CN Tod, Suizid, sexualisierte Gewalt
Es gab in meinem Leben als Metalfan drei tragische Todesfälle, die mir nahe gegangen sind. Und wie es das Schicksal manchmal so will, haben innerhalb weniger Wochen diese drei Bands ihre Pläne für die Zukunft bekanntgegeben. Für mich als Fan zeigt sich in dem unterschiedlichen Umgang der Gruppen mit ihren verstorbenen Mitgliedern, wie man es richtig macht – und wie nicht.
I – Chester Bennington (Linkin Park)
Zum ersten und einzigen Mal habe ich 2017 über den Tod eines Promis geweint, als Chester Bennington sich das Leben genommen hat. Linkin Park war meine Eintrittskarte in die Welt des Metals. Zuerst entdeckte ich 2003 „Meteora“ und verliebte mich wenig später auch in das Debüt „Hybrid Theory“ aus dem Jahr 2000. Beide Alben haben meinen Musikgeschmack elementar geprägt und mir gezeigt, dass es da diese komplett eigene Welt an härterer Musik gibt, die ich bis dahin nur aus medialen Klischeeerzählungen kannte. Und auch wenn ich mit allem, was die Band seit ihrem dritten Album „Minutes to Midnight“ (2007) gemacht hat, nicht mehr so richtig was anfangen konnte – es ist nicht übertrieben zu sagen, dass mein Leben ohne Linkin Park anders verlaufen wäre. Denn ohne meine Liebe zum Metal wäre ich nie nach Wacken gefahren und hätte nicht die Menschen kennengelernt, die inzwischen meine besten Freunde sind.
Chester war für meine Generation mehr als der Frontman der populärsten Band unserer Teenager-Tage. Vergleichbar mit Kurt Cobain ein Jahrzehnt vor ihm, war Chester ein Männlichkeitsgegenentwurf. Wo Kurt sich insbesondere vom Sexismus Axl Roses abgrenzte, bot Chester eine Alternative zur Macho-Attitüde Fred Dursts und Limp Bizkits. (Viele der Punkte, die Isabella Caldart in ihrem „Nirvana. 100 Seiten“-Buch über die Bedeutung Cobains im Männlichkeitsdiskurs festgehalten hat, lassen sich extrem gut auf Chester übertragen.)
II – Riley Gale (Power Trip)
Es ist schwer in Worte zu fassen, was für en Loch der Tod von Riley Gale 2020 in die Szene gerissen hat. Riley war der Frontman der texanischen Band Power Trip, die drauf und dran war, eigenhändig den Thrash Metal zu retten. Ihr 2017er Album „Nightmare Logic“, das letzte vor Rileys Tod, wurde sofort nach Erscheinen zu einem modernen Metalklassiker. Was die Band musikalisch auszeichnet, ist ihre Mischung aus Thrash und Hardcore Punk und ihr unnachahmliches Gespür für catchy Riffs. Darüber hinaus war es ihre politische Haltung, die ihr den Status verlieh, die Zukunft des Metals maßgeblich mitgestalten zu können. Insbesondere Rileys Ziel war es, dass jede seiner Shows, ein inklusiver Space für Menschen aller Races und Gender ist und mit der Vorstellung bricht, Metal sei nur etwas für weiße Typen ohne Freunde.
III – Trevor Strnad (The Black Dahlia Murder)
Ich habe noch nie erlebt, dass die gesamte Metalszene kollektiv so unter Schock stand wie am 11. Mai 2022. Trevor Strnad hatte sich im Alter von 41 Jahren das Leben genommen. Aus jedem Subgenre, von großen und kleinen Bands, jungen und alten Musiker*innen, gab es Beileidsbekundungen oder besondere Anekdoten rund um Trevor. Was seinen Tod zu so einem schweren Schlag machte, war die besondere Stellung, die er und seine Band The Black Dahlia Murder (TBDM) innerhalb der Community einnahm. Ihre Art des Melodic Death Metals mit seinem Fokus auf melodiöse Riffs war für viele Menschen ein erster Zugang zum Extreme Metal. Ihr Sound blieb über die Jahre aber stets so hart und unnachgiebig, dass die Band auch unten elitären Death-Metal-Puristen akzeptiert wurde. Die Mitglieder haben sich selbst nicht zu ernst genommen, auf pathosschwangere Inszenierungen als harte Jungs verzichtet, und sich stattdessen als die Typen von nebenan gegeben, die sie waren und die jeden willkommen heißen, solange man sich zu benehmen weiß. Kurz gesagt, TBDM ist die Quadratur des Kreises gelungen: Für Neulinge interessant zu wirken und gleichzeitigen auch den trvsten Hardcorefans zu gefallen. Ganz entscheidend dazu beigetragen hat eben Frontman Trevor Strnad. Ich kenne keinen anderen Musiker, der sich so sehr für den Metalunderground eingesetzt hat wie er. Unzähligen kleineren, unbekannten Bands hat er als Gastsänger seine Stimme geliehen und sie damit einem größeren Publikum bekannt gemacht. Er war ein Symbol für alles, was gut und schön an der Metalcommunity ist.
