Endlich ist es so weit: Nicht nur die Adventszeit beginnt heute, sondern auch mein Countdown der besten Metalalben des Jahres 2024. Damit ihr auch wirklich gar kein Highlight verpasst, gibt es zusätzlich zu meinen Top 24 auch immer mal wieder Honorable Mentions von thematisch passenden Bands.
Dieses Jahr habe ich mir zudem etwas Besonderes einfallen lassen. Metal ist für mich gleichbedeutend mit Freundschaft. 2009 habe ich auf dem Wacken Open Air drei Menschen kennengelernt, die bis heute zu meinen engsten Freunden zählen: Chrissi, Niko und Lukas. Mit Niko und Lukas habe ich zusammengewohnt, auf Chrissis Hochzeit eine Rede gehalten und Nikos Sohn hat am gleichen Tag wie ich Geburtstag. Ohne die Musik, die ich liebe, würde es diese besondere Freundschaft nicht geben. Deswegen wird bei den ersten drei Ausgaben jeweils einer der drei sein ganz persönliches Lieblingsalbum des Jahres vorstellen. Wenn euch meine Meinung alleine also nicht reicht, bekommt ihr noch weitere Tipps von absoluten Experten. Viel Spaß!
Platz 24
Striker – Ultrapower (VÖ: 02.02. Avalon)
Manchmal braucht es gar nicht viel, um mich glücklich zu machen: die besten Freund*innen an einem Tisch, ein paar Bier und Strikers neues Album „Ultrapower“. Die Kanadier haben eine der unterhaltsamsten Platten des Jahres geschrieben und liefern mit ihrem 1980er-Jahre Retro Metal und Hard Rock den perfekten Soundtrack für launige Barabende. Hier geben sich Journey, Def Leppard und W.A.S.P als Inspirationen die Klinke in die Hand. Allein für das grandiose Saxofon in „Give It All“ hat „Ultrapower“ ein Platz auf dieser Liste verdient. Das ist alles nicht sonderlich innovativ oder technisch anspruchsvoll, aber das muss es auch gar nicht sein. Platten dieser Art haben nur ein Bewertungskriterien: Wie viel Refrains will man schon beim ersten Mal hören mitgrölen können? Und was soll ich sagen, in diesem Fall sind das fast alle. Allen, die während der dunklen Jahreszeit etwas Spaß und Energie brauchen, sei Striker wärmstens ans Herz gelegt.
Honorable Mention:
Tonnerre – La Nuit Savage (franko-kanadischer Old School Heavy Metal)
Unleash The Archers – Phantoma (Konzeptalbum der kanadischen Power-Metal-Band über eine AI, die ein eigenes Bewusstsein erlangt)
Platz 23
Suldusk – Anthesis (VÖ: 01.03. Napalm Records)
(Neo-) Folk und Black Metal sind für mich einfach eine perfekte Kombination. Allerdings gibt es, seit die Dänin Myrkur nicht mehr durch tolle Musik, sondern problematische politische Haltungen auffällt, wenige Musiker*innen, die den Grenzgang zwischen Licht und Schatten tatsächlich meistern. Mit ihrem zweiten Album „Anthesis“ zeigt Suldusk, dass sie Myrkurs früheren Platz an der Spitze diesen speziellen Subgenres inzwischen hochverdient innehat (okay, sie teilt ihn sich mit der Norwegerin Sylvaine). Emily Highfield, Mastermind hinter Suldusk, gelingt es spielerisch, eine wunderschöne Atmosphäre zu kreieren. Dabei ist es völlig egal, ob die Black-Metal-Elemente die Songs dominieren („Verdalet“, „Anthesis“), oder es zurückgenommene, intime Neo-Folk-Nummern sind („Mytheical Creatures“, „Crowns of Esper“), Highfield gibt den Liedern genau das, was sie brauchen. Dass das so gut funktioniert, liegt nicht zuletzt an der Stimme der Australierin, die im Klargesang wunderschön und zart ist und in den Screams herrlich wütend und dreckig klingt. „Anthesis“ würde auch perfekt als Soundtrack für ein Fantasy-Epos in Mittelerde funktionieren. Ich sehe es förmlich vor mir, wie eine Stadt der Elben zum Intro „Astraeus“ aus dem Nebel auftaucht.
Honorable Mention:
Hulder – Verses in Oath (One-Woman-Band aus Washington State, die – natürlich – Black Metal macht, der auf der melodischen Seite ist.)
