-Metal-Bands, die ich sofort Einsteiger*innen in das Genre empfehlen würde. Natürlich spielen die klassischen Black-Metal-Trademarks im Sound eine entscheidende Rolle – Blast Beats, eine eisige Atmosphäre und die typischen hohe Screams. Aber das ist eben nur die halbe Wahrheit, denn genauso wie auf Brutalität ist das Album auf Melodien aufgebaut. Die Gitarren von Christoffer Öster und Georgios Maxouris sind das Fundament von „Nocturnal Will“ und schlechtweg atemberaubend.
Allein der Auftaktriff von „Irjala“, dem Opener des Albums, ist zum Niederknien und lässt einige New-Wave-Of-Britsh-Heavy-Metal-Bands alt aussehen. Sein Höhepunkt findet die melodische Seite von Dödsrits Sound in „As Death Comes Reaping“. Das zehnminütige Epos beginnt mit schweren, stampfenden Doom-Riffs und steigert sich in ein Double-Bass-Feuerwerk, ehe nach der Hälfte super eingängige Twin-Gitarren-Harmonien einsetzen. Das große Finale des Songs beginnt ab Minuten sieben, wenn der Black Metal Akustikgitarren Platz macht und das emotionale Finale vorbereitet. Dieser Song alleine hätte genügt, damit „Nocturnal Will“ eines meiner liebsten Alben des Jahres ist. Und als wäre das alles nicht genug, sprenkelt die Band hier und da ein paar Punk-Elemente mit ein und geben dem Album dadurch noch eine weitere Facette (man höre nur das erste Drittel von „Nocturnal Fire“).
Dödsrit beweisen, dass man nicht immer die ganz großen Konzepte braucht, um Emotionen und außergewöhnliche Stimmungen zu transportieren. „Nocturnal Will“ atmet genauso den Spirit der 1990er in Norwegen wie den des modernen Melodic Black Metals und verbindet das Beste aus beiden Welten zu einem außergewöhnlichen Ganzen.
Platz 4
Thou – Umbilical (VÖ: 31.05 Sacred Bones Records)
I'm malcontent / Unsatisfied with these concessions / It's one letdown after another / Misunderstandings, endless struggle – Thou „Panic Stricken, I Flee“
Ich könnte euch jetzt erzählen, dass Thou auf ihrem neuen Album „Umbilical“ dem Drone-Doom-Sound der letzten Alben ein wenig den Rücken zugekehrt haben, dass sie sich wieder vermehrt ihren Sludge-Metal-Wurzeln zuwenden und sich so stark wie nie zu vor auf den Grunge der frühen 1990ern beziehen. Aber das würde an dem Punkt vorbeigehen, wieso diese Platte mich so in ihren Bann zieht.
Thou stammen aus Baton Rouge, Louisiana. Louisiana, Heimat eines der intensivsten Metal-Subgenres, die es gibt: dem Sludge. Bands wie Eyehategod, Crowbar und Down haben in den 1990ern den Sludge geprägt wie die Szene keiner zweiten Stadt. Tiefe und (selbst für Metal-Verhältnisse) extrem verzerrte Gitarren, eine Piss-and-Vinegar-Attitüde und langsame, schwere Rhythmen zeichnen den Sound dieser Bands aus. Und Thou ist ganz zweifellos das geistige Kind dieser Szene. Aber wie das mit Kindern häufig so ist, rebellieren sie gegen ihre Eltern. In den fast 20 Jahren seit ihrer Gründung, haben sie sich von dem manchmal etwas eindimensionalen NOLA-Sludge emanzipiert und sind zu einer der speziellsten Bands der gesamten Metalszene geworden.
Thou ist ein interessanter Hybrid. Sie vereinen den Charme eine DIY-Metalband, bezeichnen sich selbst als linkes Kollektiv, haben gleichzeitig aber die mediale Resonanz als Kritikerliebling. So wurde „Umbilical“ bspw. im Guardian euphorisch besprochen. Gleichzeitig ist das Album das erste richtige seit sechs Jahren. In bester Untergrund-Manier hat die Band seitdem vor allem Kollaborationen veröffentlicht wie das fantastische „May Your Chambers Be Full“ mit der Sängerin Emma Ruth Randle oder das Nirvana-Cover-Album „Blessing Of The Highest Order“ (2020). Ich erzähle diese kurze Bandgeschichte, weil sich das alles auch in „Umbilical“ wiederfindet. Die Songs des Albums sind kürzer, direkter und aggressiver als zuletzt, verlieren sich weniger in dem mäandernden Drone Doom ihres großen Durchbruch-Albums „Heathen“ (2014).