Jeder dieser Tode hat auf seine Art tiefe Spuren hinterlassen und es gibt für eine Band wohl nichts schwierigeres, als einen charismatischen Frontman – das Gesicht der Gruppe – ersetzen zu müssen. Linkin Park, Power Trip und TBDM haben es alle auf ihre Weise versucht.
Linkin Parks Ignoranz
Im Vergleich zu den beiden anderen Gruppen befindet sich Linkin Park in einer komfortablen Situation. Niemand in dieser Band muss sich finanzielle Sorgen machen. Heißt im Klartext, dass Mike Shinoda und Co. alle Zeit der Welt hatten, eine geeignete Nachfolge für Chester zu finden. Am 5. September wurde verkündet, dass die Wahl auf Emily Armstrong gefallen war, und gleichzeitig die Veröffentlichung des ersten neuen Albums seit sieben Jahren bekanntgegeben („From Zero“ November 2024). Die US-Amerikanerin hatte vorher einige Erfolge mit ihrer Alternative-Rock-Band Dead Sara, aber seien wir ehrlich, außerhalb dieses Kosmos war sie wohl nur den Allerwenigsten ein Begriff. Und so begrüßenswert ich es in der Theorie finde, dass Linkin Park sich für eine Sängerin als Chesters Nachfolge entschieden hat, zeugt die Wahl von Armstrong von einer erschreckenden Ignoranz.
Kurz nachdem bekanntgegeben wurde, wer neu am Mikrofon steht, gab es erste Berichte, dass Armstrong 2020 zu Gunsten von Danny Masterson vor Gericht ausgesagt hatte. Der Schauspieler wurde inzwischen wegen der Vergewaltigung von mindestens zwei Frauen zu einer Gefängnisstrafe von 30 Jahre bis lebenslänglich verurteilt. Armstrong fungiert im Prozess als Charakterzeugin. Zwar hat die Sängerin inzwischen ein Statement auf Instagram veröffentlicht, in dem sie sich von Masterson distanziert, richtig Verantwortung für die Unterstützung eines Vergewaltigers hat sie darin aber nicht übernommen. Auch das Aufwachsen in einer Scientology-Familie (Masterson ist ebenfalls Mitglied der Sekte) kann keine Entschuldigung für Armstrongs Entscheidung sein, ihn vor Gericht zu verteidigen.
Allein für sich genommen, ist die Wahl von Armstrong als Frontfrau einer der größten Rockbands des 21. Jahrhunderts also eine fragwürdige. Was diese Entscheidung aber noch geschmackloser macht, ist Chester Benningstons Vergangenheit. Chester war als Kind selbst Opfer sexualisierter Gewalt. So verwundert es kaum, dass sowohl Chesters Mutter als auch sein Sohn die Band für ihre Wahl verurteilt haben. Dabei spielt es keine Rolle, wie gut Armstrongs Stimme zu den frühen Linkin-Park-Songs passt. Dem Andenken an Chester kann sie so nicht gerecht werden.
Power Trips fehlendes Rückgrat
Anders sieht die Lage bei Power Trip aus. Bis heute hat die Band keinen festen neuen Frontman engagiert. Für die ersten Live-Aktivitäten seit Rileys Tod steht mit Seth Gilmore ein Freund von Gitarrist Blake Ibanez am Mikro (beide sind zusammen in der Band Fugitive). Im Gegensatz zu Linkin Park spielen bei der Entscheidung, dass es mit Power Trip weitergeht, sicherlich auch finanzielle Aspekte eine Rolle. Keines der Bandmitglieder wird von dem leben können, was die Band bisher eingespielt hat. Ich habe also Verständnis dafür, dass die verbliebenen Mitglieder vielfältige Interessen haben, Power Trip so schnell es geht zurückzubringen.