Platz 22
Nails – Every Burning Bridge (VÖ: 30. August Nuclear Blast)
Es gibt jedes Jahr ein Grindcore-Album, dass es mir richtig angetan hat. Grindcore, dieses Genre mit superkurzen Songs, die direkt in die Vollen gehen, aggressiv und schnell sind und meistens nicht einmal die zwei Minuten-Marke brechen. Häufig führt diese Formel dazu, dass die Musik einfach nur stressig und repetitiv ist, aber wenn eine Band ihr Handwerk beherrscht, dann können Grindcore-Alben eine kathartische Wirkung haben – so wie „Every Burning Bridge“, dem vierten Album der Amis Nails. Zwar gibt es schnelle Riffs und Double-Blast-Gewitter zur Genüge, zwischendurch aber beweist die Band ihr Talent für groovy Rhythmen („Punishment Map“, „Give Me The Painkiller“) und Melodien („No More Rivers To Cross“). Diese Elemente wirken wie kurze Augenblicke zum Luftholen, ehe Sänger Todd Jones uns wieder seine dreckigen Shouts in die Ohren keift. Es sind diese kleinen Momente der Abwechslung, durch die das Album seine ganze niederschmetternde Wirkung entfalten kann. Dass sich die Lyrics von Jones dabei wie eine Abrechnung mit der Menschheit anhören und er seinem Nihilismus freien Lauf lässt, ist nur folgerichtig. Und in bester Grindcore-Manier ist der Spuk nach nicht einmal 18 Minuten auch schon wieder vorbei und man kann sich von dieser musikalischen Prügeleinlage erholen.
Honorable Mention:
Tombstoner – Rot Stink Rip (Death Metal meets Hardcore aus Staten Island)
Platz 21
Job For A Cowboy – Moon Healer (VÖ: 23. Februar Metal Blade Records)
Über Job For A Cowboys Vergangenheit als größte Extreme-Metal-Band der MySpace-Ära habe ich schon ausführlich geschrieben. Wir können uns also ganz auf die Musik konzentrieren, und wie sich das Quartett aus Arizona da entwickelt hat, ist schon außergewöhnlich. Vom stumpfen Deathcore ihrer MySpace-Tage ist nichts mehr übrig, stattdessen regiert auf „Moon Healer“ technisch anspruchsvoller Death Metal. „Into the Chrystalline Crypts“ oder „The Agony Seeping Storm“ stechen auch in einem Jahr voller grandioser Death-Metal-Veröffentlichungen als Songs heraus. Job For A Cowboy sind immer dann am besten, wenn sie sich voll und ganz auf ihre progressive Seite einlassen, und ich bin wirklich gespannt, ob sich die Band in Zukunft noch weiter in diese Richtung treiben lässt. Ich bin auf jeden Fall am Start, sollten die Amis sich dafür entscheiden, komplett in die Prog-Welt einzutauchen. Was auch immer die Zukunft musikalisch bereithalten mag im Hause Job For A Cowboy, hoffe ich, dass wir nicht wieder zehn Jahre auf ein neues Album warten müssen.
Honorable Mention:
Cosmic Putrefication – Emerald Fires Atop the Farewell Mountains (Spacy Technical Death Metal aus Italien)
Platz 20
Lord Dying – Clandestine Transcendence (VÖ: 19. Januar MNRK Heavy)
Ich verstehe nicht, wieso diese Band so wenig Aufmerksamkeit bekommt. Lord Dyings Progressive Sludge Metal hat in meinen Augen alles, was es braucht, um zum Darling des Metal-Undergrounds zu werden. Den einzigen Vorwurf, den man der Band könnte, ist, dass ihr Sound extrem sperrig ist und nicht unbedingt direkt zugänglich. Man muss etwas Zeit mit „Clandestine Transcendence“ verbringen, um alle Facetten des Albums wirklich zu genießen. Aber es ist jede Mühe wert. Die rhythmische Bridge in „I AM NOTHING I AM EVERYTHING”, die zweistimmigen Vocals von Sänger Erik Olson und Bassistin Alyssa Morcere in „The Universe Is Weeping“, oder der Übergang vom instrumentalen Intro „A Brief Return to Physical Form“ in den Klargesang am Anfang von „A Bond Broken by Death“ – die Platte steckt voller Highlights. Spätestens mit diesem Album zeigt das Quartett aus Portland, dass sie mehr als eine billige Mastodon-Kopie sind (obwohl jeder Mastodon-Fan definitiv auf seine Kosten kommt).
