Weil ich dieses Jahr mit Empfehlungen aktueller Alben gegeizt haben, gibt es in den nächsten Tagen die volle Dröhnung. In drei Teilen haue ich euch meine Lieblingsalben der vergangenen Monate um die Ohren. Den Anfang machen die Veröffentlichungen aus dem Januar und Februar. Have fun, und empfehlt mir doch gerne eure Metal-Highlights 2024.
Lord Dying – Clandestine Transcendence
(Progressive Sludge Metal erschienen am 19. Januar bei MNRK Heavy)
Die Hidden Champions im Metal sind für mich Bands, die in ihrer Nische Außergewöhnliches leisten, aber im Mainstream nie den ganz großen Erfolg haben. Portlands Quartett Lord Dying sind dafür das perfekte Beispiel. Ihre Mischung aus Progressive und Sludge Metal erscheint zunächst vielleicht etwas sperrig, muss sich in seinen stärksten Moment aber keineswegs vor Mastodons legendärem Frühwerk verstecken.
Upon Stone – Dead Mother Moon
(Melodic Death Metal, erschienen am 24. Januar bei Century Media)
2024 ist DAS Jahr des Melodic Death Metal. Und damit meine ich nicht den Melodeath der frühen 2000er, in denen Melodic extra großgeschrieben wurde und der Death-Metal-Part nur ein verkümmertes Anhängsel war. Nein, ich spreche vom klassischen Göteborg-Sound à la At The Gates. Zahlreiche Bands haben in diesem Jahr Alben veröffentlicht, die den Spirit jener Zeit einfangen. Was mich als großer Fan dieser Szene, der sich mehr als einmal die In Flames der 1990er zurückgewünscht hat, natürlich verdammt freut. Die ersten, die im Januar für Aufsehen gesorgt haben, sind Upon Stone. Auf ihrem Debüt zeigt das Quartett, dass man auch im sonnigen LA authentisch dem schwedischen Stil nacheifern kann. Phasenweise ist „Dead Mother Moon“ noch etwas repetitiv, aber Upon Stone wissen, wie sie den Geist ihrer großen Vorbilder einfangen.
Striker – Ultrapower
(Heavy Metal, erschienen am 02. Februar bei Record Breaking Records)
Hört euch „Give it all” von Striker an und sagt mir, dass der Song nicht wie ein lange verschollener Hit von Journey klingt! In einem Jahr, das bisher mit klassischen Heavy-Metal-Highlights geizt, ist Striker mein Lichtblick. Auf „Ultrapower“ reihen sich grandiose Riffs, Ohrwurm-Refrains und Songs mit Headbang-Garantie aneinander. Den Kanadiern gelingt die perfekte Mischung aus der Ungezwungenheit und Spielfreude des 1980er-Jahre Heavy Metal und Glam Rock und der Dynamik moderner Produktion – garniert mit einer herrlichen Portion Selbstironie. Mein Go-to-Album für die anstehende Festivalsaison.
Chapel of Disease – Echoes of Light
(Post Metal, erschienen am 09. Februar bei Ván Records)
Das Schöne für mich an diesem Newsletter ist, dass ich nach und nach meine eigenen blinden Flecken loswerde. Die Kölner Band Chapel of Disease gehört schon lange zu den Lieblingen von Kritiker*innen des Metal Undergrounds und war mir bis Anfang des Jahres völlig unbekannt. Das ist angesichts des außergewöhnlichen musikalischen Verlaufs ihrer Karriere schade. Was als klassische Death-Metal-Band begonnen hat, ist nun ein Post- und Dark-Metal-Projekt. Und was soll ich sagen? Auch wenn ich die früheren Death-Metal-Platten der Band inzwischen sehr schätze, insbesondere „The Mysterious Ways of Repetitive Art“ (2015) – ja, ich mache natürlich meine Hausaufgaben – steht ihnen der neue, sanfte Sound ebenfalls außerordentlich gut. Was „Echoes of Light“ so besonders macht, ist, dass es dem Album in gerade einmal vierzig Minuten gelingt, komplexe Stimmungen und Soundlandschaften zu kreieren.
Morbid Saint – Swallowed by Hell
(Thrash Metal, erschienen am 09. Februar bei Napalm Records)
Was ist mehr Metal als mit dem eigenen Debüt einen absoluten Klassiker des Genres zu veröffentlichen, um dann von der Bildfläche zu verschwinden und 25 Jahre später kommentarlos das zweite Album herauszuhauen? Es gibt einen guten Grund dafür, warum Morbid Saint als die beste Thrash-Metal-Band gelten, die „es“ nie geschafft hat. Nach ihrem Debüt „Spectrum of Death“ (1990) und dem Nachfolger „Destruction System“ (2015) ist „Swallowed by Hell“ das dritte Album der Amis. Die zehn Songs wirken so, als wären Morbid Saint mit einer Zeitmaschine direkt aus den 1980ern zurückgekommen, um uns zu beweisen, wie viel Power Thrash Metal auch heute noch haben kann. Zu keiner Sekunde merkt man dem Album an, dass sie die Gitarristen Jay Visser und Jim Fergades Morbid Saint vor über vierzig Jahren gegründet haben. „Swallowed by Hell“ ist ein weiterer Beweis dafür, dass Morbid Saint ihren Platz im Thrash-Olymp mehr als verdient haben.