Dennoch hat die Ankündigung im Oktober, ausgerechnet mit Pantera auf Europatour zu gehen, für Fassungslosigkeit im Fanlager gesorgt. Nicht nur, dass die Band rund um Frontman Phil Anselmo (der auf der Bühne gerne mal den Hitlergruß zeigt und White Power skandiert, alles natürlich ironisch gemeint) mit ihrer rechtsoffenen Ideologie allem widerspricht, wofür Power Trip eigentlich steht. Riley hat zu Lebzeiten auch explizit seine Abneigung gegenüber Anselmo und dessen Umfeld artikuliert.
In einem Interview 2017 erklärt Riley, dass Power Trip eingeladen wurde, mit Superjoint Ritual zu touren (einem Side-Projekt von Anselmo) und machte unmissverständlich klar, dass er weder sich noch die Band in eine Situation bringen wollte, mit Panteras Fanszene assoziiert zu werden oder Anselmos Ansichten verteidigen zu müssen. Dass Power Trip ihr Comeback nun ausgerechnet mit Pantera angehen, macht mich sprachlos. Denn bei allem Verständnis für potentielle finanzielle Schwierigkeiten – die Band ist populär genug, dass sie für ein Comeback nicht auf Panteras Wohlwollen angewiesen ist. Leider passt diese Entscheidung zu einem Muster, dass die verbliebenen Mitglieder Power Trips an den Tag legen. Bereits beim überraschende Live-Comeback 2023 wurde weder Rileys Familie noch die Riley-Gale-Foundation (eine gemeinnützige Stiftung zu Rileys Ehren, die junge Nachwuchs-Bands unterstützt) vorab informiert. Ein zumindest mal respektloses Verhalten.
Was sowohl Linkin Park als auch Power Trip verkennen, ist, wie unglaublich identitätsstiftend ihre Frontmänner waren. Es ging eben nicht nur darum, wie charismatisch sich Riley und Chester auf der Bühne bewegten und was für besondere Stimmen sie hatten. Vielmehr haben sie mit ihrer Art den Bands einen Teil ihrer ganz eigenen Identität verliehen. Bei Chester war es diese Verletzlichkeit, das andere Bild davon, was es bedeuten kann, ein Mann zu sein. Und bei Riley war es seine bedingungslose Integrität, die stärker war als der unbedingte Wille, Karriere zu machen.
The-Black-Dahlia-Murder-Familie
Wie es anders gehen kann, zeigen The Black Dahlia Murder. Nach Trevors Tod hat die Band relativ schnell entschieden, dass und wie es weitergeht. Anstatt einen neuen Sänger zu rekrutieren, übernimmt ab sofort Gitarrist Brian Eschbach die Rolle am Mikro. Dafür kehrt Ryan Knight, der bereits von 2009 bis 2016 Teil der Band war, zurück an die Gitarre. Und so hat die Gruppe aus Detroit am 27. September mit „Servitude“ ihr neues Album veröffentlicht. Ihnen gelingt dabei der schier unmöglich erscheinende Spagat zwischen Trevors Andenken zu ehren und gleichzeitig den Blick nach vorne zu richten. „Servitude“ ist im besten Sinne ein The-Black-Dahlia-Murder-Album: Melodisch, hart, auf den Punkt, mit einer Rhythmus-Section aus Bass und Drums, die eine unglaubliche Performance abzieht. Hier gibt es eine sehr schöne ausführliche Rezension zur neuen Platte.
Es wird natürlich niemals eine Blaupause dafür geben, wie Bands mit dem Tod eines Mitglieds umgehen soll. Jeder Verlust ist anders und eigen, weil jedes Beziehungsgeflecht einmalig ist. Aber The Black Dahlia Murder zeigen, dass man mit Integrität und Zusammengehörigkeit gemeinsam in eine Zukunft gehen kann, die dem Andenken der Verstorbenen würdig ist.