Honorable Mention:
Exist – Hijacking The Zeitgeist (Super eingängiger Progressive Metal aus Baltimore, hört euch unbedingt „Thief of Joy“ an!)
Platz 19
Selbst – Despondency Chord Progression (VÖ: 19. April, Debemur Morti)
Müsste ich „Despondency Chord Progression“ in nur einem Wort zusammenfassen, wäre es: niederschmetternd. Auf seinem dritten Album hat Selbst, hinter dem ein Musiker namens N steckt, seinen Sound endgültig gefunden: düsterer, bedrückender Black Metal. Die Wirkung erzielt der Venezolaner, der inzwischen in Chile lebt, aber nicht durch bloße Härte, sondern durch sein extrem gutes Gespür für Atmosphäre. Immer wenn ein Song droht, eintönig zu werden, überrascht er mich. Sei es mit klarem Gesang („Chant of Self Confrontation“), oder einem Tempowechsel von donnernden Double-Base-Salven hin zu kalten Doom-Sounds („When True Loneliness is Experienced“) „Despondency Chord Progression“ ist unvorhersehbar. Am deutlichsten wird das in „Between Seclusion and Obsession“. Das Lied ist das vorletzte auf dem Album und beginnt mit sanften Latin-Gitarren und emotionalem Klargesang, ehe es sich zum Ende immer weiter steigert und schließlich in das große Finale des Albums übergeht („The Stench of a Dead Spirit“). Eine Platte, die musikalisch herausragend und emotional fordernd ist.
Honorable Mention:
Panzerfaust – The Suns of Perdition – Chapter IV: To Shadow Zion (Nihilistischer Black Metal aus Kanada)
Chrissis Album des Jahres
Kanonenfieber – Die Urkatastrophe (VÖ: 20.09.2024, Century Media)
Als Daniel mich fragte, ob ich Lust hätte, mich an seinem Jahresrückblick zu beteili-gen, habe ich nicht lange gezögert und zugesagt. Im nächsten Augenblick habe ich überlegt, welche neuen Alben ich 2024 denn wirklich intensiv gehört habe. Und dann traf mich die Ernüchterung: Es waren gar nicht so viele. Immerhin hat das meine Wahl erleichtert.
Wie fängt man mit einem Review für ein Melodic Death/Black Metal-Album an, dessen Schöpfer in vorherigen Werken noch mehr dem klassischen Black Metal zuzuordnen war? So habe ich es mir zumindest von Lukas sagen lassen, der hier ebenfalls einen Gastbeitrag beisteuern wird. Und so sollte ich das Feld (direkt mal ein Kriegswortspiel) auch eigentlich ihm überlassen, ist er doch immerhin der Black-Metal-Fan in unserem Metallischen Quartett, wie wir uns liebevoll nennen. Meine Ausflüge oder eher Berührungspunkte mit Black Metal beliefen sich bis jetzt eher auf Finntroll und Zeal & Ardor. Aber Lukas hat sich für ein anderes Album entschieden, weswegen mir die Ehre zuteilwird etwas zu Kanonenfiebers „Die Urkatastrophe“ zu schreiben.
Also, gehen wir rein! Krieg in all seiner dunkelsten Grausamkeit zu verarbeiten und zu vertonen kann zu einer Gratwanderung werden, da die Gefahr besteht das Ganze zu glorifizieren. Noise, wie sich der anonyme kreative Kopf hinter dem Ein-Mann-Projekt aus Bayern nennt, gelingt es jedoch die Sinnlosigkeit, die Grausamkeit und die pure Vernichtung von Menschenleben herauszuarbeiten und in den Vordergrund zu stellen. Und hierbei achtet er drauf, so nah wie möglich an der Realität zu bleiben. Dazu bedient sich Noise an überlieferten Berichten von Kriegsberichterstattern, Feldpost von verstorbenen oder überlebenden Soldaten und weiteren historischen Quellen. Alles im Sinne der geschichtlichen Korrektheit bezüglich des Ersten Weltkrieges.
Garniert wird das Ganze mit original Tonaufnahmen von Reden sowie Trillerpfeifen („Sturmtrupp“) oder Pferdewiehern („Gott mit der Kavallerie“). Und wenn man sich die Zeit nimmt, und das sollte man, das Gesamtwerk von vorn bis hinten auf sich wirken zu lassen, so schafft es Die Urkatastrophe all die Grausamkeit des Krieges zu vermitteln.