Ihsahn – IHSAHN
(Progressive Black Metal, erschienen am 16. Februar bei Candelight Records)
Wenn eine Legende wie Ihsahn, der mit seiner Band Emperor einen festen Platz in den Black-Metal-Geschichtsbüchern hat, sein achtes Soloalbum nach sich selbst benennt, dann ist das ein Statement. Und dass „IHSAHN“ in meinem Black Metal Special keinen Platz gefunden hat, hat nichts mit seiner Qualität zu tun. Ganz im Gegenteil, „IHSAHN“ ist wie eine Werkschau des Norwegers: Von den klassischen Black-Metal-Anfängen mit Emperor bis hin zum experimentellen Progressive Metal der letzten Platten, sind hier alle Elemente von Ihsahns Sound vertreten. Veredelt wird die Platte von einer epischen Orchestrierung, die parallel auch als eigenständiges Orchester-Album erschienen ist. „IHSAHN“ ist nicht nur ein Höhepunkt der Karriere eines der einflussreichsten Black-Metal-Musikers aller Zeiten, sondern auch ein perfekter Einstieg in sein musikalisches Vermächtnis.
Borknagar – Fall
(Melodic Black Metal, erschienen am 23. Februar bei Century Media)
Hatte ich erwähnt, wie viel extrem guter Black Metal aktuell erscheint? Die Norweger von Borknagar haben ihrem klassischen Second-Wave-of-Black-Metal-Sound in den vergangenen Jahren immer mehr Progressive-Rock-Elemente hinzugefügt. Auf „Fall“ setzen sie diesen Trend fort und schaffen damit eine eiskalte und wunderschöne Atmosphäre, die perfekte die kargen Landschaften Norwegens einfängt. Dass Borknagar auch durch die Hinwendung zu softeren Elementen kaum an Intensität verloren haben, liegt vor allem an der Stimme von Keyboarder Lars Nedland. Diese nimmt auf dem Album so viel Raum ein wie nie zuvor, und schafft es, viele der Songs allein zu tragen. Da spielt es auch keine Rolle, dass die extremen[IC1] Momente immer weiter in den Hintergrund treten. „Fall“ ist der perfekte Beweis dafür, dass eine Band sich auch auf Album Nummer zwölf noch weiter entwickeln kann, ohne den eigenen Sound zu verlieren.
Job For A Cowboy – Moon Healer
(Progressive Death Metal, erschienen am 23. Februar bei Metal Blade)
Es ist Mitte der 2000er und MySpace ist das wichtigste soziale Netzwerk der Welt, als zum ersten Mal eine Extreme-Metal-Band viral geht. Eine Handvoll Teenager aus Arizona spielen eine so extreme Form des Deathcore, wie sie es damals kaum gab, und das Internet rastet aus. Unmittelbar bilden sich zwei Lager: Die einen hassen den modernen Sound, der sich über MySpace wie verrückt verbreitet, die anderen lieben ihn.
Ich muss gestehen, dass ich damals zu denjenigen zählte, die Job for a Cowboy für Möchtegern-Poser hielten. Das hat sich inzwischen zum Glück verändert, was zum einen daran liegt, dass ich anerkennen kann, welche Bedeutung die „Doom“ EP (2005) oder das Debüt „Genesis“ (2007) für den modernen Deathcore haben. Zum anderen liegt meine Re-Evaluierung von Job for a Cowboy aber an ihrem speziellen musikalischen Werdegang. Ihre Deathcore-Wurzeln hat die Band längst hinter sich gelassen und zählt heute zu den besten Progressive-Death-Metal-Bands der Welt gehören. Eine Entwicklung, die gerade in der oft elitären Tech-Death-Szene nur wenigen Gruppen gelungen ist. Diesen Respekt haben sie spätestens mit ihrem 2014er Album „Sun Eater“ gewonnen und zementieren ihn nun auch mit „Moon Healer“.
Was Job for a Cowboy von den meisten anderen Progressive-Death-Metal-Bands unterscheidet, ist ihr ausgezeichnetes Gespür für Kompositionen. Es geht niemals darum, bloß damit anzugeben, wie schnell oder technisch anspruchsvoll die Herrschaften ihre Instrumente bedienen können – eine Kritik, die sich viele Technical-Death-Metal-Bands gefallen lassen müssen. Stattdessen steht die Progressivität immer im Zeichen des Songwritings. So bietet „Moon Healer“ neben aller Komplexität vor allem ein intensives und atmosphärisches Hörerlebnis, für das sich die zehnjährige Wartezeit definitiv gelohnt hat.
Traveler – Prequel to Madness
(Heavy Metal, erschienen am 23. Februar bei No Remorse Records)
Seit ihrem selbstbetitelten Debüt im Jahr 2019 gehören Traveler zu den Posterboys des modernen Heavy Metals. Bei mir persönlich hat es bis zu ihrem dritten Album „Prequel to Madness“ gebraucht, bis der Funken übersprang. High-Energy, Oldschool Heavy Metal mit einem Sci-Fi-Lyric-Konzept. Klingt genauso nerdy, wie es ist. Und ich liebe alles daran.