„The Promise“ und „Panic Stricken, I Flee“ sind für Thou-Verhältnisse extrem eingängig, tragen die Grunge- und Punk-Einflüsse stolz vor sich her. „House Of Ideas“ arbeitet fünf Minuten auf einen gespenstischen, fesselnden Post-Metal-Riff hin und in „Unbidden Guest“ spuckt uns Sänger Bryan Funck seine ätzenden Shouts mit aller Wut entgegen. Die Band beschreibt das Album als eines für „die Radikalen, die Bekloppten, die Militanten, die Fanatiker, die Schwächlinge, die Simulanten“. Und genau das macht es so besonders – ohne explizit politisch zu sein, ist es ein Album, das die Stimmung einer Gesellschaft, die sich immer weiter fragmentiert und radikalisiert, perfekt einfängt.
Lukas Album des Jahres
Als ich die Gelegenheit bekam meine unqualifizierte Meinung in diesem Newsletter kundzutun, habe ich mich schwergetan, überhaupt ein Album des Jahres zu wählen – schlussendlich spricht einiges für „die Berge“. So spät wie mein Beitrag in der Reihenfolge der anderen erscheint, so spät bin ich auch mit allem anderen. Erst vor wenigen Jahren begann ich, den Weg in den Black Metal anzutreten. Völlig verpasst habe ich dabei den Hype, den es, wie ich mir habe sagen lassen, um Paysage D’Hiver gab. Um ehrlich zu sein, war mir die Band nicht mal ein Begriff, bis ich „Die Berge“ als mein persönliches Debut erleben durfte und: Es hätte passender nicht sein können.
Kurz nach dem Release und noch frei von jeglichen Erwartungen habe ich das Album während einer mehrstündigen Autofahrt gehört. Ich bin kein besonderer Freund des Novembers, alles wirkt grau und kalt und nass. Umso überraschter war ich, während düstere Klänge aus den Boxen schallten, dass ich mich geärgert habe, als plötzlich die Sonne die Wolkendecke durchbrach. Die düstere Atmosphäre des Albums hatte mich derart im Griff, dass ich mir plötzlich die ungastliche Umgebung eines kalten Novembertages zurückwünschte.
Atmosphäre ist nicht nur das Stichwort für das Album, sondern für das komplette Projekt. Der Schweizer Tobias „Wintherr“ Möckl ist einziges Mitglied der Band und veröffentlicht seit 1997 Extreme Metal, dem man problemlos noch „Ambient“ oder „Atmospheric“ als Attribut zuschreiben könnte. Eine präzisere Klassifizierung überlasse ich Menschen, die sich selbst eher als „trve“ bezeichnen würden. Apropos „trve“; als ich angefangen habe, mich intensiver mit Möckls Projekt auseinanderzusetzen, konnte ich feststellen, dass „Die Berge“ Ergebnis eines länger anhaltenden Trends ist, der nicht allen gefällt
Das Album wurde, was die Produktionsqualität angeht, deutlich sauberer aufgenommen als seine Vorgänger. „Trve“ Black Metal Fans würden hier kritisieren (und das tun sie auf einschlägigen Plattformen auch), dass der Sound nicht mehr Lo-Fi genug ist. Als jemand, der sich bis dato nicht mit Paysage D’Hiver auseinandergesetzt hat, ist der Klang allerdings gerade Hi-Fi genug, um zugänglich zu werden; ein weiterer Punkt, dieses Album lobend hervorzuheben. Denn Paysage d’Hiver ist ein Kind des Metal-Untergrunds. Zwischen 1998 und 2013 hat Möckl insgesamt zehn Demos aufgenommen (wobei insbesondere das 1999er „Paysage d’Hiver“, das ausschließlich auf Kassette veröffentlicht wurde, heute Kultstatus genießt). Erst seit 2020 öffnet sich die Band mehr und mehr einem breiteren Publikum, was sich deutlich in der Zugänglichkeit des Albums zeigt. Um bei der Berg-Metapher zu bleiben – die Platte funktioniert für mich wie ein Bergseil an einem Klettersteig. Es ist eine perfekte Hilfe um den felsigen Weg in die Höhen des Black Metals zu erleichtern und den Zugang zu weiteren, sperrigeren Alben dieser Machart zu öffnen.
Mit guten 100 Minuten, verteilt auf 7 Songs, ist das Album nichts für zwischendurch. Es erlaubt einem zwar, den Klang im Hintergrund zu haben und sich von der geschaffenen Atmosphäre einnehmen zu lassen, aber dafür braucht es unbedingt seinen Raum. Sollte sich nun doch jemand nur einen kurzen Einblick verschaffen wollen, würde ich die Songs drei bis fünf empfehlen, welche passenderweise als „Transzendenz 1-3“ eine Einheit bilden und einen guten Einblick gewähren, was das Album im Gesamten zu bieten hat; nämlich eine düstere Reise durch eine karge Berglandschaft, gleichzeitig bedrohlich wie gewaltig.
To whom it may concern: Bei meiner Recherche konnte ich keine Verbindungen der Band zu NSBM-Szene finden. (Anmerkung Robs: Ein leider absolut notwendiger und berechtigter Hinweis bei Black-Metal-Projekten aus dem Untergrund.)