Das Intro „Großmachtfantasie” (Rede vom damaligen Reichstagspräsidenten Kaempf) holt einen direkt ab und bereitet perfekt auf die nächsten knapp 50 Minuten vor. Der erste echte Track „Menschenmühle“ zeigt mit seinen Lyrics direkt auf, wohin die Reise geht:
„Deutschland, Deutschland, Kaisereich / Kriegessucht und Wahnkrankheit / Deutschland, Deutschland, Vaterland / Mordeslust im Wahnverstand“
Hier wird nichts beschönigt!
Weiter treibt es den „Sturmtrupp“, der sich „Aus dem Graben durch das Niemandsland“ kämpft und auf Verstärkung wartet. Hier passen Text und Riff hervorragend zusammen und wieder kommt ein kurzer Redebeitrag (Erzherzog Friedrich) zum Einsatz.
Bei „Der Maulwurf“ neigt man fast schon dazu mit zu schunkeln, wenn sich der Refrain einmal im Gehörgang eingenistet hat. Doch dann holen einen Zeilen wie „Ich schwör’s, nicht mehr lang und ich schieße mich ab“ und „Und press‘ mir apathisch die 08 an den Kopf“ wieder zurück auf den Boden der Tatsachen und machen klar, worum es hier geht. (Mit 08 ist hier eine Waffe gemeint, besser bekannt unter dem Namen des Herstellers: Luger, Standardpistole der deutschen Armee)
Es sind genau diese Geschichten, die auf historischen Dokumenten und Erzählungen beruhen, die die Grausamkeit des Krieges anhand eines Soldaten aufzeigen, den wir namentlich nicht kennen. Vielleicht ist es ein Ehemann oder Vater aber mindestens der Sohn einer Familie, der seinen Angehörigen Briefe von der Front schreibt.
So gräbt sich dieser anonyme Soldat mit seinen Kameraden weiter und tiefer in das Erdreich in dem Glauben, dadurch den eigentlichen Kämpfen zu entkommen. Doch schnell wird klar, dass die vermeidliche Sicherheit auch nur der Horror in anderer Gestalt ist, wenn das Erdreich unter Granateneinschlägen bebt und der Sauerstoffmangel in den Tunneln zu Qual wird. So kommt in ihm, dem anonymen Soldaten und Erzähler, der Gedanke auf es selber zu beenden, wenn der Feind ihm nicht zuvorkommt.
In „Waffenbrüder“ gibt es einen kleinen Gastauftritt von Maik Weichert (Heaven Shall Burn) und man könnte fast schon meinen, dass die Riffs etwas an Weicherts Stammband erinnern. Und auch hier zeigt sich die Brutalität des Krieges, wenn die titelgebenden Waffenbrüder (zwei Freunde seit Kindheitstagen) in ihrem Graben von einer Granate getroffen werden und nur einer von zwei im Lazarett erwacht.
In „Gott mit der Kavallerie“ wird die weitere Absurdität und sinnlose Menschenvernichtung veranschaulichtet, wenn die Kavallerie unter MG-Beschuss auf die Artillerie der Belgier zustürmt und niedergemäht wird („MGs pflügen unsre Reih’n, Hufe stampfen durch Innerei’n“).
Und so könnte ich diese Aufzählung weiterführen und nicht bei meinen Favoriten aufhören. Jeder Song wäre es mit seiner eigenen Thematik auch wert. Allgemein lässt sich sagen, dass das Album nicht nur textlich, sondern auch musikalisch vielfältig daherkommt. Erwähnt sei hier auf jeden Fall noch das doomige „Ausblutungsschlacht“, welches durch das Interlude „Verdun“ eingeleitet wird und die Gefechte eben dort thematisiert. Abgeschlossen wird das Ganze durch eine Art Ballade mit klarem Gesang und Streichern.
Und so kommt es, dass sich 50 Minuten auch relativ kurz anfühlen können. Noise schafft es in dieser Spielzeit eine beklemmende Enge zu vermitteln, die einen betroffen macht und nachdenklich zurücklässt. Und der Krieg, der jetzt aktuell in Europa tobt, lässt das Album auf eine Art unfreiwillig aktuell wirken, und den Kloß im Hals nur größer werden.